Spiritualität?

Das Hauptproblem des heutigen Theaters ist denn auch die Abwesenheit von Spiritualität. […] Ja, dass es sich bei Kunst um etwas handelt, was auf das Höchste zu schützen und mit Vorsicht zu behandeln ist. Und zwar, weil Kunst die einzige Berechtigung der menschlichen Rasse ist. Denn was sonst ist die Legitimität? Die Natur kaputt zu machen? Das ist keine Berechtigung. Alles andere, was die Menschheit herstellt, muss entsorgt werden. Bei der Kunst ist das völlig anders. Da werden Sachen behalten, restauriert und gepflegt. Warum wohl? Weil alle wissen, dass die Kunst es ist, für die es sich gelohnt hat, dass sich die Menschheit über zwei Millionen Jahre hinweg entwickelt hat. Das nenne ich Spiritualität.

 

Sie fordern mehr Verantwortung?

Am Theater ist ja alles bezahlt von der Gesellschaft. Wozu? Dass jemand etwas macht, weil es ihn gerade irgendwo kratzt? Nein, die bildende Kunst ist da viel mutiger. Da juckt es einen, dann malt oder baut er einen Quark. Macht ein Video oder so. Aber die bildenden Künstler sind selbstständig. Die stellen sich auf den Markt. Die Theaterleute fressen sich voll mit Subventionen. Ich finde das ungerecht. […] ich finde, die Theaterleute sollten sich hinstellen wie die bildenden Künstler. Oder wie jemand, der ein Buch schreibt und damit seine Haut riskiert. Die Leute, die in den Stadttheatern arbeiten, sind alle abgesichert, mit 13. Monatsgehalt. Furchtbar. Wenn man subventioniert ist, dann muss man Verantwortung übernehmen, etwas riskieren, indem man sich mit Dingen beschäftigt, die einen übersteigen. Nur das geschieht heute nicht mehr.

 

Praktisch ist so ein Handy schon.

Das ist das Schlimme: Es ist bequem. Die Bequemlichkeit ist der grösste Feind der Kunst. […] Dem Augenblick wird die Chance nicht mehr gegeben, sondern er wird ununterbrochen zerstört durch das Handy, worin man seine momentane Meinung eingibt. Da entstehen die schlimmsten Angelegenheiten. Besser, man schläft eine Nacht darüber.

 

Sie selbst nutzen das Handy aber auch.

Weil es bequem ist. Ich bin ja auch ein alter Sack. Ich brauch mich nicht mehr anzustrengen. Ich mache auch nichts mehr. Ich warte darauf, dass ich sterbe.

 

Was machen Sie denn jetzt den ganzen Tag?

Ich gucke aus dem Fenster. Das ist wunderbar. Schauen Sie nach draussen: Das soll Schnee sein, da lacht man sich doch kaputt. Im Januar in Zürich, und das wird uns als Schnee geliefert? Das ist doch grotesk!

 

Wollen Sie das hier noch lesen, bevor es gedruckt wird?

Nein, schreiben Sie, was Sie wollen, ist mir doch scheissegal.

 

 

Peter Stein, Theaterregisseur

Peter Stein, geboren 1937 in Berlin, gehört mit seinen werktreuen Inszenierungen zu den bedeutendsten Regisseuren. Während der skandalträchtigen Ära von Peter Löffler (1969/70) entwickelte Stein am Zürcher Schauspielhaus das Mitbestimmungsmodell, dank dem sich dann die Berliner Schaubühne zum Erfolg entwickelte. Nicht zuletzt wegen Schauspielern wie Bruno Ganz, Edith Clever, Otto Sander, Jutta Lampe (mit der Stein liiert war) sowie Botho Strauss als Dramaturgen. In dieser Konstellation entstand auch die Verfilmung von Gorkis «Sommergästen». Nach 15 Jahren an der Schaubühne war Stein seit 1985 als freier Regisseur tätig. Von 1991 bis 1997 leitete er das Schauspiel der Salzburger Festspiele. Zu Stein letzten Inszenierungen gehören Goethes «Faust» im Rahmen der Expo 2000, «Wallenstein» am Berliner Ensemble sowie die «Zauberflöte» an der Mailänder Scala von 2016. Stein lebt in Italien.

 

Auszug aus einem Interview mit Andreas Tobler, Tages-Anzeiger 23.1.2018, S. 31