«Leider entfremdet uns die Sprache, die wir gelernt haben, von unserer menschlichen Natur. Gewaltfreie Kommunikation hilft uns, dieses natürliche Einfühlungsvermögen wieder zu entfalten. Und ich glaube wirklich, dass wir Menschen eigentlich nichts mehr geniessen, als zum Wohlergehen anderer Menschen beizutragen.»
«Ich habe gelernt, dass Menschen sich aufgrund ihrer Hautfarbe gegenseitig verletzten und umbringen. Und als ich zur Schule ging, bekam ich zu spüren, dass mein jüdischer Nachname Aggressionen bei anderen auslöste. Also bin ich mit der Frage aufgewachsen: Was bringt Menschen dazu, andere zu verletzen? Was gibt es ihnen, jemanden leiden zu sehen?»
«In der Psychologie habe ich gelernt, dass Menschen, die gewalttätig sind, eine Störung haben. Ich glaube, dass es eine vereinfachende und gefährliche Perspektive ist, zu meinen, dass Gewalttätigkeit eine Krankheit ist. […] Die Antwort auf die Frage nach der Ursache von Gewalt liegt in der Art und Weise, wie wir gelernt haben zu denken, zu kommunizieren und mit Macht umzugehen.»
«Wenn uns etwas an dem Verhalten eines Menschen stört, ist es wichtig, präzise zu sein. Es gibt vier Komponenten, die ich für sehr nützlich halte. Erstens: Beobachte, ohne zu bewerten. Der erste Schritt der Gewaltfreien Kommunikation ist also, einer anderen Person mitzuteilen, was uns nicht gefällt, ohne ihr Verhalten zu bewerten. Eine klare Beobachtung heisst: Halte dich einfach an die Tatsachen.
Zum Beispiel: Ein Mann sagt zu seiner Frau ‹Du kannst einfach nicht mit Geld umgehen.› Und sie sagt: ‹Immer musst du mich kontrollieren.› Das sind keine Beobachtungen. Das sind Interpretationen und Bewertungen eines Verhaltens.
Der indische Philosph Krishnamurti sagt: ‹Die höchste Form der Intelligenz ist es, zu beobachten, ohne zu urteilen.› In Studien über Rassismus und Sexismus wird deutlich, dass Menschen, die zu diskriminierendem Denken neigen, diese Differenzierung nicht vornehmen. Sie denken, ihre Vorurteile entsprächen den Tatsachen.»
«Eine beliebte Form von Machtmissbrauch ist zum Beispiel Schuld. Dabei gehen wir davon aus, dass andere Menschen unsere Gefühle kreieren. Dann mache ich mein Gegenüber dafür verantwortlich, wenn es mir schlecht geht. Ich sage zum Beispiel: ‹Du verletzt mich.› Oder: ‹Ich bin enttäuscht von dir›, ‹Du machst mich wütend.›
Ein zentraler Aspekt der Gewaltfreien Kommunikation ist das Bewusstsein, dass andere Menschen nicht für unsere Gefühle verantwortlich sind. Das einzige, was unsere Gefühle beeinflussen kann, ist die Haltung, mit der wir reagieren. Wenn ich jedoch glaube, dass eine Äusserung wahr ist, wenn ich sie also persönlich nehme, dann fühle ich mich schlecht, dann schäme ich mich. Scham ist also eine weitere Form des Machtmissbrauchs. Wer sich schlecht fühlen will, dem schlage ich Folgendes vor: Benutze möglichst oft das Wort ‹falsch›. Überlege dir, wie du bist, wann du dich daneben benommen hast und wann du vorbildlich warst. Frag dich: Bin ich attraktiv? Bin ich kompetent? Wenn du dir so richtig die Laune verderben willst, dann denke auch ausgiebig darüber nach, wie andere Menschen sind, ob sie normal sind oder anormal, ob ihr Verhalten angemessen ist oder nicht.
Wenn es dir immer noch nicht reicht, dann kannst du dich auch noch der Frage widmen, was andere Menschen wohl von dir denken. Ob sie dich nett finden. Benutze möglichst auch das Wort ‹soll›. Was sollte ich tun, was sollten andere tun? Was glauben andere, dass ich tun sollte?»
«Wenn wir eine Sprache lernen, in der wir mitteilen können, wie es uns in jedem Moment geht, welche Gefühle und Bedürfnisse in uns lebendig sind, dann ist es nicht schwer, mit anderen Menschen in einem empathischen Kontakt zu sein.»
«In dem Buch ‹Ein Kurs in Wundern› heisst es: ‹Willst du lieber Recht haben oder glücklich sein?› Das ist eine wichtige Entscheidung, die wir in jedem Moment unseres Lebens treffen müssen. Beides zusammen geht nicht.»
«[…] ich [habe] die erste Komponente der Gewaltfreien Kommunikation Beobachtung genannt. Was ist der Auslöser? Was hat die andere Person getan, das dich in deiner Lebensqualität einschränkt? Die zweite Komponente sind Gefühle. Wie fühlst du dich, wenn die Person sich so verhält?
Und die dritte Komponente sind Bedürfnisse, die mit den Gefühlen verbunden sind. Wenn unsere Bedürfnisse erfüllt sind, haben wir angenehme Gefühle. Wenn sie nicht erfüllt sind, haben wir schmerzhafte Gefühle. Je bewusster wir uns unserer Bedürfnisse sind, desto selbstbestimmter können wir leben und desto besser können wir andere Menschen verstehen. Denn alle Menschen haben die gleichen Bedürfnisse. Das heisst, wenn wir unserem Gegenüber vermitteln können, was unsere Bedürfnisse sind, dann haben wir eine viel bessere Chance, dass diese Person bereit ist, etwas zur Erfüllung dieser Bedürfnisse beizutragen, als wenn wir sie angreifen und kritisieren.
Wenn meine Bedürfnisse erfüllt sind, dann kommt die andere Frage ins Spiel, die ich genannt habe: Wodurch würde sich deine Lebensqualität verbessern? Und dafür habe ich die vierte Komponente der Gewaltfreien Kommunikation entwickelt: die Bitte. Im vierten Schritt geht es also darum, eine klare Bitte zu äussern, das heisst, positiv zu formulieren, was ich von der anderen Person will – nicht, was ich nicht will – und dabei klare Handlungsangebote machen: Worum bitte ich die anderen Person, was möchte ich von ihr? Es geht nicht darum, was sie denken soll oder wie sie sich fühlen soll, nicht wie sie sein soll. Sondern es geht um ganz konkrete Handlungen, um die ich sie bitte, damit mein Leben bereichert wird.
Eine Frau sagt zum Beispiel zu ihrem Mann: ‹Ich will nicht, dass du soviel arbeitest.› Das ist keine konkrete Bitte.
Vielen Menschen fällt es schwer konkrete Bitten zu äussern. Man muss sich in dem Moment bewusst darüber sein, was man eigentlich genau will. Dieser vierte Schritt ist sehr wichtig, denn um etwas ganz Einfaches zu bitten, kann die Welt verändern. Und es macht vielen Menschen Angst, danach zu fragen, was sie jetzt, in diesem Moment wollen. Es bedeutet, Verantwortung zu übernehmen und die Welt zu kreieren, in der man leben will.
[Eine konkrete Bitte könnte lauten:] ‹Ich möchte gerne, dass du mir sagst, ob du bereit bist, einen Abend pro Woche mit mir zu verbringen und einen mit den Kindern.›
Der Hauptgrund dafür, dass unsere Bedürfnisse unerfüllt sind, ist, dass wir keine klaren und konkreten Bitten geäussert haben.»
«Ja, die Herausforderung ist, anderen Menschen offen mitzuteilen: ‹Hey, wenn du so handelst, dann passiert Folgendes in mir. So fühle ich mich, das brauche ich. Und das ist es, worum ich dich bitten will.› Und das alles, ohne die andere Person moralisch zu verurteilen und ohne Forderungen zu stellen. Eine Bitte ist dann keine Forderung, wenn wir respektvolles Verständnis aufbringen, wenn die andere Person das, worum wir sie bitten, nicht tut, aus welchem Grund auch immer. Wenn wir Gewaltfreie Kommunikation benutzen und einen Menschen um etwas bitten, dann wollen wir, dass er unsere Bitte nur dann erfüllt, wenn er wirklich bereit dazu ist.
[…] Wir bezahlen jedes Mal teuer dafür, wenn jemand etwas von uns als Forderung oder Kritik hört, denn es zerstört die einfühlsame Verbindung und die Frage am Geben. Und das ist etwas sehr Wertvolles, das man in einer Beziehung nicht verlieren möchte.
Also kurz gesagt: Es geht darum, herauszufinden, was man fühlt, was man braucht und was man will, denn das wissen die meisten Menschen nicht.»
Links
Zitiertes Buch: Marshall B. Rosenberg (2004). Konflikte lösen durch Gewaltfreie Kommunikation. Ein Gespräch mit Gabriele Seils. Verlag Herder.
Weiteres Buch: Marshall B. Rosenberg (2016). Gewaltfreie Kommunikation. Eine Sprache des Lebens. Junfermann.
Video von einem Workshop von Marshall B. Rosenberg auf (Englisch): Marshall B. Rosenberg (o. D.). NVC Introduction. Wellbeing Media.
Credits
Bild: Marshall B. Rosenberg (o. D.). NVC Introduction. Wellbeing Media.
Text: Marshall B. Rosenberg (2004). Konflikte lösen durch Gewaltfreie Kommunikation. Ein Gespräch mit Gabriele Seils. Verlag Herder.
Beitrag erstellt von
Laura Hilti, Kunstverein Schichtwechsel, 12.4.2021