Valentin Altorfer wuchs in einem Künstler-Umfeld auf und bastelte immer schon gern.  Als Ausbruchsversuch machte er eine kaufmännische Lehre als Luftfrachtspeditions-Angestellter, aber arbeitete letztlich nie auf einem kaufmännischen Beruf. Stattdessen machte er sich selbständig bildete sich autodidaktisch aus. Heute hat er eine kleine Werkstatt, Schwerpunkt Metall, wo er für Film, Theater, Künstler*innen, Fotograf*innen oder wen auch immer bewegliche und unbewegliche Dinge baut. Meist Prototypen, Unikate. Meist etwas, das er vorher noch nicht gemacht hat. Er stammt aus Zürich, wo er heute auch lebt. Valentin Altorfer ist 59 Jahre alt.

Wo und wie sind Sie aufgewachsen?

In einer Künstlerfamilie, Vater war zunächst Zeichner, Karikaturist, Grafiker, dann bis zuletzt Zeichenlehrer im Lehramt.

 

Könnten Sie Ihren Werdegang schildern?

Ich habe mich immer fürs Basteln interessiert, meine Werkstatt fing in einer Kunstledertasche an und entwickelte sich immer weiter, ist jetzt eine ziemlich überladene Garage und ein Atelier, mit vielen Handwerksmaschinen mit Schwergewicht Metall. Angeeignet habe ich mir die Fähigkeiten autodidaktisch, viel Trial & Error, die Ohren und Augen zwangsläufig immer offen für Neues.

Gab es bestimmte Ereignisse oder Stationen, die für Ihren Werdegang prägend waren?

Mit 12 Jahren der erste Besuch auf dem Flohmarkt auf dem Bürkliplatz. Wo ich sah, was es an Gegenständen, Gegensätzen und Leuten alles so geben konnte… Bald versuchte ich dort, um zu Geld für die Werkzeuge und Wunschträume zu kommen, Spielzeug und Fundstücke zu verkaufen… In der Folge warf ich immer ein Auge auf Container, Abfallmulden, durchstreifte mit Freunden Abbruchhäuser etc. Die Sachen, welche ich fand und nicht behalten wollte, verkaufte ich. Damit baute ich die Werkstatt aus.

 

Gab es bestimmte Personen, die für Ihren Werdegang prägend waren?

Diese Liste ist ein bisschen endlos: Buchautoren, Comicautoren, Künstler, Freunde, Handwerker, Zufallsbekanntschaften, Freunde, Eltern, Tanten mütterlicherseits (beide Malerinnen, wie die Mutter auch), die Buchhalterin Frau Salzmann der Firma Pantransport, wo ich ein Jahr meiner Lehre zubrachte, die immer über meine Ungenauigkeit in der Buchführung seufzte, aber meine Zeichnungen in den Geschäftsbüchern duldete, Adrian Nägeli, den ich seit meiner Kindheit kannte und immer noch kenne, der erste Mensch, der in Zürich aus dem Abfallcontainer Essen fischte und damit Feste veranstaltete, einer der Brüder des Sprayers, wie gesagt: Die Liste ist endlos.

 

Hat Sie Ihr Umfeld in Ihrem Werdegang unterstützt?

Ja. Und mir auch immer Widerstand geleistet.

Klangwand: Funktionale Skulptur, welche ich für Mischa Käser gebaut hatte, für eine Ausstellung Skulptur & Komposition in Zürich 1992.

Welchen Tätigkeiten gehen Sie derzeit nach?

Wie eh und je: Wenn gerade kein Lockdown meine Kunden daran hindert zu arbeiten: Ich versuche, ihre Wünsche in echt – nicht virtuell – zu realisieren. Dazwischen versuche ich eigene Projekte zu realisieren. Ich möchte mit der ganzen Technik gern Poesie hinkriegen.

 

Erfüllt Sie das, was Sie derzeit machen?

Manchmal mehr, manchmal weniger. Viel Fluchen, wenn etwas nicht machen will, was ich mir vorstelle. Wenn die Zeit drängt, ist der Stress grösser. Auch, wenn Geldmangel die Möglichkeiten beschneidet.

 

Denken Sie, dass Sie einen Einfluss darauf haben, ob Ihre Tätigkeiten erfüllend sind?

Natürlich habe ich einen Einfluss. Ich kann irgendwas zu machen ablehnen. Dann, wenn ich zugesagt habe – wird es schwieriger, wie alle wissen. D.h. Zeit, Geld, Materialmangel oder Materialschwierigkeiten beeinflussen den Fluss des Geschehens. Das mehr oder weniger in den Griff zu kriegen: Nennt man wohl Erfahrung oder Gewöhnung…

Brigham Baker: Der Künstler wollte im Kunsthaus Aarau für die Ausstellung Caravan 2018, dass seine Eukalyptusblätter auf dem Glasdach des Raumes sich bewegten, wie wenn ein Wind Baumblätter bewegte. Ich baute eine grossräumige Mechanik, welche mit Drahtseilen möglichst unerwartbare Bewegungen der Blätter bewerkstelligte.

Was oder wer inspiriert Sie im Alltag?

Sagen wir: Das Leben? Also Alles? Irgendein Ding, das ich im richtigen Leben oder auch im Internet entdecke…  Hübsch gesagt: Sogar die Blätter an einem Baum vor dem Haus können mich auf eine Idee bringen. Ist sogar passiert, natürlich.

 

Was oder wer gibt Ihnen im Alltag Kraft und Energie?

Joghurt und Früchte, beispielsweise. Entsprechend: Witze und Geschichten. Schöne Bilder… Schöne Blicke!… Schöne Fundstücke…, welche mir neue Möglichkeiten eröffnen.

Fettes Gespenst: Für Niklaus Rüegg und auch mit ihm zusammen bauten wir dieses Gespenst, das zuerst 2011 in Amsterdam aufgestellt wurde, um es zusammenstürzen zu lassen. Der dritte Autritt war in der Braui Zürich an der Dienerstrasse mitsamt Fai Baba und Band im März 2019, wo dieses Foto gemacht wurde.

Es gibt «magische Momente», in denen alles zu passen scheint. Momente, die erfüllen, inspirieren und Kraft geben. Momente, die bestätigen, dass sich der Einsatz lohnt und dass das, was man macht, sinnhaft und wertvoll ist. Haben Sie solche Momente in Bezug auf Ihre eigenen Tätigkeiten schon erlebt?

Hier ist die Liste leider wieder endlos… Weswegen ich nicht wirklich etwas aufzählen kann oder mag. Vorgestern, Freitag 15. Januar 2021, hat der Schnee viele Äste abgebrochen ums Haus herum, Bäume quer über die Strasse heruntergebogen, so dass dann nachts die Feuerwehr kam, die abzusägen. Ich musste viel sägen, stützen und fürchten. Aber der Schnee sah unglaublich schön aus, kalt wars und die Kinder schlittelten die Strasse herunter, wo kein Auto – oder fast keins – fuhr. Das war natürlich magisch.

Und wenn eine ungefähre Idee am Ende klappt, die Leute Freude haben ist das schon nicht schlecht. Aber eben: Es gibt keine zählbaren magischen Momente.

 

Tun Sie aktiv etwas dafür, damit sich solche magischen Momente einstellen können?

Nein. Ich tue einfach…

Novartis 2018: Da musste ich eine Lampeninstallation bauen, so dass die Kaderleute zwischendurch auf den zwei Liegeradstationen strampeln konnten, entsprechend gingen die leuchtenden Birnen bis ganz hoch hinauf – wenn die Kader sich anstrengten. Die Liegeräder stammten von Party Manual, einer grossen menschenkraftbetriebenen Party, welche ich zusammen mit Marina Belobrovaja und Frank Landes 2005–2007 gebaut und betrieben hatte. Die Idee stammte von ihnen, bei der Umsetzung kam vieles von mir. Auf die Webseite habe ichs noch nicht geschafft hochzutun.

Gibt es Momente, in denen Sie an dem, was Sie machen, zweifeln?

Natürlich. Ich weiss einfach, dass, was immer ich tue, positive wie auch negative Auswirkungen hat auf das, was ich gern habe. Wir sind weder so positioniert, dass die Umwelt, welche wir nicht gern zerstören möchten, ausserhalb von uns ist, noch so, dass die Evolution nichts mit uns zu tun hat. Also: Wir sind mitwirkende Teilchen der Evolution, mitwirkende Teilchen vom grossen Trial und vom Error. Also zweifle ich immer und bin zugleich immer sicher…

 

Können Sie schwierigen Momenten rückblickend etwas Positives abgewinnen?

Natürlich. Es gibt nichts, was nur gut und nichts, was nur schlecht ist.

 

Gibt es etwas, was Sie rückblickend anders machen würden?

Wieder schwierig. Vermutlich würde derselbe Valentin, der damals irgendwas genau so und nicht anders gemacht hat – mit der rückwirkenden Klugheit – das wohl nicht machen, mit der Klugheit von damals aber wohl schon.

Wasserfall: Dies ist eine Wiederaufnahme des Wasserfalls, welchen ich 2012 für eine Geberitwerbung mit Melanie Winiger für Eqal Produktion gebaut hatte. Wieder für Eqal.

Möchten Sie mit Ihren Tätigkeiten etwas zur Gesellschaft beitragen?

Natürlich, wer nicht.

 

Ist Ihnen die Anerkennung von anderen Personen bzw. von der Öffentlichkeit wichtig?

Natürlich, ich habe, wie alle, gern, wenn man mich mag. Unangenehm, wenn man bloss von Leuten gemocht wird, die man verabscheut. Führt dazu, dass man sich hinterfragt. Oder man denkt fröhlich: Ah, die Idioten scheinen auf besserem Weg zu sein, weil sie mich mögen?

 

Wie gut können Sie von dem, was Sie beruflich tun, leben?

Man ahnt es: Ich verdiene mit dieser meiner lustigen Tätigkeit nicht sehr viel. Also hat die finanzielle Situation zwangsläufig einen Einfluss. Ich arbeite auch für Werbung – was mich gefühlsmässig der Prostitution nicht allzu fern sein lässt.

Seifenkiste: Ein Job – es musste eine Seifenkiste gebaut werden, welche aussah wie in den 70er Jahren entstanden. Sie wurde noch von der Ausstatterin bemalt.

Gibt es etwas, das Sie derzeit besonders beschäftigt?

Da mich schon seit jeher – mein Vater hat mich da wohl beeinflusst – beschäftigt, dass allgemein wenig darauf geachtet wurde, dass wir dem Planeten übel mitspielen, habe ich viel darüber nachgedacht.

Leider auch gemerkt, dass ich nur dann wenig dazu beitragen würde, wenn ich nicht lustige Sachen machen würde, sondern von Hand die Scholle bäuerisch bearbeiten würde. Was mir zu langweilig und anstrengend vorkommt – weshalb ich trotz allem auf der schlechten Seite stehe.

Der Spruch: «Ich sehe das Bessere, doch ich folge dem Schlechteren.» (Von Ovid, wie ich grad gegoogelt habe, auch eine üble Sache!) fand ich als Teenager ungefähr den Gipfel der Dummheit. Mittlerweile habe ich diesen Gipfel halt erklommen…

Hängt wohl damit zusammen, dass ich bis 39 bloss Velo fuhr, mir eigens ein Beiwagen-Fahrrad gebaut hatte, womit ich auch Material transportierte. Ich musste merken, dass niemand die daraus erfolgende Langsamkeit meiner Arbeitsweise akzeptieren wollte.

Zudem redeten die ganzen Grünen, welche damals aufkamen und im Fahrradladen meines Freundes anzutreffen waren, mit Riesenbegeisterung über die damals auch aufgekommenen Macintosh-Computer. Keinen störte, dass die erstens aus Plastik bestanden und zweitens – nicht schwer vorauszusehen – wohl kaum zur bäuerischen Handarbeit hinführten. Weswegen ich schlecht darauf zu sprechen bin, wenn eine umweltfreundliche Entwicklung geplant ist. Das war 1980 – schon damals hiess es: Zurück zur Natur im 4wheeldrive! (Heute SUV)

Dies ist ein altes Ding, das ich 1999 gebaut habe. Es steht immer noch irgendwo im Garten und wenns wieder gestürmt hat, muss ich einige Sachen wieder zusammenschweissen.

Gibt es etwas, womit Sie sich in Zukunft gerne (verstärkt) beschäftigen würden?

Sehe ich dann, wenn die Zukunft da ist.

 

Wofür sind Sie im Leben besonders dankbar?

Auch hier wäre die Liste lang. Einiges, einiges… Wieder auch: Die Medaille hat zwei Seiten!

Interview
Laura Hilti, Januar 2021


Links

www.simplemechanik.ch


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Credits

Porträtfoto/ Seifenkiste: Niklaus Rüegg
Foto Werkstatt: Andreas Pfies

Alle anderen Fotos: Valentin Altorfer

Dieses Interview ist Teil des Projekts «Magic Moments» des Kunstvereins Schichtwechsel, in dessen Rahmen Menschen zu ihrem Werdegang, ihren Tätigkeiten sowie magischen und schwierigen Momenten befragt werden.

Das Projekt wird gefördert durch die Kulturstiftung Liechtenstein und die Stiftung Fürstl. Kommerzienrat Guido Feger.

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