Johannes Inama arbeitete nach dem Studium der Germanistik und Kunstgeschichte mehr als 10 Jahre lang im Jüdischen Museum Hohenems, war 2001 bis 2004 interimistischer Leiter des Museums und ist seit 2004 Leiter des Küefer-Martis-Huus in Ruggell. Daneben ist er freiberuflich als Redakteur, Autor und Ausstellungskurator für diverse Institutionen und Projekte tätig. Ehrenamtlich ist er in diversen Initiativen aktiv, unter anderem für das Visionscafé in Hohenems, das sich im Entwicklungsprozess der Stadt einmischt und engagiert. Johannes Inama stammt aus Hohenems, Österreich, wo er heute auch wieder lebt. Er ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder.

Wo und wie sind Sie aufgewachsen?

Aufgewachsen bin ich in Hohenems, in einer Familie mit vier Geschwistern, in einer Zeit und einer Gegend, in der noch paradiesische Freiräume für uns Kinder vorhanden waren. Wälder und Wasser übten eine magische Anziehungskraft aus. Wir verbrachten fast die ganze Zeit im nahen Wald, bauten dort unsere Hütten, rauchten die ersten Zigaretten und waren ständig unterwegs, um die Hänge zu erkunden. Mit unseren alten Rädern und Trittrollern fuhren wir zur kleinen Kapelle am Lehmloch oder zu den paradiesischen Badeplätzen am Alten Rhein, an denen wir die Nachmittage verbrachten, von den Bäumen ins Wasser sprangen, Feuer machten und unsere Landjäger grillten. Es gab aber auch Bandenkriege, unheimliche Nachbarn und Gegenden, vor denen wir uns fürchteten. Und parallel zur Pubertät wurde alles komplizierter, enger, grauer.

Könnten Sie Ihren Werdegang schildern?

Nach der Matura studierte ich in Innsbruck Germanistik und Kunstgeschichte. Nebenbei arbeitete ich als Fotoassistent und in einer Tischlerei. Diese handwerklichen Fertigkeiten führten auch dazu, dass es mich in den Museumsbereich verschlug. Im Jüdischen Museum Hohenems betreute ich schon während meines Studiums den Aufbau von Ausstellungen. Daraus entwickelte sich eine fixe Anstellung als Leitungsassistent und schliesslich als interimistischer Leiter des Museums. Nach über zehn Jahren im Jüdischen Museum wollte ich mich 2004 dann neu orientieren. Ich hatte die Absicht, mich als Texter und Kurator selbständig zu machen. Damals wurde gerade die 50%-Stelle als Leiter des Küefer-Martis-Huus neu ausgeschrieben. Ich bewarb mich und bin nun seit über 15 Jahren in dieser Funktion Angestellter der Gemeinde Ruggell – das war ein grosses Glück, denn ohne dieses Standbein wäre der Erhalt der Familie zeitweise ziemlich schwierig geworden.

Vor dem Küefer-Martis-Huus

Gab es bestimmte Ereignisse oder Stationen, die für Ihren Werdegang prägend waren?

Ich habe immer schon gerne philosophiert, aber wenn es zu abgehoben wird, dann steige ich aus. Der Praxisbezug war mir immer wichtig. Schon während meines Studiums suchte ich den Ausgleich zur geistigen Arbeit in manuellen Tätigkeiten. Die Arbeit in der Tischlerei und als Fotoassistent ermöglichte mir nicht nur die Finanzierung meines Studiums, sondern war immer auch befriedigende Abwechslung zum geisteswissenschaftlichen Studium. Gemeinsam mit Gleichgesinnten gründeten wir auch die «Arbeitsgruppe angewandte Germanistik», veranstalteten Vorträge, Workshops, sammelten Texte von Student*innen und gaben diese in einem Buch heraus, das wir vom Druck bis zu Bindung und Vertrieb selbst produzierten. Diese Praxisorientierung war auch in den mehr als zehn Jahren im Jüdischen Museum sehr wichtig. Besonders die grossen Projekte rund um die Auseinandersetzung mit dem ehemaligen Jüdischen Viertel in Hohenems und die enge Zusammenarbeit des Museumsteams mit diversen Künstlerinnen und Künstlern haben sich tief in meine Erinnerung eingegraben.

Beim Ausstellungsaufbau

Gab es bestimmte Personen, die für Ihren Werdegang prägend waren?

Ohne die Unterstützung und Geduld meiner Eltern und meiner damaligen Freundin und jetzigen Frau hätte ich meine Dissertation wahrscheinlich nie beendet. Dafür bin ich ihnen nach wie vor sehr dankbar. Und vor allem das phantastische Team im Jüdischen Museum mit der damaligen Leiterin Eva Grabherr und dem Museumspädagogen Bruno Winkler hat mich in meiner Arbeit, meinen Haltungen und Interessen entscheidend geprägt.

Vorstandsbesprechung des Vereins zur Erhaltung des Jüdischen Friedhofs in Hohenems, 2012
Interview mit Robert Fabach vor der ehemaligen Jüdischen Schule in Hohenems, 2019

Welchen Tätigkeiten gehen Sie derzeit nach?

Einerseits nimmt mich die 50%-Stelle als Kulturbeauftragter der Gemeinde Ruggell und die Leitung des Küefer-Martis-Huus sehr in Anspruch. Daneben arbeite ich freiberuflich für die Projektstelle «okay.zusammen leben» in Dornbirn, die sich um den Themenbereich «Integration und Zusammenleben in Vielfalt in Vorarlberg» kümmert. Ich bin in diversen Projekten für das Büro «Rath & Winkler» tätig, in denen wir Museumsprojekte und Ausstellungen betreuen, wie derzeit z.B. das neu entstehende kurathuus in Au im Bregenzerwald, das sich mit der Barockbaumeistertradition befasst. Und seit einigen Jahren bin ich Teil der Bürger*innen-Initiative «Visionscafé Hohenems», wo wir mit ungewöhnlichen Aktionen kreative Impulse für eine kulturell vielfältige Stadt setzen.

 

Erfüllt Sie das, was Sie derzeit machen?

Meine Arbeit erfüllt mich sehr. Ich bin einerseits in vielen Projekten geistig gefordert, muss mich daneben aber immer auch wieder manuell betätigen und um ganz banale Dinge kümmern. Diese Abwechslung – auch inhaltlich in den unterschiedlichen Ausstellungsthemen, die wir uns setzen – ist genau das, was ich mir immer gewünscht habe.

Denken Sie, dass Sie selbst darauf einen Einfluss haben, ob Ihre Tätigkeiten erfüllend sind?

Nicht alle Menschen haben das Privileg, dass sie es sich leisten können, sich ihre Tätigkeiten auszusuchen. Ich kann es mir leisten, aber ich habe auch lange gebraucht, bis ich gelernt habe «nein» zu sagen und tue mir immer noch schwer damit. Natürlich gibt es immer wieder Arbeiten, die alles andere als erfüllend sind, die aber erledigt werden müssen. Aber es ist unglaublich befreiend, wenn man sich von belastenden Projekten lösen kann oder diese gar nicht erst annehmen muss.

Installation des Projekts «Heimat?» anlässlich der «Emsiana» 2015, zusammen mit Günther Blenke, Sandro Scherling und Dietmar Walser
Barverschiebeaktion des Visionscafés Hohenems, 2018
Freiluftkonzert im Rahmen der «Emsiana», 2018

Was oder wer inspiriert Sie im Alltag?

Menschen, die neue Wege beschreiten, die ein Wagnis eingehen, die humorvoll und ungewöhnlich sind, die alte Denkmuster in Frage stellen und neue Welten öffnen. Da gibt es immer wieder bereichernde Begegnungen im nahen Umfeld, aber auch Bücher und Schriften von so unterschiedlichen Persönlichkeiten wie derzeit beispielsweise Hannah Ahrendt oder Sibylle Berg.

 

Was oder wer gibt Ihnen im Alltag Kraft und Energie?

Die Menschen in meinem engeren Umfeld, meine Frau und meine Kinder, meine Freunde – und Musik (aus vielen verschiedenen Richtungen).

Es gibt «magische Momente», in denen alles zu passen scheint. Momente, die erfüllen, inspirieren und Kraft geben. Momente, die bestätigen, dass sich der Einsatz lohnt und dass das, was man macht, sinnhaft und wertvoll ist. Haben Sie solche Momente in Bezug auf Ihre eigenen Tätigkeiten schon erlebt?

Es gab ein prägendes Erlebnis, das sich tief in meiner Erinnerung eingegraben und das meine Arbeit nachhaltig beeinflusst hat. Im Jahr 1995 haben wir uns im Jüdischen Museum mit dem damals noch kaum beachteten Jüdischen Viertel von Hohenems beschäftigt. Eine unserer Aktionen waren die «Belichteten Häuser», eine Idee des Fotografen Arno Gisinger, bei der auf zahlreiche Fassaden die Geschichten der Häuser und ihrer Bewohner projiziert wurden. Es war ein ungeheuerlicher Aufwand, die Projektionen liefen damals noch analog über Diashows, das Zentrum wurde an den drei Abenden gesperrt, der israelische Botschafter eröffnete die Aktion, das Wetter war kühl und unsicher. Die Spannung, ob alles klappen würde, war ungeheuer gross. Als dann im Dunkeln immer mehr Menschen ins Zentrum strömten, über die Plätze und Strassen flanierten und eine staunende und ehrfurchtsvolle Stimmung verbreiteten, waren wir alle überwältigt von dem positiven Echo, das von allen Seiten hörbar und spürbar war. Ich bekomme nach wie vor eine Gänsehaut, wenn ich an diese drei Abende denke.

 

Tun Sie aktiv etwas dafür, damit sich solche magischen Momente einstellen können?

Im Grunde ist meine Arbeit ein ständiger Versuch, dieses Erlebnis zu wiederholen und für möglichst viele Menschen ähnliche Erlebnisse erfahrbar zu machen.

«Belichtete Häuser», Lichtbildprojektionen im ehemaligen jüdischen Viertel im Rahmen der Projektreihe «Ein Viertel Stadt», 1995. Idee und visuelle Umsetzung Arno Gisinger in Zusammenarbeit mit dem Jüdischen Museum Hohenems

Gibt es Momente, in denen Sie an dem, was Sie machen, zweifeln?

Ich zweifle immer wieder an dem, was ich tue. Ich war in meiner Jugend ein sehr schüchterner Mensch. Eine gewisse Unsicherheit ist mir immer noch geblieben. Inzwischen bin ich aber überzeugt davon, dass das Zweifeln eine sehr wichtige Eigenschaft ist, die einen auch davor bewahrt, sich selbst zu überschätzen oder sich selbst zu wichtig zu nehmen. Darüber hinaus ist der Zweifel als Geisteshaltung eine der wichtigsten Errungenschaften der Aufklärung – dementsprechend würde ich mich im Gegensatz zum Gläubigen und auch im Gegensatz zum Nihilisten als Zweifelnder bezeichnen. Was ich in diesem Zusammenhang allerdings völlig absurd finde, sind Menschen, die sich als Zweifler gerieren, aber gleichzeitig den abstrusesten Verschwörungstheorien anhängen.

 

Können Sie schwierigen Momenten rückblickend etwas Positives abgewinnen?

Gerade die Bewältigung der schwersten Aufgaben führt meistens zu den grössten Glücksgefühlen. Auch das Scheitern in schwierigen Momenten hat rückblickend oft dazu geführt, dass mein Leben sich in eine Richtung entwickelt hat, die ich sonst nie eingeschlagen hätte und die sehr positiv war.

 

Gibt es etwas, was Sie rückblickend anders machen würden?

Oft sind es Kleinigkeiten, aber es gibt immer wieder mal Dinge, Aussagen, Handlungen, die mir peinlich sind. Ausserdem habe ich die Tendenz, Dinge so lange aufzuschieben, bis sie sich zu riesengrossen Hindernissen aufbauen, die man immer schwerer beiseite räumen kann. Das würde ich gerne anders machen, aber es gelingt mir nach wie vor nur schwer.

Eröffnung der Projektreihe «Was bleibt? – die Leere» im Küefer-Martis-Huus, 2017
Eröffnung der Projektreihe «Was bleibt? – die Leere» im Küefer-Martis-Huus, 2017 mit David-Johannes Buj Reitze und Jutta Hoop

Möchten Sie mit Ihren Tätigkeiten etwas zur Gesellschaft beitragen?

Ja, ich würde gerne unsere Welt etwas besser machen. Wahrscheinlich gelingt das aber nur im Kleinen, etwa wenn jemandem in einer Ausstellung oder einer Veranstaltung neue Blickwinkel eröffnet werden, wenn aktuelle gesellschaftspolitische Fragen sachlich diskutiert werden können oder einfach, wenn durch unsere Angebote der soziale Zusammenhalt im Dorf, im Land gestärkt und bereichert wird.

Vernissage der Ausstellung Verdingkinder mit Fotografien von Peter Klaunzer, Januar 2020
Eröffnung der Ausstellungsreihe «Der Stand der Dinge», 2020, mit Arno Oehri, Werner Casty und Simon Egger

Ist Ihnen die Anerkennung von anderen Personen bzw. von der Öffentlichkeit wichtig?

Ja, ich glaube, Anerkennung ist jedem Menschen wichtig. Wenn man spürt, dass das, was man macht, von anderen Menschen geschätzt wird, tut das gut. Aber ich arbeite meistens in Teams zusammen mit anderen spannenden Menschen und sehe mich weniger als «Macher», sondern eher als «Ermöglicher». Deshalb trete ich in der Öffentlichkeit lieber einen Schritt zurück und stehe nicht gerne alleine im Mittelpunkt. Vor allem bei öffentlichem Lob kommt es zudem darauf an, ob es für eine Sache ist, die mir selbst wichtig ist und hinter der ich voll und ganz stehen kann, sonst beginne ich mich zu fragen, ob ich vielleicht zu angepasst bin.

 

Wie gut können Sie von dem, was Sie beruflich tun, leben?

Es gab Zeiten, in denen ich mit meiner Familie nur knapp über die Runden gekommen bin. Aber derzeit kann ich gut von meiner Arbeit leben.

 

Gibt es etwas, womit Sie sich in Zukunft gerne (verstärkt) beschäftigen würden?

Ich würde gerne einmal eine Ausstellung machen, in der die Besucher vor Lachen Tränen in den Augen haben.

 

Wofür sind Sie im Leben besonders dankbar?

Dass mich meine Frau vor über dreissig Jahren angesprochen hat und sich daraus diese langjährige enge Partnerschaft entwickelt hat, die mir auch zwei wundervolle Kinder geschenkt hat. Das ist ein Wunder, das ich jedem Menschen wünschen würde.

Im Kreis der Familie, v.l. Johannes, Jonas, Jacoba, Sabine

Interview
Laura Hilti, Januar 2021


Links

Küefer-Martis-Huus
Jüdisches Museum Hohenems
Okay.zusammen leben
Visionscafé Hohenems


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Sibylle Berg: GRM. Brainfuck. Roman. Kiepenheuer & Witsch 2019
Thomas Bauer: Die Vereindeutigung der Welt. Über den Verlust an Mehrdeutigkeit und Vielfalt. Reclam 2018
Thomas Piketty: Kapital und Ideologie. C.H. Beck 2020


Credits

Portraitfoto/ Vor dem Küefer-Martis-Huus: Tatjana Schnalzger
Beim Ausstellungsaufbau: Adam Glinski
Belichtete Häuser: Florian Ebner
Interview mit Robert Fabach: Ursula Dünser
Projekt «Haimat?»/ Freiluftkonzert/ Barverschiebeaktion: Dietmar Walser
Eröffnung der Projektreihe «Was bleibt? – die Leere»: Naznin Parvin Sharlin
Vernissage der Ausstellung «Verdingkinder»: Nicolaj Georgiev
Eröffnung der Ausstellungsreihe «Der Stand der Dinge»: Daniel Schwendener
Im Kreis der Familie: Angela Lamprecht

Dieses Interview ist Teil des Projekts «Magic Moments» des Kunstvereins Schichtwechsel, in dessen Rahmen Menschen zu ihrem Werdegang, ihren Tätigkeiten sowie magischen und schwierigen Momenten befragt werden.

Das Projekt wird gefördert durch die Kulturstiftung Liechtenstein und die Stiftung Fürstl. Kommerzienrat Guido Feger.

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