Brian O’Doherty zählt zu den grossen Namen der zeitgenössischen Kunsttheorie. Auf ihn geht der viel zitierte Begriff des «White Cube» zurück, des Museums- und Galerieraums als geschütztem Rahmen für die Kunst.

O’Doherty lancierte ihn 1976 und traf damit den Nerv der Zeit: Denn damals fragten sich Künstler, wo der Ort der Kunst in der Gesellschaft sei. Gehörte sie wirklich ins Museum oder nicht vielmehr nach draussen, mitten in die Gesellschaft?

Diese Diskussion ist brandaktuell, ebenso wie die Frage nach der Rolle der Kunst jenseits kommerzieller Rekorde. Und deswegen ist die Auseinandersetzung mit Brian ODoherty auch für eine jüngere Generation interessant.

DRS 2 Reflexe vom 3.8.2012 (30 min)

 

Auszug aus In der weissen Zelle/ Inside the White Cube, 1996 (Original: 1976), S. 9–11:

Die ideale Galerie hält vom Kunstwerk alle Hinweise fern, welche die Tatsache, dass es “Kunst” ist, stören könnte. Sie schirmt das Werk von allem ab, was seiner Selbstbestimmung hinderlich in den Weg tritt. Dies verleiht dem Raum eine gesteigerte Präsenz, wie sie auch andere Räume besitzen, in denen ein geschlossenes Wertsystem durch Wiederholung am Leben erhalten wird. Etwas von der Heiligkeit der Kirche, etwas von der Gemessenheit des Gerichtssaales, etwas vom Geheimnis des Forschungslabors verbindet sich mit chicem Design zu einem einzigartigen Kultraum der Ästhetik. […]

Eine Galerie wird nach Gesetzen errichtet, die so streng sind wie diejenigen, die für eine mittelalterliche Kirche galten. Die äussere Welt darf nicht hereingelassen werden, deswegen werden Fenster normalerweise verdunkelt. Die Wände sind weiss getüncht. Die Decke wird zur Lichtquelle. Der Fussboden bleibt entweder blank poliertes Holz, so dass man jeden Schritt hört, oder aber er wird mit Teppichboden belegt, so dass man geräuschlos einhergeht und die Füsse sich ausruhen, während die Augen an der Wand heften. Die Kunst hat hier die Freiheit, wie man so sagt, “ihr eigenes Leben zu leben”. Ein diskretes Pult bleibt das einzige Möbel. In dieser Umgebung wird ein Standaschenbecher fast zu einem sakralen Gegenstand, ebenso wie der Feuerlöscher in einem modernen Museum einfach nicht mehr wie ein Feuerlöscher aussieht, sondern wie ein ästhetisches Scherzrätsel. Hier erreicht die Moderne die endgültige Umwandlung der Alltagswahrnehmung zu einer Wahrnehmung rein formaler Werte. Das ist gewiss eine ihrer fatalsten Krankheiten.

Schattenlos, weiss, clean und künstlich – dieser Raum ist ganz whitepages.com der Technologie des Ästhetischen gewidmet. Kunstwerke werden gerahmt, aufgehängt, locker verteilt. Ihre sauberen Oberflächen erscheinen unberührt von der Zeit und ihren Wechselfällen. Hier existiert die Kunst in einer Art Ewigkeitsauslage, und obwohl es viele Perioden und Stile gibt, gibt es keine Zeit. Dieses Aufgehobensein in Ewigkeit verleiht der Galerie den Charakter einer Vorhölle: man muss schon gestorben sein, um dort sein zu können. In der Tat wirkt die Anwesenheit des seltsamsten Möbelstückes in diesem Raum, des eigenen Körpers, überflüssig und aufdringlich. Der Galerie-Raum legt den Gedanken nahe, dass Augen und Geist willkommen sind, raumgreifende Körper dagegen nicht – höchstens, dass die als bewegliche Gliedergruppen für Studienzwecke zugelassen sind. Dieses Paradox à la Descartes wird durch eine Ikone unserer visuellen Kultur bekräftigt, durch das Ausstellungsfoto (“installation shot”) ohne Menschen. Hier endlich sind die Betrachter, wir selbst, eliminiert.

 

Patrick Ireland was the alter ego of Brian O’Doherty, an Irish sculptor, conceptual artist, author, and installation artist. He was born in County Roscommon in 1928 and lives and works in the United States. O’Doherty began signing his work under the name Patrick Ireland in reaction to the Bloody Sunday killings in Derry in 1972. On May 20, 2008, in recognition of the progress for peace in Ireland, O’Doherty ceremoniously buried his alter ego at the Irish Museum of Modern Art in Dublin, and resumed being called by his birth name.

Artikel über den Tod von O’Dohertys Alter Ego Patrick Ireland (The New York Times)

 

 

Bilder: The New York Times, Derek Speirs

Einleitungstext: DRs 2, Reflexe

Zitat: O’Doherty, Brian (1996, engl. Original 1976): In der weissen Zelle. Inside the White Cube. Berlin, Merve, S. 9–11.

CV: Wikipedia (16.8.2012)