«Vielleicht geht es in der Kunstvermittlung – so wie in der Kunst auch – genau darum: Räume zu schaffen, in denen Uneinigkeit und Uneinverstandensein kultiviert werden können, in denen noch nicht alles fixiert und in Hierarchien eingeordnet ist. Vielleicht kann man Räume herstellen, in denen nichts mehr so sicher ist, wie es schien, sondern prekär bleibt oder wird.»

Eva Sturm

 

«Aber ist das Museum wirklich gut geeignet, um den Widerstreit zu kultivieren? Kann es ein Ort sein, an dem die Herstellung einer Öffentlichkeit im Sinne eines Streitraumes für Stimmen, von denen keine zum Schweigen gebracht wird, gelingt?

Will sich das Museum in der Gegenwart als Ort für Öffentlichkeit verstehen, der den von feministischer Seite kritisierten Habermass’schen Entwurf einer Versammlung aufgeklärter weißer männlicher Bürgerlichkeit überschreitet, so steht am Anfang die Anerkennung der Tatsache, dass es zunächst das Museum selbst ist, welches heute auf die Herstellung solcher Öffentlichkeiten angewiesen ist. Es ist zuallererst die Institution selbst, die von ihnen profitiert, denn sie helfen ihr, ihre Existenz in der Gegenwart zu legitimieren. Das Museum muss sich überlegen, was es denen, die ihm auf diese Weise helfen, zurückgeben will. Der artikulierte Wille zur Veränderung wäre der erste Preis, den das Museum an diese zeitgenössisch entworfene Öffentlichkeit zu zahlen bereit sein müsste. Das bedeutet, es muss sich in diesem Prozess fragil, angreifbar, disponibel und transformierbar machen. Ein riskantes Unterfangen, das sich zu einer Bedrohnung ausweiten kann.»

Carmen Mörsch

 

«Wir plädieren hier für eine ‹differentielle Kunstvermittlung›, also eine Kunstvermittlung, die nicht auf Selbstfindung aus ist, auf Wahrheit und Abschluss, sondern die auf Bewegung und auf Differenz setzt, auf das Heterogene, das Nicht-Letztgültige, das Analytische und Kritische. Wir plädieren für eine Kunstvermittlung, die sich ‹künstlerisch› versteht, und das heißt nicht, dass sie selbst Kunst ist oder sein soll, sondern von Kunst lernt. Sie lernt von Kunst zum Beispiel, dass es keine Lösungen gibt, sondern Setzungen in unterschiedlichen Räumen und in der Zeit, stets medial realisiert, kontextgebunden, aus Bündeln unterschiedlicher Vorgangsweisen und Methoden gebaut. Eine differentielle Kunstvermittlung versteht sich als forschendes und verknüpfendes Vorgehen, das seine eigene Medialität, seine eigenen Voraussetzungen und sein Zusammengesetztsein je konkret befragt und thematisch macht.»

Eva Sturm

 

«Wir wünschen uns, dass diese Anstrengung langfristig dazu führt, dass das Museum eine öffentliche Sphäre bildet, in der eine andere Art der Vielstimmigkeit die Handlungen strukturiert. […] Eine Vielstimmigkeit unterschiedlicher Positionalitäten und ProtagonistInnen, bei der gleichzeitig und vor allem die Erfahrung der Begrenztheit und der Grenzhaftigkeit der Stimme möglich wird. Die das Schweigen als Form der Artikulation würdigt. Wo Widersprüchlichkeiten, Wiederholungen, Unterbrechungen und Überlagerungen und vor allem deutlich unterschiedliche SprecherInnenweisen und -positionen wuchern können. Wo Machtverhältnisse nicht nur benannt, sondern auf der Ebene der Repräsentation bearbeitet werden können. Und wo diese öffentliche Sphäre von der Institution unterstützt und aktiv hergestellt wird – zum Beispiel durch Ressourcen, durch Verzicht auf Privilegien, durch Durchlässigkeit, Transparenz, Offenheit und die Dekonstruktion der eigenen Hierarchien: Performing the Museum as a Public Sphere.»

Carmen Mörsch

 

Auszug aus «Vermittlung – Performance – Widerstreit» von Carmen Mörsch und Eva Sturm, Art Education Research No. 2/2010, ZHdK Departement for Cultural Analysis, Institute for Art Education