Stefanie Thöny hat an der Uni Zürich Publizistik, Umweltwissenschaft und Ethnologie studiert. Danach arbeitete sie in der Umweltbildung und in einem Asylzentrum. Da ihr die Arbeit mit unterschiedlichen Menschen sehr viel Freude bereitete und erfüllend war, beschloss sie, Soziale Arbeit zu studieren. Seit acht Jahren arbeitet sie im Frauenhaus Zürich, das 24 Plätze für gewaltbetroffene Frauen mit und ohne Kinder bietet. Das Angebot umfasst Notunterkunft, Schutz und Sicherheit, psychosoziale Beratung, juristische Informationen und Vernetzung. Das Frauenhaus bildet somit einen Rahmen für die wichtige erste psychische Stabilisierung und Traumabewältigung. Stefanie Thöny ist in Liechtenstein aufgewachsen und lebt inzwischen in Zürich. Zu ihren Hobbys zählen Klettern, Thaiboxen sowie Kunst und Kultur. Sie ist 41 Jahre alt, verheiratet und Mutter von zwei kleinen Kindern.

Welchen Tätigkeiten gehen Sie derzeit nach?

Ich arbeite 60 % im Frauenhaus in Zürich. Dort berate und begleite ich die Frauen mit ihren Kindern, welche bei uns mehrheitlich Schutz vor ihrem gewalttätigen Partner und Vater suchen. Daneben bin ich Mutter von zwei kleinen Kindern.

Erfüllt Sie das, was Sie derzeit machen?

Ich bin durch meine Arbeit im Frauenhaus sehr erfüllt. Ich finde meine Arbeit, auch nach mehreren Jahren, sehr abwechslungsreich und spannend. Ich arbeite mit unterschiedlichen Fachbereichen und Fachpersonen zusammen. Der Alltag in einer Krisenintervention ist schnell und immer wieder überraschend. Ich schätze die grosse Bandbreite an Tätigkeiten, sei dies die eher klassische soziale Arbeit und die damit zusammenhängende Beratung und Vernetzung der Frauen sowie das – durch das Zusammenleben gegebene – Teilen vom Alltag, das gemeinsame Essen, Ausflüge, Feste… Dies ermöglicht eine grosse Nähe und Vertrautheit zwischen den Bewohnerinnen und Mitarbeiterinnen. Dadurch, dass die meisten unserer Klientinnen einen Migrationshintergrund aufweisen und aus unterschiedlichen Schichten kommen, lerne ich immer wieder neues über unterschiedliche Kulturen und Lebenswelten. Hinzu kommt, dass unsere Klientinnen und ihre Kinder uns Mitarbeiterinnen sehr viel Dankbarkeit und Wertschätzung entgegenbringen und die Zeit im Frauenhaus für viele der Klientinnen und Kinder eine wichtige Zeitspanne in ihrem Leben bedeutet. Häusliche Gewalt kommt übrigens in allen Kulturen und Schichten vor. Schweizerinnen und Frauen aus höheren Schichten sind im Frauenhaus jedoch unterrepräsentiert, weil sie meist bei der Familie, bei Bekannten oder im Hotel unterkommen und die ambulanten Opferberatungsstellen nutzen.

Was oder wer gibt Ihnen im Alltag Kraft und Energie?

Bei der Arbeit geben mir meine Mitarbeiterinnen Kraft und Energie, da wir einen sehr offenen und unterstützenden Umgang pflegen. Dasselbe gilt für meine Chefin, weil sie uns sehr viel Freiheit lässt, ich aber weiss, dass ich auf sie zählen kann, wenn ich etwas brauche. Nicht zuletzt geben mir auch unsere Bewohnerinnen Kraft, da ich sehe, wie sie bei uns zu neuem Selbstbewusstsein und neuer Stärke gelangen.

 

Es gibt «magische Momente», in denen alles zu passen scheint. Momente, die erfüllen, inspirieren und Kraft geben. Momente, die bestätigen, dass sich der Einsatz lohnt und dass das, was man macht, sinnhaft und wertvoll ist. Haben Sie solche Momente in Bezug auf Ihre eigenen Tätigkeiten schon erlebt?

Wenn ich eine Frau oder ein Kind sehe, wie diese nach einigen Tagen oder Wochen im Frauenhaus aufblühen, sich entfalten, sich freier bewegen, lebendiger werden und lächeln, dann sind das für mich magische Momente. Mitzuerleben, wie Personen wieder zu sich selber, zu ihrer ursprünglichen Kraft zurückfinden, hat für mich etwas sehr Magisches, da es mit einer inneren und äusseren Verwandlung einhergeht.

 

Tun Sie aktiv etwas dafür, damit sich solche magischen Momente einstellen können?

Wir versuchen im Frauenhaus einen Raum zu schaffen, in welchem sich die Kinder und Frauen sicher fühlen, einerseits durch die äusseren Gegebenheiten, den anonymen Ort, die Sicherheitsvorkehrungen und andererseits durch die Beratung und Unterstützung. Dadurch kann sich eine oftmals über Jahre aufgebaute und aufrechterhaltene Spannung und Angst langsam lösen und eine erste Stabilisierung stattfinden.

Aktion des Frauenbündnisses gegen Gewalt an Frauen anlässlich des Frauenstreiks vom 14.6.2019
Demo anlässlich des Frauenstreiks

Gibt es Momente, in denen Sie an dem, was Sie machen, zweifeln?

Wenn ich in der Zeitung von einem Femizid – einem Frauenmord – lese, habe ich Angst. Angst, dass ich die getötete Frau kannte, Angst, Trauer und Wut wenn ich an das Leid der Familie der Frau und falls vorhanden, vor allem deren Kinder denke. Dann werde ich wütend darüber, dass wir als Gesellschaft solches Leid nicht verhindern können und dass es uns nicht gelingt, häusliche Gewalt zu stoppen. In solchen Momenten versuche ich, an die Frauen zu denken, welchen es gelungen ist, aus einer Gewaltbeziehung zu entkommen, an die Kinder, welchen damit ein Aufwachsen in einer gewaltfreien Umgebung ermöglicht wurde.

Weiter frustriert es mich, wenn ich miterlebe, wie eine Frau nach einigen Wochen im Frauenhaus zu ihrem gewalttätigen Partner zurück muss, da sie Angst davor hat, andernfalls ihren Aufenthaltsstatus in der Schweiz zu verlieren. In solchen Momenten versuche ich, an die kleinen Erfolge zu denken, die in dieser Hinsicht bereits erreicht wurden, wie die Möglichkeit des Härtefalls. Der Härtefall erlaubt es Personen, die von häuslicher Gewalt betroffenen sind, in der Schweiz zu bleiben, obwohl ihre Ehe aufgelöst wird und obwohl sie noch nicht die normalerweise benötigten drei Jahren Verweildauer in der Schweiz sind. Leider sind in der Praxis einige Hürden zur Erreichung eines Härtefalls gegeben, wie beispielsweise «eine gewisse Dauer und Intensität der häuslichen Gewalt», welche es zu belegen gilt. Ich hoffe, dass wir in Zukunft nicht mehr wegen unserem Geschlecht oder der Herkunft diskriminiert werden, sondern alle die gleichen Rechte haben werden.

Möchten Sie mit Ihren Tätigkeiten etwas zur Gesellschaft beitragen?

Natürlich hoffe ich durch meine Arbeit etwas zu einer egalitäreren und gleichberechtigteren Gesellschaft beizutragen und Frauen und ihre Kinder dabei zu unterstützen, ein selbstbestimmtes Leben, frei von Gewalt, zu leben.

 

Gibt es etwas, womit Sie sich in Zukunft gerne (verstärkt) beschäftigen würden?

Ich würde mich in Zukunft gerne vermehrt in die Politik einmischen und mich auch auf diesem Weg für eine egalitäre, gleichberechtigte und ökologische Gesellschaft einsetzen.

 

Wofür sind Sie im Leben besonders dankbar?

Für meine Familie, meine Freunde und meine Arbeit.

Interview
Laura Hilti, August 2020


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Stefani Andersen


Credits

Portraitfoto: Stefanie Thöny
Frauenstreik: Hamid Khoshamanzar

Dieses Interview ist Teil des Projekts «Magic Moments» des Kunstvereins Schichtwechsel, in dessen Rahmen Menschen zu ihrem Werdegang, ihren Tätigkeiten sowie magischen und schwierigen Momenten befragt werden.

Kuratiert von Stefani Andersen und Laura Hilti, Kunstverein Schichtwechsel.

Gefördert durch die Kulturstiftung Liechtenstein und die Stiftung Fürstl. Kommerzienrat Guido Feger.

 

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