Benjamin Quaderer studierte in Wien und in Hildesheim Literarisches Schreiben. Heute schreibt er verschiedene Texte. Mal sind sie lang und mal etwas kürzer. Der erste ganz lange ist im März 2020 erschienen. Er heisst «Für immer die Alpen» und ist ein Roman. Benjamin Quaderer stammt aus Liechtenstein und lebt derzeit ganz am Rand von Berlin. Er ist 31 Jahre alt.

Wo und wie sind Sie aufgewachsen?

Ich bin aufgewachsen, indem ich einfach immer grösser geworden bin. Getan habe ich das in Nendeln, Liechtenstein.

 

Könnten Sie Ihren Werdegang schildern?

Als Kind hat es mir in Liechtenstein sehr gut gefallen, als Jugendlicher wollte ich möglichst schnell weg. Vielleicht, denke ich manchmal, hat man, wenn man die ersten paar Jahre in einem so winzigen Land verbringt, ein anderes Gefühl für die Grösse der Welt. Vielleicht scheint sie von einem kleinen Land aus betrachtet grösser, als sie das aus einem grossen heraus tut. Zumindest bei mir war das so. Ich bin dann nach Hildesheim und nach Wien, um literarisches Schreiben zu studieren, danach nach Berlin, um dort zu wohnen, und vor zwei Monaten aus der Stadt raus, ganz an den Rand, in ein kleines Örtchen, das technisch gesehen schon in Brandenburg liegt. Jetzt lebe ich so ähnlich wie in Liechtenstein, nur habe ich eine Grossstadt vor der Tür. Von dieser Wendung bin ich selbst überrascht.

 

Gab es bestimmte Ereignisse oder Stationen, die für Ihren Werdegang prägend waren?

Kein singuläres, das ich herausgreifen könnte. Da waren viele kleine Momente, die mich in dem, was ich tue und tuen wollte, bestärkt und bestätigt haben. Das kann ein nettes Wort nach einer Lesung sein, einen Text beendet zu haben, der mir gefällt, vor allem aber ein bestimmtes Gefühl im Prozess, im Schreiben selbst. Das Gefühl, einer Ahnung auf die Spur zu kommen. Sich etwas anzunähern, von dem ich selbst nicht so genau weiss, was es ist. Das ist über die Jahre hinweg so geblieben.

 

Hat Sie Ihr Umfeld in Ihrem Werdegang unterstützt?

Ja. Dafür bin ich sehr dankbar. Wenn das nicht so gewesen wäre, weiss ich nicht, ob ich heute das täte, was ich heute tue.

Welchen Tätigkeiten gehen Sie derzeit nach?

Im März 2020 ist mein erster Roman erschienen. Daran habe ich lange gearbeitet. Als der Text erschienen ist, gab es kein grosses Projekt mehr, an dem ich, wie bis dahin, täglich zu arbeiten hatte, andererseits war gerade auch Pandemie und alles, was für die kommenden Monate geplant war, wurde abgesagt oder verschoben. Das hat das letzte Jahr eher schwierig gemacht. Momentan bin ich mit Erholung, Auftragsarbeiten und der Frage, was ich als nächstes machen möchte, beschäftigt.

 

Erfüllt Sie das, was Sie derzeit machen?

Grundsätzlich ja, aber nicht immer gleich. Es gibt sehr starke Ausschläge, mal in die eine und mal in die andere Richtung. Ich glaube aber, das soll auch so sein. Nie erfüllt zu sein wäre schlimm. Die ganze Zeit erfüllt zu sein aber wahrscheinlich noch schlimmer.

Denken Sie, dass Sie selbst darauf einen Einfluss haben, ob Ihre Tätigkeiten erfüllend sind?

Einen Einfluss darauf habe ich bestimmt. Ich weiss nur nicht, wie gross der ist. Erst wollte ich sagen, dass ich eine solche Sinn-Gewährleistungs-Strategie nicht besitze. Jetzt denke ich, dass meine Strategie eventuell darin besteht, dass ich mir diese Frage nicht stelle.

Was oder wer inspiriert Sie im Alltag?

Heute habe ich aus der S-Bahn heraus einen Mann mit heruntergelassenen Hosen in einem Waldstück am Bahngleis hocken sehen. Er hat da einfach hingeschissen. Und neben ihm sass ein Hund. Das war vielleicht nicht unbedingt inspirierend, aber sehr interessant.

 

Was oder wer gibt Ihnen im Alltag Kraft und Energie?

Eine Umarmung. Essen. Ein gutes Gespräch.

Es gibt «magische Momente», in denen alles zu passen scheint. Momente, die erfüllen, inspirieren und Kraft geben. Momente, die bestätigen, dass sich der Einsatz lohnt und dass das, was man macht, sinnhaft und wertvoll ist. Haben Sie solche Momente in Bezug auf Ihre eigenen Tätigkeiten schon erlebt?

Ein magischer Moment ist einer der kompletten Selbst- und Weltvergessenheit. Die tiefe Versunkenheit. Er stellt sich während des Schreibens ein. Wenn er kommt, bin ich ganz im Text. Da, ohne da zu sein. Dass das ein solcher Moment war, merke ich aber erst, wenn der Moment vorbei ist. Und von da an geht es darum, den nächsten Moment dieser Art herzustellen.

 

Tun Sie aktiv etwas dafür, damit sich solche magischen Momente einstellen können?

Dran bleiben, auch wenn es gerade nicht so gut läuft. Nicht aufhören. Vielleicht etwas lesen, Musik hören, E-Mails schreiben, recherchieren, laufen, aber immer wieder zum Text zurückkehren.

Gibt es Momente, in denen Sie an dem, was Sie machen, zweifeln?

Manchmal kommt es mir vor, als würde ich mehr Zeit mit Zweifeln als mit Schreiben verbringen. Ich kann nicht sagen, dass das zu bestimmten Momenten eintritt, es ist eher so, dass die Zweifel meine Tätigkeit grundieren. Sie sind fester Bestandteil meines Arbeitsprozesses. Insofern kann ich nicht mehr tun, als diese Situation auszuhalten und nicht an den Zweifeln selbst zu verzweifeln. Etwa, indem ich mir in Erinnerung rufe, dass es immer wieder mal Momente gibt, die das überstrahlen.

 

Können Sie schwierigen Momenten rückblickend etwas Positives abgewinnen?

Ohne die schwierigen Momente gäbe es keine guten Momente, ohne die tragischen keine magischen.

 

Gibt es etwas, was Sie rückblickend anders machen würden?

Um diese Frage zu beantworten, fühle ich mich fast noch ein bisschen zu jung.

 

Ist Ihnen die Anerkennung von anderen Personen bzw. von der Öffentlichkeit wichtig?

Ich wünschte, es wäre nicht so, aber es ist schon so. Mehr als um Anerkennung geht es mir aber um Resonanz. Resonanz gibt es nur auf Dinge, die etwas in einer Leserin oder einem Leser anstossen. Im Guten wie im Schlechten. Das ist mir wichtig. Eine Regung, eine Reaktion auszulösen. Die kann positiv oder negativ sein, wobei ersteres natürlich angenehmer ist. Am schlimmsten ist aber ein Schulterzucken, ein «ganz nett», so eine Form der Gleichgültigkeit.

 

Gibt es etwas, womit Sie sich in Zukunft gerne (verstärkt) beschäftigen würden?

Gartenarbeit und Imkerei.

Wofür sind Sie im Leben besonders dankbar?

In einem Umfeld gross geworden zu sein, das mich immer in dem, was ich tun wollte, unterstützt hat. Und dafür, dass ich das heute immer noch tun kann.

Interview
Laura Hilti, Januar 2021


Illustrationen

Stefani Andersen


Links

Benjamin Quaderer: «Für immer die Alpen», Luchterhand


Credits

Porträtfoto: Maximilian Engel
Alle anderen Fotos: Benjamin Quaderer

Dieses Interview ist Teil des Projekts «Magic Moments» des Kunstvereins Schichtwechsel, in dessen Rahmen Menschen zu ihrem Werdegang, ihren Tätigkeiten sowie magischen und schwierigen Momenten befragt werden.

Das Projekt wird gefördert durch die Kulturstiftung Liechtenstein und die Stiftung Fürstl. Kommerzienrat Guido Feger.

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