«Ich betrachte mich ja als ganzheitlich denkender Mensch und deshalb interessieren mich eben auch die Verbindungen der Innenwelt und der Aussenwelt und des Persönlichen und des Politischen. […] Da können wir eben sehen, dass im persönlichen Leben ja die Krisen oft das Produktivste sind. In der Komfortabilität, in der Routine, in der Gleichförmigkeit stagnieren wir ja auch leicht und verflachen. Und in dem Moment, wo wir eine Krise annehmen, erleben wir innere Wandlung, wir erleben eine Katharsis […]. Und ich glaube, dass die Corona-Krise fast eine ideale Katharsis ist für eine überbeschleunigte, überglobalisierte, übererregte, übererreizte Gesellschaft. Und meine These war, dass wir dieses alte Normal, was damit zu Ende gegangen ist, also diese Illusion, es geht alles immer so weiter: immer mehr Flugzeuge, immer mehr Autos, immer mehr Hektik, immer mehr Information, die aber irgendwann nur noch zu einem schrillen Kreischen oder Rauschen wird; wir leben in einer technischen Welt, in der gibts eigentlich keine Krankheiten mehr, die nicht sofort beherrschbar sind; die künstliche Intelligenz wird alles lösen; das ist plötzlich zusammengebrochen. Und in dieser Konfrontation entstehen eben neue Formungen in den Menschen, in den Gesellschaften. Also es ist auch eine Wiedervergesellschaftung, wo wir nach unserem Verhältnis von ich und wir gefragt werden, der Einzelne und die Gesellschaft, Was sind wir bereit zu tun? Auf was sind wir bereit zu verzichten? Und das erzeugt alles Erkenntnis. Es erzeugt auch – im günstigsten Fall – Erhellung und Erleuchtung, und diesen Formen als Möglichkeitsräume möchte ich gerne nachspüren.»

«Aber man kann natürlich seinen Aufmerksamkeitsfokus immer auf das Nicht-Gelingende richten und das finde ich irgendwie sündenhaft. Ich bin überhaupt kein religiöser Mensch, aber ich finde, es ist eitel, ich finde, es ist narzisstisch, dieses […] ständige Jammern […]. Es ist auch eine ungeheuere Verschwendung menschlicher Energie, immer nur das zu beklagen, was vielleicht noch nicht funktioniert und was natürlich auch einem sehr hohen Ideal geschuldet ist, auch einem narzisstischen Ideal: Ich will Anspruch haben auf eine Gesellschaft, die total gut funktioniert, aber ich will eigentlich meinen Anteil nicht machen. Das geht eben in der Krise nicht mehr. Corona zwingt uns dazu, uns persönlich zu verhalten. Da wird eben auch deutlich der Egoismus der Gesellschaft. Den gibts natürlich auch.»

«Von der Zukunft aus gesehen, werden wir vielleicht eines Tages verstehen, was für ein ethischer Fortschritt Corona war. Also die Idee, die Wirtschaft zu bremsen oder fast zu stoppen, damit überwiegend ältere, kränkere, multi-morbide Menschen länger leben können – diese Verkostbarung des menschlichen Wesens – die macht natürlich viele Leute wahnsinnig. Ethik ist ja eine Frage einer Abwägung – im Vergleich zur Moral, die oft eine Abwertung in sich beinhaltet.»

«Ich glaube, es geht um Bewusstseinserweiterung […]. Es ging eigentlich immer darum, aus dieser Verengung der Sichtweisen herauszukommen […]. Weisheit ist natürlich auch […] Denken in Rundungen […], statt in Gegeneinander-Operationen. Um nochmals auf das Thema der Ökologie zurückzukommen: Es ist eben ein Aufbrechen dieser Mangelvorstellungen. Das Paradies ist ja wirklich eine hübsche Vorstellung, aber es ist ja interessant, dass das Christentum quasi die Ausweisung durch das Essen eines Apfels beschlossen hat. Dadurch fing das ganze Leiden und das Schreckliche erst an. Ich glaube, wir müssen eigentlich den Weg wieder ein Stück weit zurückgehen, in die Fülle des Herzens, also dass wir die Welt nicht mit einer Knappheitsmühle oder einer Schuldmühle verwechseln, weil dann kommen unsere Diskussionen in Richtung Zukunft nie wirklich voran. Weil dann gibts ja immer nur Verteilungskämpfe: Wer darf noch was? Ich glaube, es wäre sehr falsch, zu sagen: ‹Du darfst diesen schweren SUV nicht mehr fahren.›, sondern die intelligente Idee wäre ja, tatsächlich die Welt so darzustellen zu können, dass das ziemlicher Blödsinn ist, dass man es gar nicht mehr braucht. Wenn wir Süchte überwinden, oder schlechte Gewohnheiten, das ist doch die Befreiung, und wir sollten unser Augenmerk und unser Herzensmerk auf diese Befreiung hin konzentrieren und nicht auf die Verbote.»

«Wir sind Wesen des Wachstums, der inneren Veränderung, die dann auch in Handlungen übergehen kann. Unsere mentalen Muster sind wahnsinnig entscheidend für das, was passieren wird. Wenn wir scheitern als Menschheit, scheitern wir auch letzten Endes an unserer geistigen Verengung, an unseren Verängstigungen, an unseren Abgründen. Da eine innere Kultur des Zukünftigen zu entwickeln, das sehe ich als meine Aufgabe. Und man muss sich selbst beobachten können in der Beobachtung. Das ist das, was man letzten Endes Bewusstsein nennt. Es geht eigentlich um Bewusstseinserweiterung. […] Ich glaube, […] dass es [das Leben] sich blühend ausdehnt, dass es wächst und gedeiht, dass es auch wuchert. Und das ist ein Wunder. Und ich glaube, der Sinn ist letzten Endes das Erleben und Erfahren dieses Wunders. […] Mir würde das reichen, dass wir als Personen, als Menschen, dieses Wunder der Vielfältigkeiten, der Verbundenheit erleben. Das ist eigentlich Sinn genug.»

Auszug aus dem Interview «Matthias Horx über seinen Glauben» mit Johannes Kaup, in: Logos – Glauben und Zweifeln, Ö1, 2.1.2021

 


Credits
Bild: www.horx.com

Interview: Johannes Kaup, in: Logos – Glauben und Zweifeln, Ö1, 2.1.2021

Beitrag erstellt von
Laura Hilti, Kunstverein Schichtwechsel