Arno Oehri machte eine Ausbildung als Grafiker und ist seit 1986 freischaffender Multimedia-Künstler, Filmemacher und Projektleiter. Er verfügt ausserdem über eine Zusatzqualifizierung in Musiktherapie und ist seit 2018 EEA Grants-Koordinator im Bereich Kultur für Liechtenstein. Seine Spezialität ist das interdisziplinäre, raum-, orts- und situationsspezifische Arbeiten als Künstler, Gestalter und Regisseur und die damit verbundenen Aufgaben als Initiator und Projektmanager. Ansonsten liest er viel, hört Musik und spaziert gern durch die Natur. Arno Oehri lebt in Ruggell, Liechtenstein. Er ist verheiratet, hat einen Sohn und ist 59 Jahre alt.

Wo und wie sind Sie aufgewachsen?

Aufgewachsen bin ich als drittes von fünf Geschwistern in Ruggell, Liechtenstein. Eine ganz normale, typisch liechtensteinische Familie der 60er und 70er Jahre.

Weihnachten, vermutlich 1974. Meine erste Gitarre. Ich hätte allerdings Stein und Bein geschworen, dass ich die Gitarre zu Ostern bekommen habe.

Könnten Sie Ihren Werdegang schildern?

Für mich war früh klar, dass ich etwas «Künstlerisches» machen wollte. Die Schule war mir eher ein Greuel als eine Freude, in meiner Wahrnehmung eng und kleingeistig wie es auch das Land war, in dem ich lebte und wie es auch das katholisch geprägte soziale Klima war, in dem ich aufwuchs. Wir reden von den 60er und vor allem den 70er Jahren. Meine Devise war: ausbrechen, mich befreien. Also weg vom Gymnasium und rein in die Kunstschule in St.Gallen, wo ich den gestalterischen Vorkurs besuchen durfte. Die Lehre als Grafiker machte ich, um einen Brotjob zu haben. Während dieser Zeit, anfangs der 80er Jahre, hatte ich bereits erste Ausstellungen als Maler und Zeichner bestritten und mein grosses Ziel war, als freischaffender Künstler leben und arbeiten zu können. 1986 liess ich meine Anstellung hinter mir und seither lebe ich als freischaffender Künstler. Meine zweite grosse Antriebsfeder war der Hunger nach der damals noch grossen, weiten Welt. Ich ging 1986/87 als junger Mann für mehr als ein Jahr nach Lateinamerika auf kulturelle Reise, ich lebte 1991/92 fast zwei Jahre in New York City und war vor allem in den Jahren vor der Familiengründung immer wieder für längere Phasen in den verschiedensten Ländern, sei es in Italien, in den USA oder in Russland usw., fast immer im Kontext meines künstlerischen Tuns. Ich ging dorthin, wo meine Projekte mich hinführten.

In den späten 80er Jahren begann ich mich für die Performancekunst zu interessieren und mit den Performances und Kunsthappenings zogen die verschiedenen Medien in mein künstlerisches Schaffen ein. Video und Musik vor allen Dingen, und ich begann mehr und mehr neben der Malerei auch interdisziplinäre Ansätze in der Kunst zu suchen. Es hat mich immer gereizt, mich an den Randregionen der künstlerischen Disziplinen zu bewegen – auch hier ein sehr grosser Freiheitsdrang. Ich sagte mir: Bloss weil ich es nicht studiert habe, heisst das noch lange nicht, dass ich es nicht einmal ausprobieren darf. Und so gelangte ich in den 90ern über die Videokunst ins dokumentarische Filmschaffen und später darin wiederum von regionalen Themen zu internationalen Produktionen wie den Musikerportraits über den argentinischen Gitarristen, Sänger und Komponisten Eduardo Falú (2009) oder den amerikanischen Jazzgitarristen und Komponisten John Abercrombie (2017).

Ende der 90er Jahre beschloss ich, mein bis dahin tendenziell eher nomadisches Leben zugunsten einer grösseren physischen Präsenz hier in Liechtenstein etwas zurückzustellen. Die künstlerischen Projekte wurden immer grösser und langfristiger und es entstand das Bedürfnis, eine solide, physische Basis dafür zu haben. So entschloss ich mich um die Milleniumswende, ein eigenes Atelierhaus zu bauen. Das ging natürlich nur dank des glücklichen Umstands, dass ich von meinen Eltern ein Grundstück erben durfte.

2002, mit 40 Jahren, spät aber dennoch, wurde ich Vater eines Sohnes, womit noch einmal eine ganz neue Lebenssituation für mich Wirklichkeit wurde. Das Atelierhaus verwandelte sich zusätzlich in ein Familienhaus.

Die Performancekunst kam über die Musik wieder verstärkt in mein Leben. 2006 gründete ich zusammen mit meiner Lebenspartnerin und heutigen Frau Denise Kronabitter und mit dem Schaaner Marco Sele das Trio Klanglabor. Das ist zwar im Kern eine Musikband, aber im künstlerischen Wirken eng an meine interdisziplinäre Ausrichtung angelehnt. Hätte ich diese beiden Menschen nicht in meinem nahen Umfeld gehabt, ich wäre wohl kaum in die Situation gelangt, sozusagen als «Musiker» auf diversen Bühnen zu stehen.

Der neueste Zugang zu meinem künstlerischen Schaffen ist die Realisation eines Spielfilms 2019. Ein neues, vergleichbares Projekt befindet sich momentan in der Pipeline. Die aktuelle Covid-19 Pandemie macht das Voranschreiten eines solchen Projektes aber nicht gerade einfach.

Als junger Mann auf grosser Reise durch Lateinamerika. Das Bild entstand auf einem Fährboot zur Isla Mujeres in Mexico, 1987.
Besuch aus der Heimat: Ralph Zurmühle und Arno Oehri auf der Brooklyn Heights Promenade (NYC), 1992.

Gab es bestimmte Ereignisse oder Stationen, die für Ihren Werdegang prägend waren?

Ich setzte den «Musiker» in meinem Werdegang deshalb in Anführungs- und Schlusszeichen, weil ich ja kein gelernter Musiker bin, sondern ein absoluter Quereinsteiger. Aber ich hab ja auch das Filmemachen und nicht einmal die Malerei «gelernt» oder «studiert». Das heisst, mein ganzer Werdegang ist geprägt durch die Tatsache, dass ich aufgrund meiner sehr vielseitigen Interessen die «Frechheit» besass und wohl immer noch besitze, mich in Berufsfeldern zu bewegen, für die ich keine eigentliche Ausbildung habe. In meinem Verständnis steht für eine Berufsausübung aber nicht unbedingt die Ausbildung als Legitimation im Vordergrund, sondern die dafür nötige Motivation und Leidenschaft – gerade in den künstlerischen Berufen. Wenn man sich genügend für etwas interessiert, dann findet man auch seinen Weg, sei es durch Selbststudium, Weiterbildung oder andere Hilfsmittel. Es ist nur wichtig, sorgfältig zu spüren und zu hinterfragen, was ich kann und was ich eben nicht kann.

 

Gab es bestimmte Personen, die für Ihren Werdegang prägend waren?

Ja. Ich denke, man begegnet immer wieder Menschen, die einen prägen. Vielleicht sollte man nicht «prägen» sagen, sondern «inspirieren». Ich hatte das Glück, sehr vielen Menschen zu begegnen, die mich inspiriert haben. Eine entsprechende Namensliste würde wohl sehr lange werden.

 

Hat Sie Ihr Umfeld in Ihrem Werdegang unterstützt?

Als ich anfangs der 80er die Lehre machte, galt selbst der Grafikerberuf noch nicht so wirklich als «etwas Richtiges». Ich habe insofern Unterstützung von meinem Umfeld erhalten, als man mich letztlich hat machen lassen. Wahrscheinlich weil sehr klar war, dass es eh nichts nützen würde, sich dagegen zu stemmen. Aber ich bin in einem absolut nicht-künstlerischen Umfeld aufgewachsen. Da gibt es keine Wertschätzung für etwas, das kein Geld einbringt. Mein künstlerisches Umfeld musste ich mir komplett selbst erarbeiten. Und Liechtenstein war in den 60er und 70er Jahren alles andere als ein fruchtbarer Nährboden für künstlerische Entwicklungen.

Martin Walch und Arno Oehri inszenieren sich in einem russischen Künstleratelier in Jekaterinburg während eines Kulturaustausches 1993.
Videostill aus «Der Bademeister» während eines Artist-in-Residence Aufenthaltes 2004 in Nairs im Engadin.

Welchen Tätigkeiten gehen Sie derzeit nach?

Ich bin in allen vorgenannten oder angedeuteten künstlerischen Disziplinen aktiv. In den letzten paar Jahren gab es vielleicht einen grösseren Fokus auf das Filmschaffen und die musikalischen Performances. Zusätzlich habe ich zurzeit (noch) das Amt des EEA Grant-Koordinators im Bereich Kultur im Werkauftrag des Kulturministeriums inne (20%), ich bin kulturjournalistisch aktiv, auch kulturpolitisch, und ich werde allenfalls für Workshops und diverse gestalterische Arbeiten gebucht.

 

Erfüllt Sie das, was Sie derzeit machen?

Ja, sehr, sonst würde ich mir das nicht antun, denn das tolle, freie Künstlerleben hat natürlich auch eine Kehrseite.

 

Denken Sie, dass Sie selbst darauf einen Einfluss haben, ob Ihre Tätigkeiten erfüllend sind?

Wir leben hier in Mitteleuropa in Umständen, die einem durchaus einen Spielraum lassen, Einfluss auf die eigenen Tätigkeiten zu nehmen – und damit hat man auch einen Einfluss darauf, wie erfüllend diese Tätigkeiten sind. Meine Strategie dabei ist zu versuchen, möglichst authentisch zu sein. Dazu muss man bereit sein, tief in sich hineinzuschauen und sich zu hinterfragen – und zwar immer wieder.

Schwieriger wird es mit der Anerkennung, mit der Wertschätzung von aussen. Seit mittlerweile Jahrzehnten höre ich immer mal wieder, man müsse die «Werte neu überdenken». Aber Herr und Frau Liechtensteiner tun sich leider schwer damit, einen anderen Wertemasstab anzuerkennen, als einen rein materiellen… Das trifft natürlich nicht nur auf Liechtenstein zu, aber es ist schon sehr explizit hier. Letztlich ist der Kampf um gesellschaftliche und politische Anerkennung für die Künste aber ein ewiges Thema. Deshalb haben wir 2020 auch die IG Kunst und Kultur gegründet. Wir wollen versuchen, der Kunst und Kultur eine Lobby zu geben und den Stellenwert wenigstens ein bisschen anzuheben.

Um zur Frage zurückzukommen: Erfüllung entsteht, wenn eine Tätigkeit für einen auch sinnstiftend ist. Doch man ist ja nicht alleine. Als soziales Wesen ist der Mensch darum bestrebt, auch in einem weiterreichenden Sozialwesen sinnstiftend agieren zu können. Da haben die Künste schon mit grösseren Widerständen zu kämpfen. Das muss man dann halt einfach aushalten. Gehört sozusagen zum Berufsbild dazu.

Dreharbeiten zum Film «Canto al Paisaje Soñado» in der Nähe von Salta, Argentinien, 2007.
Co-Autor Oliver Primus, Enrique Videla und Arno Oehri beim Filmfestival in Pinamar, Argentinien, 2010.

Was oder wer inspiriert Sie im Alltag?

Da ich mir die kommenden Fragen schon angeschaut habe, möchte ich auf die „magischen Momente“ verweisen, denn ich habe das Gefühl, dass es eben diese magischen Momente sind, die mich immer wieder aufs Neue inspirieren.

 

Was oder wer gibt Ihnen im Alltag Kraft und Energie?

Auch hier: die magischen Momente. Und natürlich meine engeren Bezugspersonen, meine Familie, meine Freunde. Weiters: gutes Essen, guter Wein, gute Gespräche und Begegnungen. Lange Spaziergänge in der Natur. Ein knisterndes Feuer und ein gutes Buch. Und immer wieder die Künste, in all ihren wunderbaren Ausformungen – sowie die Aussicht auf neue Erlebnisse beim Reisen.

Mit dem russischen Künstlerfreund Anatoly Vyatkin in dessen Küche in der russischen Kleinstadt Sarjetschnij, 2013.
Arno Oehri und Denise Kronabitter-Oehri beim Pont du Gard (Dept. Gard) in Südfrankreich, 2013

Es gibt «magische Momente», in denen alles zu passen scheint. Momente, die erfüllen, inspirieren und Kraft geben. Momente, die bestätigen, dass sich der Einsatz lohnt und dass das, was man macht, sinnhaft und wertvoll ist. Haben Sie solche Momente in Bezug auf Ihre eigenen Tätigkeiten schon erlebt?

Ich schätze mich in der glücklichen Lage, sehr viele magische Momente erlebt zu haben und nach wie vor erleben zu dürfen. Da gibt es verschiedene Kategorien:

Magische Momente, die durch die Natur oder bestimmte Orte ausgelöst werden.

Im Dezember 1986, alleine oben auf dem Gipfel des 5500 Meter hohen Popocatepetl (Mexico). Es geschafft zu haben, der Blick über die schier unendliche Weite des Erdballs. Im Februar 1991 auf einem polnischen Frachter auf dem Weg nach New York City, mitten auf dem atlantischen Ozean, inmitten eines bestialischen Orkans, das Schiff stampft, rollt, ächzt und stöhnt durch unfassbar aufgewühlte Wassermassen; die Wahrnehmung, dass es jetzt vielleicht gleich einmal vorbei ist mit diesem Leben und das plötzliche Bewusstsein, dass das absolut okay ist, dass ich bereit bin, dass ich dabei bin, genau das zu tun, was ich tun will und nicht mehr tun kann. Im September 2013 beim Anblick des Pont du Gard in Südfrankreich. Der Ort, die Zeit, die sich überwältigend offenbarende Schönheit des Anblicks, gänzlich unverhofft in seiner Intensität. Dies sind einfach drei der spektakuläreren Beispiele. Aber es gibt solche Momente auch im Ruggeller Riet, bei uns in den Bergen und immer wieder auf Reisen.

Magische Momente in den Künsten

Eine unerschöpfliche Quelle für magische Momente sind meiner Erfahrung nach die Künste – und zwar alle Künste. Ausstellungen, Theater, Kino, Literatur – und am allermeisten die Musik. Das ist der grosse Vorteil der Musik: die Musik geht so unmittelbar und direkt in den Menschen hinein und vermag (mich zumindest) so stark zu rühren und zu berühren, dass ich keine Chance habe, all die magischen Momente aufzuführen, die ich da schon erlebt habe. Seit über 40 Jahren, seit es den Jazzclub Tangente in Eschen gibt, höre ich dort Live-Musik – und es ist noch kein einziges Jahr vergangen, an dem ich nicht zumindest ein Mal einen magischen Moment erlebt hätte! Ich verwende dafür den Ausdruck eines alten Indianers aus dem Film «Little Big Man», nämlich «mein Herz singt vor Freude». Das sind so Momente, in denen die Musik das Innerste der Seele berührt, da gibt es nichts Schöneres und Tieferes als genau diese Musik genau jetzt, in diesem Moment – und ich sage mir dann immer: auch dazu ist der Mensch in seinem Tun fähig. Der Mensch kann die verheerendsten inneren und äusseren Katastrophen erzeugen, aber er vermag auch diese Kraft und Sinn spendende Kunst zu erschaffen. Diesem Aspekt des Lebens will ich mich widmen! Deshalb habe ich mich den Künsten verschrieben, deshalb tue ich das, was ich tue.

Die magischen Momente ergeben sich aber nicht nur durch den Konsum der Künste, sie können auch während des Selber-Tuns entstehen. Beim Malen, bei der Arbeit an einem Film oder auch hier am ehesten beim Musizieren, wenn ich mit Denise und Marco im Probelokal sitze und wir einfach drauflos spielen und plötzlich passt alles zusammen und wir erschaffen, nur für uns, subjektiv empfunden, eine grossartige, tiefe, mitreissende Musik. Da kann es dann schon sein, dass man völlig euphorisiert aus der Probe kommt und sich einfach nur freut. Manchmal passieren solche Momente auch bei Auftritten, wenn man spürt, dass auch das Publikum ganz in wunderbare Resonanz mit der Musik tritt.

Magische Momente im Innern

Magische Momente können auch (beinahe) unabhängig von äusseren Umständen vorkommen, dann, wenn man sozusagen «von der Muse geküsst» wird. Wenn einem aus heiterem Himmel Ideen und/oder Inspirationen zufallen. Das kann mitten in einer Arbeit geschehen, wenn man plötzlich glasklar sieht, wie es weiter gehen könnte, oder es kann mitten in der Nacht passieren, dass man aufwacht und im Inneren herrscht grosser Aufruhr, weil sich gerade eine, wiederum subjektiv empfundene, grossartige Idee manifestiert. An ein Weiterschlafen ist erst zu denken, wenn man die Idee notiert hat, oder wenn man die Idee so verinnerlicht und memoriert hat, dass man sie in sicheren, wieder abrufbaren Gefilden weiss.

In all diesen Momenten wird mir klar, dass ich den richtigen Job habe, dass das Leben und die Arbeit Sinn machen, dass es sich lohnt, auch wenn man dabei nicht, um ein Klischee zu bemühen, reich und berühmt wird. Fairerweise muss man aber auch sagen, dass es zu den magischen Momenten auch die Kehrseiten gibt, die Abgründe, in die man zeitenweise blicken muss, ohne es zu wollen.

 

Tun Sie aktiv etwas dafür, damit sich solche magischen Momente einstellen können?

Nun, wirklich aktiv herbeiführen lassen sich die magischen Momente natürlich nicht, sonst wären sie ja wohl auch nicht magisch. Aber man kann bestimmte Voraussetzungen dafür schaffen, dass sie eher geschehen können. Wenn kreative Prozesse oder Problemlösungen anstehen, dann gehe ich in den Aussenbereich meines Büros oder Ateliers. Ich nenne das Ruggeller Riet einen Teil meines Büros. Ich bin praktisch täglich da draussen unterwegs. Mein ganzer Spielfilm ist von den Ideen her sozusagen im Ruggeller Riet entstanden. Wenn ich so dahingehe und nicht allzu stark «will», sondern mich einfach öffne und die Gedanken und Ideen fliessen lasse, dann können durchaus magische Momente entstehen. Und manchmal ist es einfach die Begegnung mit einem Tier oder das spektakuläre Licht der aufgehenden Sonne und der Wolkenformationen, die ich von dort in den Kreuzbergen oben sehe.

Und da ich regelmässig grossartige Konzerte von grossartigen Musiker*innen in unserer grossartigen «Tangente» sehe und höre, und gerne und oft ins Theater und ins Kino und an Ausstellungen gehe, sind auch dort oft die zumindest äusserlichen Voraussetzungen gegeben, dass sich potenziell magische Momente einstellen können.

Der amerikanische Jazzgitarrist John Abercrombie, Lisa Abercrombie und Arno Oehri während der Dreharbeiten zum Film «Open Land - Meeting John Abercrombie», 2013.

Gibt es Momente, in denen Sie an dem, was Sie machen, zweifeln?

Selbstverständlich gibt es, wie vorhin schon angedeutet, auch die Kehrseite der Medaille. Momente, wo man alles in Frage stellt und in ein schwarzes Loch zu fallen droht. Ich habe gelernt, solche Momente oder Perioden so gut es geht zu akzeptieren, auszuhalten, versuche mich daran zu erinnern, dass ich bislang aus jedem schwarzen Loch wieder herausgekommen bin. Oft haben diese Momente aber weniger mit den künstlerischen Aspekten meiner Arbeit zu tun, als mit den wirtschaftlichen und den sozialen. Es ist einfach so, dass die meisten Leute in künstlerischen Berufen arg unterbezahlt sind für das, was sie leisten und der Gesellschaft geben, und dass, wie weiter oben schon erwähnt, die soziale Anerkennung damit auf einem entsprechend niedrigen Niveau dahindümpelt. Wir leben in einer Gesellschaft, in der monetäre Werte als so ziemlich einziger Parameter den sozialen Status einer Person bestimmen. Ein bisschen was anderes muss schon auch noch dabei sein, aber wenn ich z.B. daran denke, wie viele geniale Musiker*innen ich schon erlebt und kennengelernt habe, die mehr schlecht als recht über die Runden kommen, und wie viele unreflektierte Vollpfosten es in dieser Welt und auch in diesem Land gibt, die von einem hoch bezahlten Job zum nächsten weitergereicht werden, dann kann mich das schon ins Grübeln bringen…

 

Können Sie schwierigen Momenten rückblickend etwas Positives abgewinnen?

Es ist eine Binsenweisheit, dass grosse Schwierigkeiten auch grosse Chancen in sich bergen. Natürlich, wenn man Herausforderungen bewältigt, lernt man daraus, eignet sich neue Kompetenzen an. Aber das Klischee, dass z.B. Künstler*innen nur dann gute Arbeit leisten können, wenn sie auch grosse Schwierigkeiten überwinden müssen (meistens ist damit die relative Armut gemeint), ist kompletter Blödsinn.

 

Gibt es etwas, was Sie rückblickend anders machen würden?

Nein, nicht offensichtlich. Es ist auch müssig, darüber nachzudenken. Ich hatte zu einem grossen Teil die Freiheit zu entscheiden und ich habe so entschieden, wie ich in der jeweiligen Situation eben entschieden habe.

Magische Momente mit dem Trio Klanglabor, Marco Sele (drums), Denise Kronabitter (voc), Arno Oehri (git), 2018.

Möchten Sie mit Ihren Tätigkeiten etwas zur Gesellschaft beitragen?

Selbstverständlich! Wir sind bis in den tiefsten Kern unseres Seins soziale Wesen.

 

Ist Ihnen die Anerkennung von anderen Personen bzw. von der Öffentlichkeit wichtig?

Ebenfalls selbstverständlich, aus dem genau gleichen Grund. Auch wenn ich vielleicht eher ein Einzelgänger bin und nicht vordergründig danach strebe.

 

Wie gut können Sie von dem, was Sie beruflich tun, leben?

Ein schwieriges Thema, das mich zwangsläufig immer wieder während meiner ganzen beruflichen Laufbahn aufs Neue beschäftigt. Ja, ich kann davon leben und mir war von Anfang an bewusst, dass das herausfordernd sein wird. Ebenfalls ist mir sehr bewusst, dass ich grosses Glück gehabt habe. Ich bin gesundheitlich recht stabil und die Voraussetzung, ein eigenes Haus als Basislager für mich und meine Familie zur Verfügung zu haben, und das in einem zumindest bislang wirtschaftlich sehr stabilen und auch sicheren Land, hat sehr dazu beigetragen, dass ich von meinen beruflichen Tätigkeiten auch leben kann. Aber es gibt eine sehr wesentliche Einschränkung: keine finanziellen Sicherheiten. Keine Rücklagen, keine Pensionskasse, immer von der Hand in den Mund. Wenn man noch jung ist, macht einem das gar nichts aus. Wenn man dann das Gefühl hat, man möchte als Künstler leben und gleichzeitig auch noch eine Familie gründen, dann wird das schon wesentlich heikler. Und wenn dann die Kolleg*innen rund um einen sich so langsam anfangen in die Frühpension zu verabschieden, dann wird einem klar, dass diese Möglichkeit für einen selbst nicht besteht, ja kaum etwas für eine normale Pension abrufbar sein wird. Natürlich, als Künstler möchte ich auch gar nicht in Pension gehen, aber die Vorstellung, mit 80 Jahren im noch genau gleichen Masse ununterbrochen produzieren zu müssen und Gelder für Projekte generieren zu müssen, hat schon etwas Beängstigendes. Die Alternative dazu ist, von andern ausgehalten zu werden, was ich mein ganzes Leben lang und bislang mit Erfolg tunlichst zu vermeiden versucht habe, oder ein Sozialfall zu werden. Soviel zur wirtschaftlichen Realität und Wertschätzung in vielen Künstlerberufen. Aber das hab ich, wie gesagt, von Anfang an gewusst – und dieser wirtschaftlichen Extremsituation steht zum Glück die innerliche Erfüllung im Beruf gegenüber.

Regisseur Arno Oehri, Darstellerin Sandra Sieber und Darsteller Klaus Henner Russius anlässlich der Festivalpremiere von «Der Eidechsenkönig» am Vaduzer Filmfest, 2019.
Filmstill aus Arno Oehris erstem Spielfilm «Der Eidechsenkönig», 2019.

Gibt es etwas, das Sie derzeit besonders beschäftigt?

Viele Dinge. Das beginnt bei menschlichen Grundsatzfragen, die sich immer wieder neu stellen, über kulturpolitische Fragen und die derzeitigen Herausforderungen durch die Covid-19 Pandemie, bis zur Frage, was ich mache, wenn ich nicht nur alt, sondern dazu auch noch gebrechlich oder krank werde.

 

Gibt es etwas, womit Sie sich in Zukunft gerne (verstärkt) beschäftigen würden?

Die menschlichen Grundsatzfragen werden auch in Zukunft wieder neu beantwortet werden müssen. Und beruflich: Meine vielfältigen, spannenden Projekte werden mich wohl ausreichend beschäftigen, bis ich tot umfalle.

 

Wofür sind Sie im Leben besonders dankbar?

Für die lieben Menschen, die mich begleitet haben und begleiten und für die Chancen und Freiheiten, die mir das Leben in der Zeit und an den Orten meines Aufenthalts auf diesem Planeten bietet.

Interview
Laura Hilti, April 2021


Links

Künstlerischer Überblick: www.artnet.li/arno
Musikperformances: www.klanglabor.li
Filmschaffen: www.videowerk.li
Dokumentarfilme: www.abercrombiefilm.com, www.falufilm.com


Credits

Porträtfoto: Eddy Risch
Weihnachten 1974: Hubert Oehri
Reise durch Lateinamerika 1987: Horst Schädler
Besuch aus der Heimat 1992: Ivo Elkuch
Martin Walch und Arno Oehri 1993: Anna Metelova
Dreharbeiten 2007: Tino Wohlwend
Mit Anatoly Vyatkinm 2013: Marina Vyatkina
Trio Klanglabor 2018: Tatjana Schnalzger
Alle anderen Fotos: Arno Oehri

Dieses Interview ist Teil des Projekts «Magic Moments» des Kunstvereins Schichtwechsel, in dessen Rahmen Menschen zu ihrem Werdegang, ihren Tätigkeiten sowie magischen und schwierigen Momenten befragt werden.

Das Projekt wird gefördert durch die Kulturstiftung Liechtenstein und die Stiftung Fürstl. Kommerzienrat Guido Feger.

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