Ein Gespräch mit Heinz-Norbert Jocks

«Da sind die Notwendigkeit, da zu sein, und gleichzeitig die Unmöglichkeit, teilzuhaben. Ich bin kein handelnder Mensch, eher zurückgezogen, also ein Randmensch in der Dauerrolle des Beobachters. Aber dennoch hege ich wie alle anderen den Wunsch, mit der Welt im Einklang, letztlich ein Teil von ihr, eben präsent zu sein. Genau das fand ich in der allgemeinen Fotografie nicht, sondern erst in der Kriegsfotografie. Um wirklich da zu sein und um mich voll zu entfalten, muss ich mich extremen Situationen aussetzen, wo ich mit Chaos, Gewalt, Gefahr und Leid konfrontiert bin.»

«Ist es legitim, sich über jemanden zu beugen, der gerade stirbt? Ist es verwerflich, eine weinende Frau zu fotografieren? Und so weiter. Wenn man im Innersten weiß, dass man als Kriegsfotograf eigentlich weder jemandem hilft noch sonst wie gebraucht wird, stellt sich die Frage nach der Rechtfertigung der eigenen Arbeit als Fotograf. Ich dachte immer daran, dass, wer das Risiko eingeht, auf diese Weise sein Eintrittsticket bezahlt. Weder eine kugelsichere Weste tragend noch einen gepanzerten Wagen fahrend, setze ich mich, sobald ich mich in Kriegsgebiete begebe, ebenso großen Gefahren aus wie diejenigen, die ich fotografiere. Das heißt, als einer unter vielen riskiere ich mein Leben, wodurch mir auch das Recht zukommt, dort zu sein.»

«Paradoxerweise bin ich allem um so näher, je mehr Distanz ich wahre. Um so dichter bin ich dann auch an dem Lauf der Geschehnisse. Genau das versuche ich in meinem fotografischen Werk auszudrücken, indem ich so wenig wie möglich von mir einfließen lasse und dabei so weit wie möglich zu verschwinden versuche. Dadurch maximiert sich die Effektivität der Fotografie. Ich wehre mich gegen stilistische Absichten, wenn diese nicht existenziell bedingt sind. Es muss durch die Existenz gerechtfertigt sein.»

«Erst später lernte ich den Reichtum, das Chaos, die Schönheit, spezielle Aspekte des Krieges und schließlich etwas kennen, was ebenso wichtig und mir bereits in Russland begegnet war: In diesem unterentwickelten, krisengebeutelten Land, das sich im Kriegszustand befand, stieß ich völlig unerwartet auf den Segen der Menschlichkeit. Ich entdeckte zu meiner Verwunderung, dass man dort humaner ist als hier bei uns. Bei dem, was ich tue, handelt es sich also auch um eine Suche nach Menschlichkeit.»

«Krieg ist kein permanentes Grauen, sondern auch Langeweile, eine Burleske, Groteske, Gelächter, Humor. Alle möglichen Gefühle, die wir auch anderswo empfinden. Nur mit dem Unterschied, dass sie viel echter, auch stärker wirken. Im Krieg erlebt man Momente extremster Einsamkeit, wo man mit sich alleine ist. Außerdem das Entdecken der Natur.»

«Ich verbringe viel Zeit mit Soldaten, aber es sind eher stumme Begegnungen. Genau das schätze ich an diesem Beruf, also die Tatsache, sich in der Natur aufzuhalten, wo man mit einfachen Menschen die einfachsten Dinge teilt. Soldaten, wie ich sie in Afghanistan, Ruanda oder in Bosnien traf, sind meistens einfache Menschen, ausgestattet mit dem gesunden Menschenverstand von Landmenschen mit enger Beziehung zur Natur. Er weiß, wie man Feuer macht, welches Holz man schlagen muss oder wie man sich nachts im Wald orientiert. Sein Bezug zum Leben ist viel elementarer.»

«Man löst sich auf. Es läuft darauf hinaus, nicht mehr zu existieren. Ich habe dafür keine andere Beschreibung als die des Sichauflösens und des Sichvergessens. Das ist wirklich ein Wort, das gut zu mir passt. Dieses ständige Bedürfnis, weg zu sein, entspringt vielleicht meinem Gefühl der Unzufriedenheit. Ich will mich vergessen, weil das Leben, einfach alles zu kompliziert ist. Sobald man ein fremdes Land bereist, halbiert man diese Lebenskomplexität. Man spricht nicht die Sprache der Menschen, die dort leben, und schon wird alles viel leichter. Natürlich ist das auf Dauer illusorisch und keine Lösung für das Leben, aber es tut gut.»

«Ich bin aktiv, und das ist weder ein Gefühl noch eine persönliche Atmosphäre, sondern mein Zustand. Ich liebe es, etwas zu machen, und verändere mich dabei.»

«Um noch einmal auf das Beispiel Winterreise zurückzukommen: Dort war das Glück, unsichtbar, aber dennoch präsent. Während der viermonatigen Reise befand ich mich in einem glücklichen Zustand. Weil ich mit der Welt auf Tuchfühlung war und weil ich mich anwesend und dabei meine Existenz fühlte. Das Glück ist nicht notwendigerweise ein Gefühl der Glückseligkeit, sondern eher eins der Fülle. So würde ich es definieren. Es fügt sich aus vielen glücklichen Momenten zusammen, die man selten erreicht. Man steht dank des Fotoapparates in einer Beziehung zur Welt, und da scheint es mir überflüssig, das Glück zu illustrieren. Es widerfährt einem viel zu selten, und mich interessiert es als Thema auch nicht besonders. Die Frage ist komplizierter. Es geht nicht allein darum, Glück oder Unglück zu thematisieren. Allem offen gegenüber, mag ich gestörte, chaotische Situationen. Gleichzeitig suche ich aber auch für ein solches Buch die in den kleinsten und alltäglichsten Dingen verborgene Poesie.»

«Wo meine Bilder eingeordnet werden, kümmert mich ebenso wenig wie ihre Verwendung. Der Kreislauf, in dem meine Bilder zirkulieren, ist einer, der sich anschließt. Das Ausstellen in Galerien bedeutet mir aber nicht so viel wie das eigentliche Bildermachen.»

«Natürlich habe ich, während wir hier auf der Terrasse an der Bastille sitzen, Angst, und zwar eine fürchterliche, die mich seit Tagen verfolgt. Es ist eine Angst, von der ich weiß, dass sie weg ist, sobald ich dort gelandet bin.»

Auszug aus: Luc Delahaye, Der Adel der Fotografie, Ein Gespräch mit Heinz-Norbert Jocks, In: Kunstforum International, Bd. 165, 2003.

 

 

Aus der Serie “Winterreise” 1998/1999

 

Aus der Serie “History”

Baghdad

Dead Taliban fighter, Afghanistan

 

A Rally of the Opposition Candidate Alexander Milinkevich, March 12, 2006

 

Afghanistan, 1996

 

 

 

Luc Delahaye, 1962 im französischen Tours geboren, ist Kriegsfotograf, der sich bewusst in Kriegsgebieten absetzt, um dort zu sein und um dort zu fotografieren. Seit 1989 dokumentiert er internationale Krisen und Konflikte. Er veröffentlichte bisher mehrere Bücher, darunter Winterreise, Memo, L’Autre, Portraits. In diesen Tagen erscheint sein jüngstes Buch History. Für seine Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet: unter anderem mit der Medaille d’Or Robert Capa, dem World Press Photo Preis und dem Leica Oskar-Barnack-Preis. Über die existentiellen Beweggründe, seine Erfahrungen der Unmittelbarkeit und die Bedeutung der Fotografie sprach mit ihm Heinz-Norbert Jocks, der ihn mehrfach traf. Zuletzt kurz vor seiner Abreise in Richtung Golf.

 

Quelle Zitate und Biographie: Luc Delahaye, Der Adel der Fotografie, Ein Gespräch mit Heinz-Norbert Jocks, In: Kunstforum International, Bd. 165, 2003.

Quelle Fotos “Winterreise”: 1-3: The Digital Journalist 4: Focus onto Film

Quelle Fotos “History”: The Digital Journalist

Quelle Fotos “Rally” und “Afghanistan”: Art Data Bank