Nach seiner Ausbildung zum Fotografen an der Kunstgewerbeschule Zürich arbeitete Roland Korner als Fotoassistent in Zürich und New York. 1990 machte er sich als Fotograf selbstständig und beschäftigt sich seither hauptsächlich mit Werbefotografie, Portraits und Reportagen. Im Moment arbeitet er an einem Buchprojekt über Kulturpflanzen in der Alpenregion. Neben Werbeaufträgen im In- und Ausland hat er als Bildautor in zahlreichen Publikationen mitgewirkt und seine Bilder waren in vielfältigen Gruppen- und Einzelausstellungen zu sehen. Seine Aufnahmen und Reportagen wurden mit dem «Preis für jungen Bildjournalismus» und dem Preis «Europäisches Panorama für junge Berufsfotografen» ausgezeichnet. 2007 gewann er ausserdem den Wettbewerb «Kunst am Bau» des neuen Liechtensteinischen Landesarchives. Roland Korner stammt aus Triesen, Liechtenstein, wo er auch heute wieder lebt. Er ist 55 Jahre alt.

Wo und wie sind Sie aufgewachsen?

Wohlbehütet zusammen mit meinen drei Brüdern. Am Dorfrand von Triesen, umgeben von abenteuerlichen Wiesen und Wäldern, haben wir an unzähligen geheimen Orten unsere Hütten gebaut. Ich hätte eigentlich Zimmermann werden sollen.

 

Könnten Sie Ihren Werdegang schildern?

Die ersten Fotos machte ich mit Papas Kamera, da war ich ungefähr 10 Jahre alt. Ich knipste alles was vor die Linse kam. In der analogen Zeit war die Laborausarbeitung eines Films ziemlich kostspielig. Das Migros in Buchs hatte glücklicherweise ein tolles Angebot: es mussten nur die «brauchbaren» Abzüge bezahlt werden. Meine Bilder waren selten brauchbar.

Während meiner Lehre zum Chemielaboranten war die Arbeit in der Dunkelkammer Teil der Ausbildung. Von da an hat mich die Fotografie definitiv nicht mehr losgelassen und ich beschloss schon während der Lehrzeit, die Ausbildung zum Fotografen anzuschliessen.

Die Kunstgewerbeschule befand sich am Limmatplatz in Zürich. Die Nicht-Heile-Welt an der nah gelegenen Langstrasse hat mich von Beginn an fasziniert und die Freude an der Reportage am Rande der Gesellschaft geweckt. Danach zog es mich nach New York, um mich in meinem frisch erlernten Beruf weiterzubilden.

Selbstportrait, 1993

Gab es bestimmte Personen, die für Ihren Werdegang prägend waren?

Robert Allgäuer beauftragte mich, eine Bilddokumentation über das Lebenswerk von Felix Real zu erstellen. Dieser Auftrag brachte mich mit zwei der interessantesten Persönlichkeiten Liechtensteins zusammen – eben mit Robert und Felix. Das entstandene Buch öffnete mir viele Türen. Peter Haidacher, damals ein führender Kopf in der Swarovski Gruppe, hatte den Bildband im Orell Füssli in Zürich entdeckt und mich daraufhin kontaktiert. Alle drei haben mich in meiner Arbeit bestärkt und mir viel Wichtiges mit auf den Weg gegeben – jeder auf seine Art. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar.

 

Hat Sie Ihr Umfeld in Ihrem Werdegang unterstützt?

Meine Eltern unterstützten meine Brüder und mich in unseren unterschiedlichen Berufswünschen.

Die ersten freien Arbeiten habe ich zusammen mit meinem Jugendfreund Pio Schurti erstellt. Er war fürs Reden, Verhandeln und die Texte zuständig, ich für die Bilder. Gemeinsam haben wir die USA, Kuba und Mexico bereist. Zwei daraus entstandene Reportagen wurden international ausgezeichnet.

Felix Real, Vaduz, 1993

Welchen Tätigkeiten gehen Sie derzeit nach?

Dem Beruf des Fotografen.

 

Erfüllt Sie das, was Sie derzeit machen?

Es erfüllt mich sehr, weil fast jeder Tag wieder eine neue Herausforderung mit sich bringt. Mein Beruf ermöglicht es mir, immer wieder neue Menschen zu treffen und interessante Orte kennenzulernen. Er konfrontiert mich mit spannenden Themen, die ich bebildern kann. Das ist bereichernd für eine Wundernase, wie ich es bin.

 

Denken Sie, dass Sie selbst darauf einen Einfluss haben, ob Ihre Tätigkeiten erfüllend sind?

Klar. Auch jeder noch so langweilige Ort kann spannend sein, wenn man die Augen öffnet und neugierig ist. Neugier ist ein ganz wichtiger Punkt für mich. Nur wenn ich unvoreingenommen bin, öffnen sich Menschen und Orte und es entsteht Raum für das Unplanbare.

In sehr seltenen Fällen kann Neugier auch ins Auge gehen. An einem der ersten Tage als Chemielaborant-Lehrling musste ich mit dem Oberstift Thomas in den Säurekeller um Salpetersäure und Ammoniak zu holen. Er sollte mir den nicht ungefährlichen Umgang mit diesen Flüssigkeiten zeigen. Als erstes meinte er, man müsse zuerst immer zünftig an dem geöffneten Kanister riechen, um sicher zu sein, dass auch das Angeschriebene drin ist. Ich machte das dann auch beim konzentrierten Ammoniak und es haute mich vom Sockel. Ich kriegte kaum mehr Luft und mir wurde fast schwarz vor den Augen. Ich beschimpfte Thomas ziemlich lautstark. Das hörte mein Chef und er meinte lachend, «Du musst halt deine Nase nicht überall reinstecken.» und «Stell dich nicht so an, ‹verschtunken› ist hier noch niemand.».

Fidel Castro, Kuba, 1996
Havanna, Kuba, 1993

Was oder wer inspiriert Sie im Alltag?

Das Unbekannte übt sehr viel Faszination auf mich aus und es reizt mich, Fremdes zu entdecken und zu verstehen. Ausserdem inspirieren mich Kontraste: morgens den Obdachlosen am Hudsonriver portraitieren und abends die Dragqueens im Jackie 60. Es ist erfüllend, sich einen Zugang zu anderen Welten zu erschaffen und Menschen zu verstehen, die ganz anders leben als man selbst.

 

Was oder wer gibt Ihnen im Alltag Kraft und Energie?

Viel Kaffee, meine Partnerin Helga und unser Hund Balder. Nicht zuletzt auch Gedanken darüber, was ich noch alles erleben möchte.

Jackie 60, New York, 1995
Meatpacking District, New York, 1995

Es gibt «magische Momente», in denen alles zu passen scheint. Momente, die erfüllen, inspirieren und Kraft geben. Momente, die bestätigen, dass sich der Einsatz lohnt und dass das, was man macht, sinnhaft und wertvoll ist. Haben Sie solche Momente in Bezug auf Ihre eigenen Tätigkeiten schon erlebt?

In einem Winter vor etlichen Jahren lernte ich in Vaduz einen sympathischen, älteren Herrn aus Indien kennen. Ich fuhr mit ihm ins Malbun und konnte ihm auf seinen Wunsch ein Treffen mit unserem Fürsten organisieren. Daraufhin lud er mich zu sich nach New Delhi ein. Er sagte damals «Du hast mir den kältesten Ort der Welt gezeigt, ich zeige dir nun den heissesten». Er stellte mir in seiner Heimat etliche Persönlichkeiten vor und fragte mich, ob ich einen Termin beim indischen Premierminister möchte. Etwas verdutzt fragte ich, wie er das denn anstellen möchte. Er schrieb in meinem Namen einen Brief, in dem er mich als jungen Journalisten aus Liechtenstein vorstellte, der Indien toll fand und die Stadt Delhi liebte, den Gestank in den Strassen und die stromlosen Nächte in gewissen Gegenden jedoch schlimm fände. Ich protestierte. Er lächelte nur und meinte, dieser Mann kriegt jeden Tag hunderte von Briefe, du musst ihn neugierig machen. Wir brachten diesen Brief dann persönlich zum Präsidentenpalast. Nach nur drei Tagen erhielt ich tatsächlich eine Einladung. Einige Zeit später war ich auf Jobsuche in New York. Ich wollte unbedingt eine Assistenten-Stelle bei Mike Reinhardt, einem damals sehr begabten Modefotografen. Es war ein schwieriges Unterfangen, weil viele junge Fotografen von so einer Stelle träumten. Ich schrieb ihm einen Brief und legte ein Schweizer Offiziersmesser dazu, ganz wie es mir mein Freund aus Indien beigebracht hatte. Ich gab den Brief dann ebenfalls persönlich in seinem Büro ab. Ein paar Stunden später klingelte das Telefon, Mike war am Apparat und fragte, ob ich am nächsten Tag Zeit hätte für einen Job und weshalb ich ihm ein Messer geschickt hätte. «Ich musste Ihre Neugier wecken, weil Sie sonst nie angerufen hätten.» war meine Antwort.

Premierminister H.D. Deve Gowda, Neu Delhi, Indien, 1997

Tun Sie aktiv etwas dafür, damit sich solche magischen Momente einstellen können?

Neugierig sein und einen offenen Blick haben: Das zieht magische Momente an.

Manchmal können auch Zufälle zu magischen Momenten führen. Vor Jahren hatte ich von Swarovski den Auftrag, André Heller zu portraitieren. Der Termin wurde kurzfristig vorverlegt und ich vergass in der Hektik die Stromadapter für meine Blitzanlage im Hotel. Beim Aufbau des Lichts bemerkte ich die Misere und wurde ziemlich nervös. Weil André Heller nur ein paar Minuten Zeit für das Shooting hatte, blieb mir keine Möglichkeit, nochmals ins Hotel zurückzugehen. Da es draussen bereits dämmerte und seine Wohnung ziemlich dunkel war, dachte ich mir: «So das war’s!». Da entdeckte ich auf seinem Schreibtisch eine klassische Bürolampe und ich fragte ihn, ob er sich setzen könnte. Zufällig lag da auch ein grosser Swarovski-Kristall, den er in die Hand nahm, um damit herumzuspielen. Die Bürolampe war meine einzige Lichtquelle und ich schoss knapp 30 Bilder. Dann stand er auf und meinte, das müsse reichen. Es reichte, mein Kunde und er waren sehr zufrieden mit diesem spontan entstandenen Bild, das ich ohne die vergessenen Adapter nie gemacht hätte.

Swarovski, Wien, 1994
Swarovski, Paris, 1994

Gibt es Momente, in denen Sie an dem, was Sie machen, zweifeln?

Manchmal frage ich mich, ob unser durch die digitale Bilderflut abgestumpftes Auge ein gutes Bild noch zu erkennen vermag.

 

Können Sie schwierigen Momenten rückblickend etwas Positives abgewinnen?

Schwierige Momente verlangen nach Lösungen. Findet man eine Lösung, kommt man gestärkt aus einer Krise raus.

Findet man keine Lösung, hat René Weller, eine deutsche Boxlegende, ein Rezept: «Wo ich bin, ist oben, falls ich mal unten bin, ist unten oben.»

 

Gibt es etwas, was Sie rückblickend anders machen würden?

Nach meiner Ausbildung ging ich nach New York, um mich als Assistent bei bekannten Fotografen weiterzubilden. Eines Tages stand ich vor der Frage, ob ich in New York bleiben oder nach Liechtenstein zurückkehren soll. Ich entschied mich für das zweite. Doch manchmal frage ich mich, was aus mir geworden wäre, wenn ich anders entschieden hätte.

Pullman Club, Juarez, Mexiko, 1991

Möchten Sie mit Ihren Tätigkeiten etwas zur Gesellschaft beitragen?

Vielleicht nicht der Gesellschaft als Ganzes. Einem Menschen mit einem Bild Freude zu bereiten, ist etwas Wunderbares.

 

Ist Ihnen die Anerkennung von anderen Personen bzw. von der Öffentlichkeit wichtig?

Ich glaube, bei Menschen mit kreativen Tätigkeiten ist die Anerkennung oft wichtiger als der Lohn.

Quetta, Pakistan, 1990

Wie gut können Sie von dem, was Sie beruflich tun, leben?

Mein Beruf hat mich bisher ziemlich gut durchs Leben gebracht.

 

Gibt es etwas, das Sie derzeit besonders beschäftigt?

Wie vermutlich fast jeden auf dieser Welt, Corona.

 

Gibt es etwas, womit Sie sich in Zukunft gerne (verstärkt) beschäftigen würden?

Ich würde mich gerne wieder einmal auf ein Abenteuer begeben und mir die Zeit nehmen für eine freie, nicht kommerzielle Arbeit.

Yazd, Iran, 1990

Wofür sind Sie im Leben besonders dankbar?

In einem Land geboren und aufgewachsen zu sein, das mir ermöglicht hat, frei zu entscheiden, was ich mit meinem Leben anfangen möchte.

Interview
Laura Hilti, Januar 2021


Links

www.korner.li

 

Credits
Porträtfoto: Eddy Risch
Alle anderen Fotos: Roland Korner

Dieses Interview ist Teil des Projekts «Magic Moments» des Kunstvereins Schichtwechsel, in dessen Rahmen Menschen zu ihrem Werdegang, ihren Tätigkeiten sowie magischen und schwierigen Momenten befragt werden.

Das Projekt wird gefördert durch die Kulturstiftung Liechtenstein und die Stiftung Fürstl. Kommerzienrat Guido Feger.

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