Conradin Clavuot schloss 1988 das Architekturstudium an der ETH Zürich ab. Im gleichen Jahr eröffnete er sein eigenes Büro und realisiert seither Projekte in den Bereichen Architektur und Wassermanagement. Er entwickelt Bauten in allen Grössen und Komplexitäten und arbeitet mit verschiedenen Universitäten und Forscher*innen sowie mit Ladakh/Indien betreffs Wassermanagement im Hochgebirge zusammen. Ausserdem war er von 2003 bis 2006 Gastdozent an der ETH Zürich und von 2010 bis 2016 Gastprofessor an der Uni Liechtenstein. Von sich sagt Conradin Clavuot: «Zum Glück bin ich immer noch entdeckungsfreudig und schaue hinter jede Ecke…». Der 58-jährige Architekt lebt heute in Chur. Er ist verheiratet und Vater von vier Kindern. In der Freizeit widmet er sich dem Felsklettern, Skitouren, Biken, Lesen und seiner Familie.

Wo und wie sind Sie aufgewachsen?

In Chur.

 

Könnten Sie Ihren Werdegang schildern?

Primarschule sechs Jahre. Gymnasium sieben Jahre (Typus B, Sprachen), ETH Zürich sechs Jahre.

Eröffnung eigenes Architekturbüro, anfänglich als Generalunternehmer in einer Person :).

Haus Wieland Held, Felsberg/GR, 2000

Gab es bestimmte Ereignisse oder Stationen, die für Ihren Werdegang prägend waren?

Mein Praktikum bei Peter Zumthor (1985) und meine Lehrer an der ETH in den oberen fünf Semestern bzw. dem Diplom: Fabio Reinhart und Miroslav Sik.

Die Erarbeitung und Herausgabe unseres Buches «Die Kraftwerkbauten im Kanton Graubünden», in Zusammenarbeit mit Jürg Ragettli.

 

Gab es bestimmte Personen, die für Ihren Werdegang prägend waren?

Siehe oben. Zusätzlich natürlich meine Frau Claudia.

 

Hat Sie Ihr Umfeld in Ihrem Werdegang unterstützt?

Immer. Mein Vater ist sogar an eine Schlusskritik an der ETH gekommen – als weitaus einziger Vater jemals…! Meine Frau hat mir schon im Studium bei den Abgabeplänen und beim Modellbau geholfen. Gerade im Modellbau ist sie viel besser als ich :).

 

Welchen Tätigkeiten gehen Sie derzeit nach?

Neubau einer Notaufnahmestation an der Psychiatrischen Klinik Waldhaus, Chur/GR (24 Mio)

Neubau von Seniorenwohnen in Ilanz/GR (28 Mio)

Umbau einer ehemaligen Pflegerinnenschule zu Wohnen und Büro in Ilanz/GR (8 Mio)

Drei Schulhausneubauten für die Gemeinde Laax/GR (10 Mio)

Umbau eines alten Schulhauses zu Genossenschaftsleben in Chur/GR (5 Mio)

30 neue Seniorenwohnungen Cadonau, Chur/GR (10 Mio)

Wohnbauten in altem Umfel Weisstorkel Chur/GR (6 Mio)

Wettbewerbe

Kleinzeugs

Haus Raselli-Kalt, Poschiavo/GR, 2002

Erfüllt Sie das, was Sie derzeit machen?

Wie hat doch Marcel Meili mal gesagt: «80 % deiner Zeit brauchst du, um das Schlimmste zu verhindern….» Grad so schlimm ist es nicht :).

Da ich auch die Bürokratien in meinem 10-Personen-Büro mache (exkl. Buchhaltung), bin ich ein Bübchen für alles. Das spricht mir auch zu: Ich bin schlecht, wenn mir langweilig wird oder wenn ich etwas zwei Mal machen muss. Insofern habe ich mit meinem Beruf und mit meiner freien Entscheidungsmöglichkeit im Büro einen absolut genialen, mir zupassenden Beruf gefunden.

Da ich immer noch sieben Tage die Woche meine Arbeit mit meinem Umfeld in Relation setze, sehe ich keine Möglichkeit, mit meiner Arbeit aufzuhören. Würde ich aufhören, verkäme alles nur noch zur Theorie und ich hätte die Anwendung verloren. So werde ich noch etwas weiterarbeiten….

 

Denken Sie, dass Sie einen Einfluss darauf haben, ob Ihre Tätigkeiten erfüllend sind?

Das habe ich sicherlich. Ich gehe positiv denkend und relativierend durch die Welt, versuche mit meinen Partnerinnen und Mitarbeiterinnen eine erfüllende Arbeit zu generieren. Jeder Mensch muss das Gefühl haben, selbst etwas zum Ganzen beitragen zu können und dabei sich auch entfalten zu können und sein Bestes einzubringen.

Ich suche meine Arbeiten im meinem nächsten Umfeld in Graubünden. So verliere ich nicht unnötig Ressourcen für Reisen, fremde Gesetze, endlose Diskussion über buchhalterische Dinge, die mich nicht interessieren etc.

Ortsdurchfahrt Mulegns/GR, Studienauftrag 1. Rang, 2018 (nicht ausgeführt)

Was oder wer inspiriert Sie im Alltag?

Ich mich selbst. Dann meine Frau. Sie bringt immer wieder eine neue Sicht der Dinge. Ich habe sehr gute Leute im Büro.

Ich gehe in Ruhe durch die Landschaft und beobachte, studiere, vergleiche.

Zeitschriften zur Architektur lese ich keine.

 

Was oder wer gibt Ihnen im Alltag Kraft und Energie?

Die Familie: da muss Frieden erfüllen. Berge, Natur an sich, gute Bücher über Architektur, Kontakt mit Mitmenschen, neue und interessante laufende Projekte.

 

Es gibt «magische Momente», in denen alles zu passen scheint. Momente, die erfüllen, inspirieren und Kraft geben. Momente, die bestätigen, dass sich der Einsatz lohnt und dass das, was man macht, sinnhaft und wertvoll ist. Haben Sie solche Momente in Bezug auf Ihre eigenen Tätigkeiten schon erlebt?

Ich war Ende meines Studiums mal allein zum Paxmal raufgegangen (am Walenstadtberg/SG). Es war Herbst, die weite Landschaft war schon weiss eingepackt. Als ich in diesem gefassten Raum stand und gegen die westlichen Berge mich richtete, sagte mir eine «Stimme», dass ich auf dem richtigen Weg sei. Ich solle nur so weitermachen. Gefolgt war dieser Moment von Tränen und Hühnerhaut am ganzen Körper. Das hat mich sehr verwundert, natürlich beflügelt und ich habe noch mehr Vertrauen zu mir bekommen.

Ich nehme an, dass sich dieser Moment aus verschiedensten Gründen zusammenkondensiert hat: Ich durfte im Museum in Frankfurt ausstellen, das Studium war zu Ende, ich freute mich auf die neue Zeit in Graubünden, auf meine Freundin (immer noch Claudia :)), hatte keine Zwänge, war offen für alles, sah den Schnee über der Landschaft als «Reiniger» des Menschenwerkes (und habe so zusätzlich Vertrauen in die Natur gewonnen). Das Hochgefühl habe ich mir aufnotiert und ich bin immer noch stolz, dass ich dieses superschöne Gefühl einmal so richtig erleben durfte.

Ich denke, diese Zeit (zwischen meinem 23. und dem 26. Lebensjahr) war für mich die Zeit des Erwachsenenwerdens. Ich hab mir da auch geschworen, nie mehr zu lügen (auch nicht in der Grauzone), aufhören zu rauchen (das habe ich fünf Jahre gemacht und es hat mich immer gestört), ich habe gelernt, dass ich selbst mein bester und sicherster Wert bin und dass ich darauf auch bauen kann.

 

Tun Sie aktiv etwas dafür, damit sich solche magischen Momente einstellen können?

Ich weiss nicht, ob man dies gezielt machen kann. Vielleicht mit speziellen Techniken?

Ich weiss, wenn ich alleine stundenlang in den Bergen laufen gehe, dann habe ich Momente der grössten Konzentration. Ich glaube, ein solches Gefühl braut sich aus vielen Faktoren zusammen und kann in Höchstausbruch wohl nicht künstlich aufbereitet werden. Wer weiss…?

EFH Carboni-Brot, Rhäzüns/GR, 2014

Gibt es Momente, in denen Sie an dem, was Sie machen, zweifeln?

Du gibst alles und dies wird nicht von allen immer so gesehen. Wenn dann mal komische Reaktionen kommen, dann denkst du, wieso das Ganze? Diese Momente sind zum Glück nicht daily business.

Ich erledige diese Momente, Fragen und Probleme immer so schnell wie möglich. Sonst würds mich auffressen.

Dann öffnen sich wieder die Momente der Erfüllung, der Entdeckung, des Zweifelns am Projekt, des Erhaschens des Momentes der Idee. Dann bin ich schnell wieder glücklich.

 

Können Sie schwierigen Momenten rückblickend etwas Positives abgewinnen?

Nein. Zum Glück hat mir meine Frau beigebracht, dass ich diese Momente so schnell wie möglich durcharbeiten muss. Ich wurde erzogen, dass man das Zeugs in sich reinfrisst. Das wäre als Büroinhaber in Architektur eine sehr schlechte Strategie.

 

Gibt es etwas, was Sie rückblickend anders machen würden?

Was soll ich sagen? Ich denke, ich habe meine Entscheide nicht nur aus dem Bauch gemacht, sondern auch aus Strategie. So hätte ich an der ETH fest unterrichten können, wollte aber meine damals junge Familie nicht missen. Manchmal musst du entscheiden. Und ich bin immer noch glücklich. Das Ganze mit den Entscheiden hat wohl mehr mit deiner Mentalität und mit deinem «Durchs Leben gehen» zu tun, als mit den Entscheiden an sich. Du musst sehen, dass alle Entscheide ihre Vorteile haben und du musst diese halt nutzen. Dann wird’s eh gut.

Haus Kuoni, San Nazzaro/Ti, 2012

Möchten Sie mit Ihren Tätigkeiten etwas zur Gesellschaft beitragen?

Ich möchte, dass die Nutzer und Betrachter meiner Bauten erkennen, dass ich Interesse am Leben habe.

Und dieses Interesse am Leben – im positiven Sinne – möchte ich auch weitergeben an mein Umfeld.

 

Ist Ihnen die Anerkennung von anderen Personen bzw. von der Öffentlichkeit wichtig?

Ja, manchmal brauchts diese Anerkennung sicherlich auch. Ob man einen Wettbewerb gewinnt oder ob man einen Preis für eine erstellte Baute erhält: das motiviert. Da bin ich immer noch in einem gewissen Wettbewerbsdenken, auch wenn ich selbst nichts publiziere oder an Redaktionen liefere.

Ich bin froh, wenn ich Ruhe für die Arbeit habe. Aber wenn sich dann doch jemand interessiert, jemand den nicht ich selbst veranlasst habe…, dann mache ich mit :).

Die Anerkennung von anderen Personen ist mir weniger wichtig. Ich weiss, wo ich meine Schwächen habe und muss nicht verwischen.

Meine Familie ist mir aber in allem das Wichtigste. Die stehen immer hinter mir und das brauchts doch halt auch mal.

 

Wie gut können Sie von dem, was Sie beruflich tun, leben?

Ich betreibe das Büro seit 33 Jahren und das Geld hat nur manchmal gefehlt. In der Regel hab ichs aber im Griff :).

Ice Stupa Roseg, Grossprojekt Gletscherwachsen MortAlive, 2016

Gibt es etwas, das Sie derzeit besonders beschäftigt?

Nein, nichts Aussergewöhnliches.

 

Gibt es etwas, womit Sie sich in Zukunft gerne (verstärkt) beschäftigen würden?

Vielleicht wieder mal ein bis zwei Semester Schule geben an einer guten Uni.

Dann wird’s eine neue Monografie über meine Arbeiten geben. Die wird supergut! Ausgabe wohl im 2022.

 

Wofür sind Sie im Leben besonders dankbar?

Wenn ich 100 werde, meine Familie ebenso und wenn wir glücklich sind.

Interview
Laura Hilti, Juni 2021


Links

www.clavuot.ch
www.glaciersalive.ch


Credits

Fotos Haus Kuoni, Haus Wieland Held, Haus Raselli-Kalt: Ralph Feiner
Alle anderen Fotos: Conradin Clavuot

Dieses Interview ist Teil des Projekts «Magic Moments» des Kunstvereins Schichtwechsel, in dessen Rahmen Menschen zu ihrem Werdegang, ihren Tätigkeiten sowie magischen und schwierigen Momenten befragt werden.

Das Projekt wird gefördert durch die Kulturstiftung Liechtenstein und die Stiftung Fürstl. Kommerzienrat Guido Feger.

>>> Alle Interviews