«Die Abbildung der Lebenswirklichkeiten, das hängt ja zum einen daran: Wer arbeitet in der Redaktion und wer hat auch welche Zugänge und wie werden die Themen bewertet? Und es ist unheimlich schwierig, im Journalismus von Objektivität und Neutralität zu sprechen, weil das einfach direkt an die Personen gekoppelt ist, die den Journalismus machen. Niemand von uns kann wirklich objektiv sein. […] Wenn man als Journalistin Anfang 30 mit eher einem akademischen Hintergrund jetzt einfach anfängt, nur eine Reportage zu machen, dann kann das auch eine gute Reportage werden, aber man sieht trotzdem viele Dinge nicht und sieht viele Dinge anders. Und der Journalismus oder Redaktionen sind gerade einfach sehr homogen, was die Bildungshintergründe betrifft, was das Einkommen betrifft, und ich glaube, da kann ich auch weniger gut darüber sprechen, da müssen wirklich vielfältige Leute darüber sprechen, was das für einen Unterschied macht, wenn man mit Hartz 4 aufwächst und wie man dann einfach anders auf die Welt schaut und bestimmte Themen bewertet. Ich glaube, Themenbewertung, also: Was ist eigentlich relevant?, das ist eine riesige Frage. Und da kommt man nur hin, wenn man zum einen mit ganz vielen unterschiedlichen Menschen ständig spricht, aber eigentlich müssen sie in die Organisationen rein, weil Vielfalt bekommt man wirklich nur mit der Mischung in den Organisationen hin. Also es reicht eigentlich nicht, den Blick nur weiter zu öffnen und mal zu kucken: Welche Themen machen wir eigentlich grade nicht? Welche Protagonisten fallen uns raus?, weil das ist immer nur punktuell, das verändert langfristig zu wenig.»

«Ich glaube, was man sich vor Augen halten muss, ist, dass Vielfalt in Organisationen immer total anstrengend ist, weil nicht sofort der Effekt eintritt, dass alle Ideen besser werden und dass das Unternehmen erfolgreicher ist, sondern dass es auch eine wirklich grosse Management-Aufgabe ist, so ein Team gut miteinander arbeiten zu lassen. Und daran scheitert, glaube ich auch, Vielfalt häufig in Organisationen, weil es gerade so trendy ist oder wie auch immer man das nennen will, zu sagen: ‹Vielfalt führt zu mehr Umsätzen.› und ‹Vielfalt macht das Produkt besser.› Und dann fängt man an, irgendwie Leute anzustellen und dann passt es aber kulturell nicht und man weiss nicht wirklich, wie man damit umgehen soll.»

«Ich finde, die Kultur, die hier politische Debatten prägt, ist häufig: Ist das überhaupt bezahlbar? Ist das realistisch?, und ich glaube, für Ideenentwicklung muss man sich davon erst mal freimachen und erst mal darüber nachdenken: Was könnte ein Zukunftsszenario sein, das gut und erstrebenswert ist? – unabhängig davon, dass ich mir Gedanken dazu mache: Wie kommt man dahin? Ist das finanzierbar? und: Machen alle mit?, sondern sich davon erst mal freimachen und kucken: Was kann ich mir überhaupt vorstellen?»

«Gleichstellung, finde ich, ist falsch verstanden, Gleichberechtigung ist falsch verstanden, wenn jetzt Frauen sich nur darauf beziehen: Was machen Männern schon und wo fehlen wir noch?. Da fehlen dann ja eigentlich auch eigene Ideen, wenn jetzt Frauen vor allem darauf pochen: ‹Wir möchten aber 50 Prozent Anteile in Vorständen haben.›, ‹Wir möchten genau das gleiche verdienen.›. Dann ist das eben diese Orientierung am männlichen Massstab. Und da wird eben nicht gefragt: ‹Stell ich mir das Leben vielleicht ganz anders vor? Ist die Krönung einer Karriere eben nicht ein Vorstandsposten, sondern etwas ganz anderes?›»

«Wenn man […] sagt, wir wollen jetzt, dass alle Leute Vollzeit arbeiten und Karriere machen. Das geht schon an erster Stelle nicht, weil nicht alle Leute Karriere machen können, weil es gibt nicht für alle Führungsjobs. […] Das finde ich, ist schon der erste Denkfehler, dass in der Art und Weise, wie über Beruf und Karriere gesprochen wird, alle so in Richtung Karriere gedrängt werden. […] Und viele wollen es ja auch tatsächlich nicht, wirklich nicht – und das finde ich ja auch total legitim.»

«Was ich kritisieren würde an den aktuellen politischen Diskursen ist eben dieses Fehlen von Zukunftsbildern, die auch mal ein bisschen mutiger sind und wo man eben jetzt noch nicht so genau weiss: Wie kommen wir dahin? Ich sass nämlich letztes Jahr auch mit Peter Altmaier auf einem Podium und hab über die 20-Stunden-Woche gesprochen und er hat auch gleich reflexhaft abgewehrt und sagte: ‹Nein, die 40-Stunden-Woche brauchen wir, damit die Wirtschaft nicht zusammenbricht.› Und da würde ich eher sagen: ‹Das ist doch unser Wirtschaftsminister, der muss doch ein paar Ideen haben.› Auch gerade, wenn wir über den technologischen Fortschritt sprechen. Wir schaffen doch Technologie und Maschinen, damit sie uns Arbeit abnehmen – und das ist doch wirklich ein schönes Zukunftsbild zu sagen: Wir können mehr delegieren an Technologie und dadurch mehr Lebensqualität bekommen. […] Es muss ja kein Wohlstandsverlust bedeuten. Die Kür wäre ja eigentlich zu sagen: ‹Wir halten den Wohlstand und erhöhen die Lebensqualität.›»

«Ich glaube, dass man einer starken Arbeitszeitverkürzung gar nicht vorbeikommt. Die Zeit, die wir haben, ist ja einfach begrenzt und muss aufgeteilt werden. Und solange Menschen alt werden und auch weiterhin Kinder bekommen, gibt es ja einfach sehr viele Menschen, um die sich auch gekümmert werden muss. Und die Frage mitzudenken und auch in Wirtschaft einzudenken: Wie wird die sogenannte Care-Arbeit eigentlich organisiert und kann das alles über zusätzliche Arbeitskräfte abgedeckt werden? Wenn man das zusammendenkt und da auch gerade auf die Realität einfach kuckt: Wie ist es gerade?, dann kommt man eigentlich sehr schnell an den Punkt und sieht: Es geht überhaupt nicht. Uns fehlen jetzt in Deutschland schon ganz viele Pflegekräfte, es fehlen ganz viele Erzieherinnen und Erzieher, um die Nachfrage nach Kita-Plätzen überhaupt zu bewältigen. Und die wird sich auch nicht darüber lösen lassen, dass man eben Fachkräfte aus dem Ausland holt. […] Da müssen wir uns einfach ganz klar fragen: Wie organisieren wir das menschliche Leben, das nicht in Job stattfindet und wer übernimmt da eigentlich Verantwortung und wer kann das leisten? Für mich ist das Naheliegendste, dass wir weniger erwerbsarbeiten und versuchen, diese Arbeit möglichst gleichberechtigt aufzuteilen.»

«Arbeitszeitverkürzungen sind ja traditionell über Gewerkschaften erreicht worden und ich hatte das, glaube ich, neulich auch mal recherchiert, seit wann es eigentlich den 8-Stunden-Tag bzw. die 40-Stunden-Woche gibt und ich glaube, die ist auch schon wieder fast 100 Jahre alt. Und seitdem gab es keine signifikante Arbeitszeitverkürzung. Da kann man sich ja auch mal fragen: Was haben wir die letzten 100 Jahre eigentlich gemacht und lohnt es sich nicht, sich dafür einzusetzen?»

«Ich glaube, die eine Krux ist eben, wenn man genau in dieser Lebensphase steckt, in der man merkt, es geht eigentlich nicht, dann fehlt einem die Energie, sich damit zu befassen. Und dafür brauchen wir auch die Arbeitszeitverkürzung: für dieses politische Engagement. […] Es [das Modell von Frigga Haug] heisst die ‹Vier-in-einem-Perspektive› und sie sieht acht Stunden zum Schlafen vor, was ja auch das auch das gesunde Mass ist, wenn man in die aktuelle Forschung schaut. Und dann sind noch 16 Stunden übrig und die teilt sie in vier Teile: Das ist zum einen Erwerbsarbeit, dann Care-Arbeit, in der man sich um sich oder auch um andere sorgt, kulturelle Arbeit, was zum Beispiel auch Weiterbildung umfasst und eben politisches Engagement auch. Ich finde, das greift einfach sehr gut ineinander, weil das braucht es alles. Und hätten wir diese Zeit zum Beispiel für politisches Engagement, hätten wir vielleicht auch schon mehr gesellschaftliche Veränderungen. Deswegen fände ich es aus Parteien-Sicht total klug, sich für eine Arbeitszeitverkürzung einzusetzen, weil dann hätten sie vielleicht auch mehr junge Leute wieder, die sich in ihren Organisationen einbringen.»

«Ich finde, Kinder werden gerade in der Diskussion darüber, wie wir arbeiten oder auch wie Kinderbetreuung organisiert wird, eigentlich so ein bisschen aussen vor gelassen, weil immer gesagt wird: Wir brauchen einfach noch mehr Kita-Plätze und die müssen alle bis 20 Uhr aufhaben und Ganztagsschulen. Und dann hat man auf einmal ein eigenes Kind und merkt: Das will das aber gar nicht. […] Das Bedürfnis von einem Kind, ist nicht unbedingt 8 Stunden in der Kita zu sein – und gleichzeitig setzt du dich dann aber dafür ein, dass es mehr und längere Kita-Plätze gibt.»

«Die Einbindung vom Publikum, seien es Leserinnen oder Hörerinnen oder Zuschauer, finde ich total interessant. Da weiter Formate zu entwickeln, aber eben auch nochmals zu kucken: Wo sind eigentlich gerade die blinden Flecken im Journalismus? Warum erreichen wir bestimme Leute auch nicht mehr? Wie könnte man die eigentlich erreichen? Wenn man zum Beispiel nur auf den Nachrichtenjournalismus kuckt, gibt es ganz interessante Studien zur ‹News Avoidance›, das heisst: Wer konsumiert eigentlich Nachrichten? Wer konsumiert politische Nachrichten? Und da gibt es unter anderem auch einen Gender-Gap, dass Frauen viel weniger sich politisch informieren […] Wenn ich sehe, ich erreiche mit politischer Information zum Beispiel Frauen nicht, dann finde ich, ist es auf jeden Fall ein Auftrag an den Journalismus, sich zu fragen: Wie kann ich sie denn erreichen, damit möglichst alle gut politisch informiert sind?»

Auszüge aus dem Interview «Teresa Bücker, warum sollten wir alle weniger arbeiten?» mit Teresa Bücker von t3n Podcast – Das Update für digitale Pioniere, 21.2.2020

 


Links
Sendung: «Teresa Bücker, warum sollten wir alle weniger arbeiten?» mit Teresa Bücker von t3n Podcast – Das Update für digitale Pioniere, 21.2.2020
Website: www.teresabuecker.de

Credits
Bild: Paula Winkler

Text: «Teresa Bücker, warum sollten wir alle weniger arbeiten?» mit Teresa Bücker von t3n Podcast – Das Update für digitale Pioniere, 21.2.2020 [Transkription: Laura Hilti]

Beitrag erstellt von
Laura Hilti, Kunstverein Schichtwechsel, 18.4.2021