Friedbert Ottacher studierte Raumplanung und Regionalentwicklung an der Technischen Universität Wien und der Wageninngen Universität in den Niederlanden. In seiner Diplomarbeit beschäftigte er sich mit den Auswirkungen von Bergsteigertourismus in Hunza, Nordpakistan. Dabei kam er zum ersten Mal mit der damals sogenannten «Entwicklungshilfe» in Kontakt. Danach ging es Schlag auf Schlag: Einsätze in Palästina, Projektkoordination bei Care Österreich, HORIZONT3000 und LICHT FÜR DIE WELT, Lektorate an mehreren Universitäten, dann Bildungskarenz, Selbstständigkeit, Veröffentlichung des Buches «Entwicklungszusammenarbeit im Umbruch». Heute koordiniert er beim österreichischen Hilfswerk HORIZONT 3000 Programme im Bereich ländliche Entwicklung und Förderung der Zivilgesellschaft in Uganda und Äthiopien. Als selbständiger Berater ist er als Universitätslektor, Redner, Seminarleiter und Autor tätig – wobei sich auch hier alles um das Thema Entwicklungszusammenarbeit (EZA) dreht. Friedbert Ottacher stammt aus Kärnten und lebt in einer 5-köpfigen Patchwork-Familie in Wien. Er hält sich mit Laufen fit und ist 48 Jahre alt.

Wo und wie sind Sie aufgewachsen?

Ich wuchs in Spittal, einer Kleinstadt in Oberkärnten, gemeinsam mit drei Geschwistern auf. Mein Vater war Forstbeamter, meine Mutter Hausfrau. Meine Kindheit war materiell bescheiden, geheizt wurde nur in der Küche, die Kleidung war Second Hand und Urlaube gab es selten. Dafür war die Freiheit gross – ausser am Sonntagvormittag, da war der Kirchenbesuch Pflicht. Als Schüler habe ich oft Gedichte aufgesagt, in der Kirche, auf Schulfeiern – das Reden vor Menschen hat mir damals schon gefallen. Heute ist es Teil meines beruflichen Alltags. Sozialisiert wurde ich auch bei den Pfadfindern. Werte wie Zusammenhalt, Gemeinsamkeit und Verantwortung habe ich dort erlebt. Diese Erfahrungen haben mich sehr geprägt.

Könnten Sie Ihren Werdegang schildern?

Als ich den dicken Wälzer mit allen Studienrichtungen, die in Österreich angeboten werden, in meinen Händen hielt, bin ich nach der Negativauslese vorgegangen: Alles, was mich nicht ansprach, schloss ich aus – und Raumplanung blieb so übrig – wohl auch, weil ich mir wenig darunter vorstellen konnte.

Der Entschluss für die Diplomarbeit nach Pakistan zu reisen, dort bei einer Familie zu leben und die Auswirkungen des Bergsteigertourismus auf die Kultur, die Landnutzung und die lokale Wirtschaft zu beforschen hat den Grundstein für meine berufliche Tätigkeit in der EZA gelegt.

Ende der 90iger Jahre war es noch relativ einfach, eine Anstellung in der EZA zu bekommen. Ich startete meine berufliche Laufbahn mit einem Auslandsaufenthalt in Palästina. Dort wurde mir die leitende Funktion einer österreichischen Nicht-Regierungsorganisation anvertraut. Im Nachhinein betrachtet war ich ein Zauberlehrling, der als Berufsanfänger Mitarbeiter führte, Budgets freigab und mit palästinensischen Ministern Projekte verhandelte. Mit dem Ausbruch der zweiten Intifada musste ich das Programm dort schliessen inklusive Kündigung aller Mitarbeiter und Büroräumung.

Nach meiner Rückkehr habe ich mir bei unterschiedlichen österreichischen Hilfswerken als Programmkoordinator praktische Erfahrungen angeeignet. Über die Jahre konnte ich Projekte in Albanien, Ägypten, Äthiopien, Südsudan, Mosambik, Sambia, Namibia, Südafrika, Uganda, Kenia und Simbabwe mitgestalten.

2014 habe ich mich im Rahmen einer einjährigen Bildungskarenz mit Entwicklungstheorien beschäftigt und gemeinsam mit meinem langjährigen Kollegen Thomas Vogel das Buch «Entwicklungszusammenarbeit im Umbruch» verfasst. In diesem Jahr habe ich mich auch intensiv mit Rhetorik befasst. Dabei war der weltweit aktive Rhetorikverein Toastmasters eine grosse Inspiration für mich. In dieser Zeit habe ich auch als Trauerredner in Wien gearbeitet. Das war bislang meine beruflich spannendste und lehrreichste Erfahrung.

Heute verstehe ich mich als Brückenbauer in der EZA und gebe mein Wissen sehr gerne weiter. Das versuche ich als Universitätslektor, Seminaranbieter, Key Note Speaker oder eben Autor.

Auf Projektreise in Hosianna, Südäthiopien, mit Kollegen und der Leiterin einer Frauenkooperative

Gab es bestimmte Ereignisse oder Stationen, die für Ihren Werdegang prägend waren?

Ein Schlüsselerlebnis war meine Zeit in Nordpakistan. Als Praktikant der Aga Khan Foundation im Hunzatal hatte ich dort Zugang zu Mitarbeitern, Entscheidungsträger, Donoren genauso wie zu Lehrern, Handwerkern und Bauern. Ich habe bei einer Familie gelebt und mich wie ein Fisch im Wasser gefühlt. In dieser Zeit verfestigte sich der Wunsch, international arbeiten zu wollen. In meiner ersten Anstellung als Büroleiter in Palästina habe ich dann die Bandbreite der Entwicklungszusammenarbeit kennengelernt – von kleinen Vereinen bis zu den Vereinten Nationen. Die Inszenierung der grossen Organisationen mit ihrer ausufernden Bürokratie hat mich dabei nachhaltig verstört. Das hat mich zu dem Entschluss bewegt, beruflich in der zivilgesellschaftlichen EZA zu bleiben.

Gab es bestimmte Personen, die für Ihren Werdegang prägend waren?

Ich hatte das Glück, während dem Studium und in den ersten Berufsjahren drei Mentoren zu begegnen: meinem Ökonomieprofessor, der mich gelehrt hat, vermeintliche Wahrheiten zu hinterfragen. Mein erster Chef, der mir eine Führungsposition anvertraute und einen mittlerweile pensionierten Kollegen, der mir vorgelebt hat, wie man trotz Frustration und Rückschlägen stets optimistisch bleibt.

 

Hat Sie Ihr Umfeld in Ihrem Werdegang unterstützt?

Obwohl meine Eltern anfänglich mit meinem Beruf wenig anfangen konnten, haben sie mich dennoch immer unterstützt. Erst als sie mein Buch gelesen haben, wurde ihnen klar, was ich so mache.

 

Welchen Tätigkeiten gehen Sie derzeit nach?

Zurzeit ist es ein bunter Mix an Tätigkeiten. In meiner Teilzeitanstellung verantworte ich die Programme von HORIZONT3000 in Uganda und Äthiopien. Ich rekrutiere Ausreisende und bereite sie auf ihren Auslandseinsatz vor. Von der Projekteinreichung bis zur Berichtslegung an die Fördergeber begleite ich Entwicklungsprojekte, die mit lokalen Partnern umgesetzt werden. Dabei reise ich auch regelmässig nach Ostafrika.

Abgesehen von diesen Projektreisen findet die Tätigkeit bei HORIZONT3000 vornehmlich im Büro statt. Abwechslung bringt für mich die Selbstständigkeit. Auf der Bühne fühle ich mich zu Hause – sei es als Universitätslektor, Redner, Seminarleiter oder Moderator.

Seminare, Key Notes und Workshops – Die grosse berufliche Leidenschaft

Erfüllt Sie das, was Sie derzeit machen?

Absolut. Mein derzeitiger Mix an Tätigkeiten ist sehr abwechslungsreich und spannend! In der gelebten Praxis bei HORIZONT3000 bin ich ständig am Puls und kann Erfahrungen und Wissen somit auch glaubwürdig weitergeben und vermitteln. Das Wechselspiel von Theorie und Praxis ist für mich eine perfekte, unabdingbare Ergänzung, die mir auch bei meiner eigenen Reflexion sehr hilfreich ist.

 

Denken Sie, dass Sie selbst darauf einen Einfluss haben, ob Ihre Tätigkeiten erfüllend sind?

Auf meinem Schiff bin ich der Kapitän. Wenn ich merke, dass das Schiff Schlagseite bekommt, muss ich gegensteuern. In der Anstellung bei HORIZONT3000 kann ich viel gestalten, wenn ich es schaffe, Geldgeber von Projekten zu überzeugen. In der Selbständigkeit liegt es ausschliesslich an mir, ob die Tätigkeit erfüllend ist oder nicht. Ich entscheide, was ich mache, wieviel Zeit ich investiere oder ob ich was Neues ausprobiere.

Was oder wer inspiriert Sie im Alltag?

Ein Netz von Vertrauten hier und in den Partnerländern. Ich tausche mich oft aus, pflege mein Netzwerk und kommuniziere regelmässig, so stosse ich auf neue Themen.

 

Was oder wer gibt Ihnen im Alltag Kraft und Energie?

  • Meine Lebensgefährtin mit ihren klaren Werten
  • Mein 16-jähriger Sohn und unsere Gespräche
  • Die Familie und die Zeit, die wir miteinander verbringen
  • Regelmässig Laufen, um den Kopf freizubekommen und den Körper zu spüren.

 

Es gibt «magische Momente», in denen alles zu passen scheint. Momente, die erfüllen, inspirieren und Kraft geben. Momente, die bestätigen, dass sich der Einsatz lohnt und dass das, was man macht, sinnhaft und wertvoll ist. Haben Sie solche Momente in Bezug auf Ihre eigenen Tätigkeiten schon erlebt?

Ja, bei Projektreisen gibt es solche Momente. In Äthiopien unterstützten wir Kinder mit Behinderung, um ihnen den Schulbesuch zu ermöglichen. Meist ging es um Physiotherapie und Heilbehelfe. Ein Mädchen, Yewubnesh, tat sich besonders schwer, im Alter von fünf Jahren konnte sie sich nur an einem Barren entlanghangeln, aber noch immer nicht gehen. Drei Jahre später – ich war da bereits in einer anderen Mission unterwegs – habe ich sie zufällig auf der Strasse wiedergesehen – beim Ballspielen mit Gleichaltrigen. Ich habe sie sofort erkannt, blieb mit offenem Mund stehen und musste mich erst fassen. Ein unvergesslicher Moment.

Magische Momente der alltäglicheren Art finde ich auch in meiner freiberuflichen Tätigkeit. Nach jedem Seminar bitte ich die TeilnehmerInnen, mir auf einen ansprechend gestalteten Flipchart offenes Feedback zu geben. Die Wertschätzung, die man in diesen Minuten geballt erhält, ist magisch.

Mit Yewubnesh in Äthiopien: Ein Mädchen mit Behinderung, das Ballspielen lernte.

Tun Sie aktiv etwas dafür, damit sich solche magischen Momente einstellen können?

Ich setze mich mit Land und Leuten auseinander und versuche die Lebensrealität meiner KollegInnen in Uganda und Äthiopien so gut wie möglich zu verstehen. Über die Jahre haben sich Freundschaften entwickelt, die Einblicke zulassen, die sonst verborgen bleiben. Um die Magie zuzulassen, braucht es aber Offenheit und Unvoreingenommenheit – was mir nicht immer gelingt.

 

Gibt es Momente, in denen Sie an dem, was Sie machen, zweifeln?

Diese Momente gibt es immer wieder. Ich begann zu zweifeln, wenn ich es in Projekten mit Korruption zu tun hatte oder Projekte anders gelaufen sind, als geplant. Mittlerweile hilft mir meine jahrelange Erfahrung, mit solchen Rückschlägen professionell umzugehen. Früher nahm ich solche Rückschläge und Enttäuschungen persönlich, heue gelingt es mir besser mich abzugrenzen.

 

Gibt es etwas, was Sie rückblickend anders machen würden?

Nein.

 

Möchten Sie mit Ihren Tätigkeiten etwas zur Gesellschaft beitragen?

Ich sehe meinen Beitrag zur Gesellschaft als sehr bescheiden an. Jeder freiwillige Feuerwehrmann und jeder Rot Kreuz Helferin leistet viel mehr. Was ich einbringen möchte ist, schwer zu vermittelnde entwicklungspolitische Themen so aufzubereiten, dass sie für eine interessierte Öffentlichkeit verständlich und relevant sind. Was ich in nächste Zeit intensiver betreiben möchte ist das Mentoring von jungen Menschen, die sich in der EZA engagieren oder weiterentwickeln wollen. Immer wieder fragen Studienabsolventen bei mir an, wie sie in die EZA einsteigen können, dafür möchte ich mir in Zukunft noch mehr Zeit nehmen.

 

Ist Ihnen die Anerkennung von anderen Personen bzw. von der Öffentlichkeit wichtig?

Früher war mir das wichtig, auch um mir einen Bekanntheitsgrad in der österreichischen Fachöffentlichkeit aufzubauen. Mittlerweile sehe ich das gelassener. Eine schöne Anerkennung ist, wenn Leute, die ich nicht kenne, nach einem Vortrag spontan auf mich zukommen und sagen: «Spannend war‘s, da konnte ich mir einiges mitnehmen.» Die grösste Anerkennung ist die unausgesprochene, aber sichtbare: beispielsweise wenn ich sehe, wie sich die Lebensrealität von Menschen aufgrund unserer Arbeit konkret verbessert hat.

 

Wie gut können Sie von dem, was Sie beruflich tun, leben?

Ich kann weder von meinem Angestelltengehalt noch von meiner selbständigen Tätigkeit alleine leben. Es funktioniert nur in Kombination.

 

Gibt es etwas, das Sie derzeit besonders beschäftigt?

Zurzeit beschäftigt mich die politische Lage in unseren Partnerländern, und hier insbesondere der Konflikt in Äthiopien, der sich jederzeit zu einem Flächenbrand am Horn von Afrika ausweiten kann. Die Einschränkungen, mit denen die Zivilgesellschaft in vielen Ländern zunehmend konfrontiert ist, macht Sorge. In den letzten Jahren wurden die Zügel angezogen und die Arbeit von Nichtregierungsorganisationen erschwert, besonders wenn sie sich zu Menschenrechtem engagieren. Das alles versuche ich auch in unserem Buch «Entwicklungszusammenarbeit im Umbruch» zu verarbeiten, das 2021 in dritter Auflage erscheinen wird.

 

Gibt es etwas, womit Sie sich in Zukunft gerne (verstärkt) beschäftigen würden?

Ich möchte mich noch mehr mit Rhetorik beschäftigen – im Alter möchte ich wieder als Trauerredner aktiv werden – und vielleicht als Fremdenführer in Wien.

 

Wofür sind Sie im Leben besonders dankbar?

Für meine Familie – meine Gesundheit – und für das Privileg, in der Entwicklungszusammenarbeit tätig sein zu können.

Interview
Laura Hilti, November 2020


Illustrationen

Stefani Andersen


Links

www.ottacher.at

 

Credits
Seminare, Key Notes und Workshops: Markus Sepperer
Alle anderen Fotos: privat

Dieses Interview ist Teil des Projekts «Magic Moments» des Kunstvereins Schichtwechsel, in dessen Rahmen Menschen zu ihrem Werdegang, ihren Tätigkeiten sowie magischen und schwierigen Momenten befragt werden.

Das Projekt wird gefördert durch die Kulturstiftung Liechtenstein und die Stiftung Fürstl. Kommerzienrat Guido Feger.

 

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