Dies ist ein Märchen. Eines Tages wachen drei Menschen vor ihren Häusern auf und sind grösser als diese. Und da sie so gross geworden sind – oder sagen wir, ihre Körper – ist es ihnen nicht mehr möglich, nach drinnen zurückzugehen, was aber nicht schlimm ist, denn da drinnen haben sie nur angehäuft – immer noch mehr Selbst und immer noch mehr Subjektivität … Dies ist ein Märchen. Das Publikum ist schon da und die Schauspieler streiken. Die drei Übriggebliebenen, Herr F, Frau C und Frau L, versuchen ein Theaterstück auf die Beine zu stellen, etwas wie „Unsere kleine Stadt“. Und schon fragt man sich auf der Bühne: „Wieso müssen WIR denn jetzt ran? Nur weil die Schauspieler streiken?“ – „Ja genau. Weil Kreativität nun mal von jedem erwartet wird. Dagegen kannst du nichts tun. Früher hätten wir dann wenigstens eine Rolle spielen können, aber jetzt müssen wir wir selbst sein. Jetzt betrifft es alle. Zieh das an!“ Die Schauspieler lassen sich bei der Arbeit zusehen, erleben die gleichzeitige Mythologisierung und Entmythologisierung der Kunst, ihrer Kunst, wobei von Anfang an nicht ganz klar ist, ob aufgrund der Normalisierung kreativer Prozesse die Zuschauer überhaupt einer Geschichte folgen wollen oder nicht doch eher mit der Illusion eines Zuschauers, der einer Geschichte folgen will, beschäftigt sind …

Rund sechs Uraufführungen realisiert René Pollesch in einer Spielzeit an wechselnden Häusern. Von Ort zu Ort entwickeln sich seine Themen weiter. In „Calvinismus Klein“ (Pfauen 2009) wurde noch die Möglichkeit diskutiert, nach der Ära des interaktiven Theaters die Stunde der „Interpassivität“ und des interpassiven Theaters einzuläuten, das es einem erlaubt, Erfahrungen zu delegieren … In „Fahrende Frauen“ werden die Eigenschaften und Anziehungskräfte der Kreativität erörtert, gemäss dem Titel eines neu erschienenen Sammelbands: „Kreation und Depression – Freiheit im gegenwärtigen Kapitalismus“.

Quelle Text & Bild: Schauspielhaus Zürich