Eugen Fulterer wuchs in einem gutbürgerlichen Wirtshaus in Rankweil, Vorarlberg auf. Ab seinem 19. Lebensjahr führte er den Familienbetrieb bis zu dessen Schliessung und Verkauf im Jahr 2014. Seit 2006 wohnt er in Wien und Vorarlberg und engagiert sich seit vielen Jahren in Kulturvereinen und Initiativen. Das Studium des Umwelt- und Bioressourcenmanagements führten ihn zuerst an die Universität für Bodenkultur bevor er zum Studium der Geographie sowie der Theater-, Film- und Medienwissenschaft an die Universität Wien wechselte und dort Letzteres 2015 abschloss. Er war als Künstler und Kurator an diversen Ausstellungen beteiligt und auch in den Sparten Literatur, Performance, Film und Theater sowie als Konzertveranstalter tätig. Seit 2015 hat sich seine Arbeit in der freien Kulturarbeit intensiviert. Aktuell leitet er zusammen mit Dietmar Nigsch das Walserherbst Festival und zieht regelmässig die Fäden beim Wanderkiosk und performt dort in der Rolle der Kunstfigur des «Budikers». Im elterlichen Wirtshaus erlernte er das Gastgeben, Kochen und die Liebe zum Veranstalten. Neben der Feuerwehr, dem Kirchenchor oder dem Krippenbauverein mischten sich dort auch regionale Bands mit internationalen Künstlern, im Hinterhof war einer der abgefahrensten Live-Schuppen des Universums beherbergt. Eugen Fulterer ist 40 Jahre alt.

Wo und wie sind Sie aufgewachsen?

Ich bin im Gasthof Kreuz in Rankweil aufgewachsen, über den Gasträumen des Wirtshause, als einer von fünf Söhnen. Meine Kindheit war öffentlich. Wenn ich meine Eltern suchte, fand ich sie irgendwo zwischen Tischen, Zapfanlage, Herd, Kühlräumen oder Gastgarten. Den Grossteil meiner Kindheit verbrachte ich beim Nachbarn, er war Sohn einer Metzgerei. Von dort aus war es dann nur noch ein Katzensprung in den Wald und zum Sportplatz.

Könnten Sie Ihren Werdegang schildern?

Sehr bürgerlicher Start ins Leben, ganz im Sinne unseres Wirtshauses. Als Kind im Fussballverein und bei den Ministranten, der Besuch der Tourismusschule war irgendwie auch schon vorbestimmt. Mit 19 starb mein Vater und ich übernahm seinen Stuhl, ich hätte mir damals nicht gedacht, dass es 15 Jahre dauern würde, diesen wieder los zu werden. Wir führten den Betrieb aus den roten Zahlen, feierten wilde Partys und sprengten das Bild des dörflichen Traditionsgasthauses ein wenig. Was die Leitung des Betriebes betraf, so konnte ich mich gut mit einem meiner Brüder abwechseln und ich begann meine Fühler nach Wien auszustrecken. Dort lernte ich mit dem Kulturverein Einbaumöbel, gleich nach dessen Gründung, die Freiraumszene kennen und besuchte ein paar Universitäten. Unweigerlich wurde ich selbst in diesen Strudel des exzessiven Prozesses der Kunstproduktion und -konsumation reingezogen. Ich veranstaltete Konzerte und Ausstellungen, begann zu Schreiben und Einzureichen, machte Theater und beteiligte mich an Gruppenausstellungen. Neben dem Einbaumöbel, welches ich gute zehn Jahre mitbegleitete, engagierte ich mich noch in anderen Initiativen, baute 2009 das Kulturzentrum Werk mit auf, welches damals noch in Ottakring zu Hause war. Da standen dann schon mal fünfhundert Menschen vor dem Eingang, die nicht mehr rein konnten. Das ging nicht lange gut, sie sind dann umgesiedelt in die Spittelau und die letzten zwei Jahre von FM4 zum Club des Jahres gewählt worden. Es waren gute und wilde Jahre, stets unterbrochen von der monatlichen Rückkehr in den Familienbetrieb nach Vorarlberg, den ich immer stärker als ausbremsenden Klotz am Bein wahrnahm. Ich entschied mich 2011 für die Rückkehr in den Betrieb, mit der Idee, ihn gemeinsam mit meinen Brüdern umzustrukturieren oder abzustossen. Mit der «Heimkehr» setzte ich auch gleich das monatliche Literaturformat «V-Lesung» um, ein urbanes Mitbringsel aus dem Einbaumöbel sozusagen, mit dem ich vor ein paar Monaten gerade die hundertste Ausgabe feierte. Nach intensiver Auseinandersetzung mit dem Familienerbe und dessen Materialisation in Form des Wirtshauses, habe ich mich entschieden, dieses Erbe nicht anzunehmen. Wir schlossen den Betrieb und veräusserten ihn 2014 komplett. Friede den Hütten. Es war wie eine Neugeburt für mich, auf die ein langes Sabbatical folgte, mit Projekten in Tansania und Nepal und an dessen Ende ich mich entschloss in der Kulturarbeit Fuss fassen zu wollen.

Ein Morgen danach - halböffentlicher Club im Hinterhof des Traditionsgasthauses
Schlüsselübergabe und auf in unbekannte Gewässer - Abschied vom Familienbetrieb, Sommer 2014

Gab es bestimmte Ereignisse oder Stationen, die für Ihren Werdegang prägend waren?

In einem Wirtshaus gross zu werden hat bestimmt etwas Prägendes, in jungen Jahren einen Betrieb mit fünfzehn Mitarbeitern zu sanieren noch viel mehr. Ein grosser Freundeskreis versammelte sich dort, dieser begleitete mich viele Jahre. Mit acht Jahren bekam ich mein erstes Mixtape von meinem grossen Bruder, er prägte meinen Musikgeschmack und ebendieser dann auch mit der Zeit meine politische Haltung zu Zeiten, in denen ich noch keine Ahnung hatte, was Politik überhaupt ist. Prägend waren sicher auch die vielen Festivalbesuche im Ausland, dort wurden bestimmt einige Samen gesät, die heute noch in meinem Schaffen spriessen. Den Spagat nach Wien zu wagen und in die urbane Welt und den Universitätsalltag einzutauchen brachte viel Inspiration, neue Freunde und Netzwerke. Der endgültige Entschluss, mit Mitte 30 dem Familienerbe den Rücken zu kehren, war auch ein sehr wichtiger Weichenstellungspunkt.

Hat Sie Ihr Umfeld in Ihrem Werdegang unterstützt?

Zu diesem Thema hat der fabulöse Olli Schulz mal einen tollen Song geschrieben, Rückspiegel heisst der. Ein Umfeld generiert man ja meist durch seine Aktivitäten und Bewegungen, die Akteure werden unweigerlich mit hinein gezogen und sind ja durchaus abhängig oder stark beeinflusst von den eigenen Aktivitäten. Meine guten Freunde haben mich immer unterstützt, uneigennützig, und mir vor allem mental durch viele Herausforderungen geholfen.

65m2 Freiraum – unzählige Konzerte, Ausstellungen, Lesungen und Nächte im Kulturverein Einbaumöbel, Wien 2006–2014

Welchen Tätigkeiten gehen Sie derzeit nach?

Seit ein paar Jahren leite ich zusammen mit Dietmar Nigsch den Walserherbst im Grossen Walsertal. Der WALSERHERBST ist ein Kulturfestival für zeitgenössische Kunst und Kultur im Biosphärenpark Grosses Walsertal und verknüpft im Zweijahresrhythmus Tradition und Zeitkultur. Drei Spätsommerwochen lang erklärt das Festivalprogramm das gesamte Tal zur Bühne und spannt seinen Bogen über unterschiedliche Genres: Musik und Literatur, Theater und Performance, europäisches Autorenkino und Fotografie, Kulinarik und Kunsthandwerk. Sein Selbstverständnis zeichnet sich durch Offenheit für Neues und Unerhörtes aus, durch Freude an der Begegnung mit fremden Menschen und Kulturen, bisweilen auch durch die Lust am Brechen erstarrter Konventionen.

Ballontaufe und Jungfernflug des Kunstprojekts und Diskurswerkzeugs «Euter» beim Walserherbst 2018

Zum Walserherbst hat mich 2016 die Premiere des Wanderkiosk geführt. Als Budiker des Kiosk bespielte ich dort im Rahmen des Festivals einen Dorfplatz und sorgte für Gefühle der Einkehr und Unruhe zu gleich. Seither organsiere ich gemeinsam mit dem Kollektiv Wanderkiosk temporäre Bespielungen von öffentlichen Orten und wenn es die Zeit erlaubt, mach ich den Budiker gleich mit dazu. Der Wanderkiosk fungiert an seinen Einsatzorten als Schnittstelle zwischen Alltagskultur, Gemeinschaft, Architektur und Kunst, der Budiker wandelt sich dabei stets in eine Art Personifizierung des Zwecks, niederschwellige Vermittlung steht im Fokus, stets abgestimmt auf Set und Setting. Letztes Jahr bestritt ich damit die erste Österreichtour, es wäre schön wenn mehr davon folgen könnte, ich liebe die Rolle.

Wanderkiosk und Demokratie Repair Cafe in Innsbruck, 2019
Wanderkiosk und Demokratie Repair Cafe in Innsbruck, 2019
Mit dem Wanderkiosk ein halbes Dorf «verrücken», Blons 2016
Wanderkiosk auf Österreichtour, Innsbruck 2019

Bis vor kurzem veranstaltete ich das monatliche Literaturformat «V-Lesung». Ausgabe 100 wurde dann ordentlich zelebriert mit einem 100-stündigen Literaturinferno, einer über fünf Tage und vier Nächte fortwährenden Veranstaltung mit Lesungen, Theater, Konzerte, Performances, Meditationen und Kulinarik und Begräbnis. Ich nahm diese Implosion zum Anlass, mit V-Lesung auf Tauchstation zu gehen, schöpferische Kreativphase, das Format wird aber sicherlich wiedermal «aufpoppen». Dazu gesellen sich noch organisatorische Tätigkeiten im Event- und Gastrobereich, als Koch, Texter oder Brotjobs als Datensklave.

V-Lesung #94 - Erstbespielung des im entstehen begriffenen Literaturhaus Vorarlberg, Hohenems 2019
Die wirklich allerletzten Gäste – die hundert Stunden andauernde Literaturveranstaltung «1000 Jahre V-Lesung» führte auch in den Stone Club Feldkirch, Jänner 2020

Erfüllt Sie das, was Sie derzeit machen?

Mein Tätigkeitsfeld ist sehr vielseitig, die Grenzen zwischen privatem und beruflichem Leben verschwimmen permanent, wie sich Langeweile anfühlt hab ich längst vergessen. Es gibt viele Tätigkeiten, in denen ich komplett aufgehe. Ich habe die Abwechslung immer geliebt, Monotonie galt es immer zu vermeiden. Ab und zu frage ich mich, wie es wohl wäre, einer «normalen» Tätigkeit nachzugehen, mit dem Gefühl von Stempeluhr und Lohnzettel und gesetzlichem Urlaubsanspruch. Am Feierabend die Berufshaut abzulegen und sich in all die privaten Genüsse stürzen zu können. Und dann komme ich wieder zu dem Punkt, an dem ich mir denke, was für ein Luxus es ist, wenn man das Private und das Berufliche nicht mehr unterscheiden kann und man permanent an der Materialisation seiner Vorstellungen arbeitet.

 

Denken Sie, dass Sie selbst darauf einen Einfluss haben, ob Ihre Tätigkeiten erfüllend sind?

Für mich liegt Erfüllung oft in der Ausgewogenheit, auch kleine Erfolgserlebnisse erfüllen mich. Ich habe über eine sehr lange Zeit das Gefühl gehabt, nicht fertig zu werden mit der Arbeit. Eine grosse Herausforderung als Freischaffender ist es ja, die Arbeit hinter sich lassen zu können und nicht ständig mit dem Gefühl in den Feierabend zu gehen, nicht fertig geworden zu sein.

In erster Linie geht es ja darum, dass das, was man macht, einem Freude bringt. In der aktuellen Zeit des Lockdowns und der Pandemie könnte einem da natürlich öfter mal die Freude vergehen bei der Planung von Kulturveranstaltungen. Dieses Gefühl von «in die Leere arbeiten» unterbreche ich zur Zeit des Öfteren und beschäftige mich im Garten, wenn ich in Vorarlberg bin. Wenn ich heute eine Kartoffel stecke, habe ich im Herbst ziemlich sicher ein Erfolgserlebnis.

Wichtig ist, dass man das, was man tut gerne macht und darin einen Sinn sieht. Wenn die eigenen Talente dann auch noch aufblühen in dieser Tätigkeit, dann hat man schon fast gewonnen.

Filmdreh in Nepal, rituelle Bergsteigersegnung für die Kamera, Everest Base Camp 2016

Was oder wer inspiriert Sie im Alltag?

Mein Leben spielt sich seit gut 15 Jahren zwischen Wien und Vorarlberg ab. Ich liebe den Wechsel zwischen Stadt und Land, die Pole befruchten sich stets gegenseitig. Vor dem inneren Auge sehe ich da oft das Bild des «Fahrenden Händlers» wie vor hunderten von Jahren. Mit jedem Aufbruch nehme ich wieder etwas Neues mit für die «andere Seite». Meine Lebenspartnerin ist ebenso eine grosse Inspirationsquelle für mich. Sie schafft es immer mich «mitzunehmen» und ist mir eine grosse Lehrmeisterin darin, spontan und offen zu bleiben, intuitiv die schönen Momente zu generieren als ob’s der letzte Tag des Planeten wär.

Ich kann von einem inspirierenden Moment oder Menschen zum nächsten huschen und nichts davon wahrnehmen. Inspiration liegt vor allem im Alltag, nur sehen muss man sie. Es sind oft die kleinen Dinge. Was nützt es mich, wenn ich meinen Kopf immerzu in den Wolken habe, an guten Projekten dran bin, gedanklich gar nicht mehr davon los komme, wenn ich nicht dazu fähig oder bereit bin, das «Jetzt» zu geniessen. Ist ja nicht so, dass es nicht vorkommen kann, dass man monatelang an was dran ist, dran arbeitet und wenn der grosse Tag gekommen ist, gar keine Zeit, keinen Moment findet, ihn zu geniessen, weil man ja gedanklich schon wieder beim Nächsten ist. Ich lebe manchmal so stark in der Zukunft, dass ich die Gegenwart vergesse. Da muss man ständig an sich arbeiten.

 

Was oder wer gibt Ihnen im Alltag Kraft und Energie?

Was mich nährt, kann so unterschiedlich sein. Ich betreibe gerne Sport mit Freunden, auch Wirtshausbesuche finde ich was sehr Entspannendes. Manchmal brauch ich ohrenbetäubenden Lärm mit Schlagzeug und Gitarren, dann wieder Theater oder ein Museumsbesuch. Ich brauche Bewegung in der Natur. Manchmal brauch ich einen Berg und dann ist es einfach nur ein herzerwärmendes Lächeln meiner Partnerin, welches mich energetisiert. Saunagänge sind etwas, woraus ich wahnsinnig schnell und effektiv Energie beziehen kann – «Turbo-Wellness» – das funktioniert immer. Im Herbst sind es die stundenlangen Jagdspaziergänge nach Pilzen, in denen ich mich komplett verliere. Ich ziehe viel Kraft und Energie aus eben diesen inspirierenden Momenten und diese können bei mir sehr vielfältiger Natur sein. Wie so oft, die Balance machts.

Es gibt Momente, in denen alles zu passen scheint. Momente, die einen erfüllen, inspirieren und die einem Kraft und Zuversicht geben. Momente, die einen darin bestätigen, dass sich der Einsatz lohnt und dass das, was man macht, sinnhaft und wertvoll ist. Haben Sie solche «magischen Momente» in Bezug auf Ihre eigenen Tätigkeiten schon erlebt?

Solche Momente sind ja oft nur ganz kurzweilige Einsichten, wie Blitzlichter, die einem wohlig warm im Bauch erscheinen. Vielleicht sind es Bilder oder Stimmungen die man schon lange in seinem Unterbewusstsein mitträgt und für kurze Zeit im Jetzt aufscheinen. Ich würde sagen, die magischen Momente, die ich erlebt habe, haben immer auch etwas mit meiner eigenen Biografie zu tun. Dieses «Wo komme ich her» und «Wo will ich hin» und so. Wer sich seiner Träume und Vorstellungen nicht bewusst ist, wird sich auch sehr schwer tun zu erkennen, wenn sie sich plötzlich für einen kurzen Moment zeigen.

 

Tun Sie aktiv etwas dafür, damit sich solche «magischen» Momente einstellen können?

Ich versuche nur noch, mich Sachen, Aufträgen, Menschen und Dingen zu widmen, wo ich in mir möglichst grossen Zuspruch zur Sache an sich und möglichst geringe Widerstände, was die Umsetzung betrifft, spüre. Wenn die Sache im Fluss bleibt, dann ist es schön dran zu arbeiten, dann kann ich aufgehen im Moment, das Denken wird ruhig und irgendwann kommt dann vielleicht auch ein bisschen Magie ins Spiel.

Die vollkommene Verschmelzung mit dem Hier und Jetzt. Wer immer nur nach Vorne oder Zurück blickt, übersieht oft das Zauberhafteste um sich herum.

Abschlusskonzert des dreiwöchigen Festivals «Wirkfeld im Querbeet», Liebfrauenberg Rankweil 2016

Gibt es Momente, in denen Sie an dem, was Sie machen, zweifeln?

Ich versuche da stets bei mir anzufangen und werfe einen Blick auf die Gesamtsituation. Zweifel entstehen ja oft, wenn ich den roten Faden verliere. Dieser Faden ist ja oft mein subjektives Gedankenkonstrukt und Zweifel können diesen reissen lassen. Wenn man das Denken als Werkzeug betrachtet, so setzen wir dieses Werkzeug auch oft gegen uns selber ein. Wir sind ja nicht unsere Gedanken, das vergessen wir oft. Wenn es soweit kommt, fehlt mir meist Ausgleich. Sei es Sport und Bewegung, sozialer Austausch, die richtige Ernährung oder Genuss in den verschiedensten Ausformungen – irgendwo muss «der Hund drin sein» und den gilt es wieder an die Leine zu nehmen und ihn Gassi zu führen…und nicht umgekehrt.

 

Können Sie schwierigen Momenten rückblickend etwas Positives abgewinnen?

Neben all dem Schönen, haben mich aber besonders auch die schwierige Momente und herausfordernden Situationen sehr geprägt. Oft hat man in diesen Momenten das subjektive Gefühl, man wird zurück geworfen, aber es ist ja meist das Gegenteil der Fall. Rückblickend haben mich gerade diese schwierigen, diese «ausgebremsten» Momente oft ziemlich kraftvoll auf die Überholspur manövriert, auch wenn man dafür erst durch die sogenannte «Hölle» gehen musste. «Nach oben scheitern» habe ich da kürzlich mal gelesen, das hat mir sehr gut gefallen. Wohin einen schwierige Momente führen, ist ja meist die eigene Entscheidung. Die Kunst ist ja auch, die schwierigen Momente nicht ewig auf sich wirken zu lassen, sondern zu Handeln. Schwierige Momente erfordern ein hohes Mass an Aktivität, sich passiv durch schwierige Momente treiben zu lassen, ist nicht der fruchtbarste Weg, um auch gestärkt daraus hervorzugehen. Gerade in schwierigen Momenten und der Art und Weise, wie wir durch sie hindurch schreiten, lässt uns ja ganz viel über uns selber lernen und sind starke Bewusstseinsbildner. Ich wäre heute nicht der, der ich bin, und das ist gut so.

 

Gibt es etwas, was Sie rückblickend anders machen würden?

Na ja, da sind wir dann eh schon wieder bei den Zweifeln. Ich versuche, mich nicht mehr so lange davon aufhalten zu lassen und versuche schneller und proaktiver zu handeln, als ich das früher gemacht habe. Das setzt natürlich ein gewisses Mass an Vertrauen und Verbindung zum eigenen Bauchgefühl, zur Intuition voraus.

72 Stunden Brotbacken auf dem Dorfplatz - Babylonische Antipasteria bei der Emsiana Hohenems 2017 square, Babylonian Antipasteria at the Emsiana Hohenems 2017

Möchten Sie mit ihren Tätigkeiten etwas zur Gesellschaft beitragen?

Früher war mir vor allem der soziale Austausch, das gesellschaftliche Happening, das Zusammenkommen zu reinen Genusszwecken ein Anliegen in meinen Tätigkeiten. Wir haben ja Ende der Neunziger schon mehrtätige Festivals mit tausend Besuchern im Reichenfeld in Feldkirch veranstaltet. Die Musik und Pflege des Austausches stand sehr lange im Mittelpunkt meiner kulturellen Tätigkeiten. Mit der Zeit kam dann für mich noch der Aspekt hinzu, dass ich Künstlern ermöglichen möchte, ihre Leidenschaften zu leben, auf Tour zu gehen und eine gute Zeit zu haben. Viele Konzerte in Wien und Vorarlberg sind so zusammengekommen. Im Laufe der Zeit hat sich dann vermehrt die Intention auch in Richtung politische und gesellschaftsrelevante Themen verlagert. Nicht so, dass ohrenbetäubende Rockmusik in Gruppentrance nicht auch heilsame Zwecke für die Gesellschaft erfüllt, das veranstalte und besuche ich immer noch sehr gerne von Zeit zu Zeit und finde darin ebenso Magie. Heutzutage, ganz einfach runtergebrochen, freut es mich, wenn ich durch meine Tätigkeiten zu einer Welt beitragen kann, die gebildeter, reflektierter, freundlicher, vernetzter und widerstandsfähiger ist und in der zu guter Letzt der Spass nicht zu kurz kommt.

 

Ist Ihnen die Anerkennung von anderen Personen bzw. von der Öffentlichkeit wichtig?

Anerkennung hat viele Gesichter, die Öffentliche kann durchaus schmeichelnd und befruchtend für die eigenen Tätigkeiten sein, auch Felder erweitern. Ich finde es schön, wenn man gute Projekte umsetzt, über die berichtet wird. Man beschäftigt sich ja oft mit Sachen, die gesellschaftsrelevant sind, da ists natürlich schön, wenn man sie auch erreicht, diese Gesellschaft. Presse ist natürlich ein Thema, hast du Medienecho, hast du leichteren Zugang zu finanziellen Mitteln. Aber mir persönlich ist das nicht wichtig, ich ziehe daraus keine Energie. Ich finde es schön, wenn ich manches Mal persönliche Rückmeldungen erhalte zu dem, was ich tue. Wenn Sachen Wirkung erzielen und diese Wirkung nicht einfach nur verpufft. Aber ich tue es ja so oder so, weil ich finde, dass es getan gehört, da bin ich nicht auf Anerkennung aus. Schön finde ich, anderen eine gute Zeit durch mein Sein und Schaffen zu bereiten. Wenn ich was dazu beitragen kann, Menschen eine gute Zeit zu schenken, dann erfüllt mich das durchaus sehr. Da sehe ich Sinn und eine gute Zeit darf ja durchaus auch inhaltlich aufgeladen sein.

Wanderkiosk, Wien 2019
Wanderkiosk: Budiker mit Überraschungsgast Lydia Haider, Wien 2019

Interview
Laura Hilti, Juni 2020


Illustrationen

Stefani Andersen


Credits

Porträt/ Wanderkiosk Innsbruck: Alena Klinger
Ein Morgen danach: Marc Lins
Schlüsselübergabe: Melanie Büchel
Freiraum: Ralf Woltron
Ballontaufe: Hanno Mackowitz
Wanderkiosk Blons: Walserherbst
V-Lesung #94: Daniel Ongaretto-Furxer
Die wirklich allerletzten Gäste: Alexander Ess
Filmdreh in Nepal: Santosh Lamsal
Abschlusskonzert: Eugen Fulterer
72 Stunden Brotbacken: Daniel Mathis
Wanderkiosk, Wien 2019: Kollektiv Fischka / Stefanie Freynschlag

Dieses Interview ist Teil des Projekts «Magic Moments» des Kunstvereins Schichtwechsel, in dessen Rahmen Menschen zu ihrem Werdegang, ihren Tätigkeiten sowie magischen und schwierigen Momenten befragt werden.

Kuratiert von Stefani Andersen und Laura Hilti, Kunstverein Schichtwechsel.

Gefördert durch die Kulturstiftung Liechtenstein und die Stiftung Fürstl. Kommerzienrat Guido Feger.

 

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