Neben seiner Ausbildung zum Schreiner war Bernhard Frommelt in seiner Jugend Skiclub- und Nordic-Trainer und Sportler aus Leidenschaft. Er machte Langstreckenwettkämpfe, Duatlon, Gigatlon, Bergläufe, Marathon, Skilanglauf. Seit seinem 21. Lebensjahr arbeitet er im Familienbetrieb «Schreinerei Frommelt AG», von dem er heute der Geschäftsführer ist. Aufgewachsen ist er in Schaan, Liechtenstein, wo er auch heute noch lebt und arbeitet – ein sogenannter «Ohrenmarkerschaaner». Er hat insgesamt drei Häuser gebaut, ist verheiratet, hat zwei Töcher und ist 61 Jahre alt.

Wo und wie sind Sie aufgewachsen?

Ich bin in Schaan Süd am Tanzplatz mit vier Schwestern aufgewachsen. Es war eine glückliche, ungezwungene Jugend mit vielen Freiheiten.

Könnten Sie Ihren Werdegang schildern?

Die unbekümmerten Jahre waren zwei Jahre Kinderschule, sechs Jahre Volksschule Schaan, vier Jahre Realschule Vaduz und vier Jahre Schreinerlehre in Speicher im Appenzell. Mit 19 Jahren machte ich eine viermonatige Trampreise von Kanada nach Mexiko, quer durch die USA. Mit 20 war ich für zwei Wochen in Irland, wo ich an einem internationalen Berufswettbewerb für Schreiner teilnahm. Es war ein tolles Erlebnis, ich lernte andere Arbeitsmethoden und Mentalitäten kennen. Bei den Asiaten war alles militärisch organisiert, während wir anderen noch schliefen, mussten sie bereits zum Frühsport. Bei einer Goldmedaille wurden sie in ihrem Heimatland fast wie Olympiasieger empfangen und demensprechend Angst hatten sie auch vor einer Niederlage. Die Belgier hingegen wussten bis eine Woche vor dem Wettbewerb gar nicht, wer teilnehmen würde. Bei den Amerikaner gibt es das System der Lehren nicht, weswegen alle ihre Reisekosten selbst bezahlen mussten und nur Teilnehmer aus wohlhabenden Familien da waren. Mit den Taiwanern tauschte ich Werkzeuge aus. Es war menschlich ein wertvolles Erlebnis. Wieder in Schaan arbeitete ich in unserer Schreinerei und machte alle Sportarten durch. Sport und Kollegen waren mir sehr wichtig, deshalb machte ich praktisch keine schulischen Weiterbildungen. Ich lebte einfach. Irgendwann musste ich die Verantwortung im Betrieb übernehmen. Ich heiratete spät und wurde Vater zweier Töchter. Vieles geht nicht mehr so einfach wie mit 20 Jahren.

 

Gab es bestimmte Ereignisse oder Stationen, die für Ihren Werdegang prägend waren?

Der Übertritt in die Realschule. Dadurch veränderte sich der Freundes- und Kollegenkreis.

Die vierjährige Lehre in Speicher war für mich keine schöne Zeit.

Die Reise in die USA.

Häuser bauen.

Heiraten und Vater werden.

Gab es bestimmte Personen, die für Ihren Werdegang prägend waren?

Meine Nana. Mama. Papa.

 

Hat Sie Ihr Umfeld in Ihrem Werdegang unterstützt?

Ich wurde stark unterstützt, hätte noch viel mehr bekommen, wenn ich gewollt hätte. Privat und auch vom Staat, in den Schulen usw.

Welchen Tätigkeiten gehen Sie derzeit nach?

Beruflich bin ich Geschäftsführer einer Schreinerei. Ich mache etwas Sport. Mit unserer kleinen Tochter und meiner Frau gehe ich Freizeitaktivitäten nach.

 

Erfüllt Sie das, was Sie derzeit machen?

Teils, teils.

Privat: Da ich spät eine Familie gründete, bin ich altersmässig gut 20 Jahre versetzt. Das ist schön, teilweise aber auch anstrengend.

Beruflich ist mir die Welt zu kleinkariert und zu perfekt.

Freizeit-Sport: Bin Baujahr 1959, da geht viel Spontanität verloren.

 

Denken Sie, dass Sie einen Einfluss darauf haben, ob Ihre Tätigkeiten erfüllend sind?

Ich bin von Natur aus kein Stratege, habe aber mittlerweile Rezepte gefunden, damit ich nicht nur reagieren muss, sondern auch bestimmen kann. Leben heisst für mich eigentlich passieren lassen.

Was oder wer inspiriert Sie im Alltag?

Meine Kinder. Kinder im Allgemeinen. Natur. Bilder und Architektur.

 

Was oder wer gibt Ihnen im Alltag Kraft und Energie?

Ich wurde mit einer klaren Wertehaltung erzogen. Es gab keine extremen Erwartungen oder Druck vom Elternhaus, aber wir hatten immer Pflichten. Das habe ich über die Jahre verinnerlicht. Wenn ich am Morgen aufstehe, frage ich nie nach dem Sinn des Tages oder des Lebens. Ich stehe jeden Morgen zur gleichen Zeit auf und gehe arbeiten, aber ansonsten habe ich keine festen Rituale. Ich schaue jeden Tag, was passiert. Manchmal ist die Energie früh aufgebraucht, aber wenn man weitermacht, lädt meist irgendetwas die Kraft wieder auf. Es ist ein Überlebensmodus.

Es gibt «magische Momente», in denen alles zu passen scheint. Momente, die erfüllen, inspirieren und Kraft geben. Momente, die bestätigen, dass sich der Einsatz lohnt und dass das, was man macht, sinnhaft und wertvoll ist. Haben Sie solche Momente in Bezug auf Ihre eigenen Tätigkeiten schon erlebt?

Das habe ich manchmal, verstehe es aber nicht, sie auszukosten. Treffen diese Momente ein, verspüre Energie und möchte sie ausleben. Ich sollte sie geniessen und von allem anderen Abstand nehmen. Meist ist aber das Gegenteil der Fall. Irgendeine schlechte Nachricht, ein Telefon oder dergleichen überschatten diese Momente, nichts ausser einer Leere bleibt zurück, das Negative ist präsent.

Magische Momente wie die Geburt meiner Töchter hielten länger an, ich war in einem Tunnel für mich allein.

Einer meiner magischsten Momente war mit ca. 9 Jahren. Fred Kindle erzählte in der Schule, dass es in Sargans eine Stiege gäbe, auf der man nicht laufen müsse. Er war mit seiner Mutter dort einkaufen gewesen. Meine Familie ging dort nie hin. Am Samstagnachmittag fuhren wir schliesslich mit unseren Rädern nach Sargans, zwei Mal über den Lutzisteig, heute weiss ich nicht mehr warum. Wir standen vor dieser Rolltreppe und waren so fasziniert. Wir hatten das noch nie gesehen und untersuchten die Stiege genau, fuhren stundenlang auf- und ab. Wir hatten kein Geld und starben fast vor Hunger. Irgendwann waren so viele Leute da, dass wir uns verloren und jeder weinend in einer Ecke gefunden wurde. Mit leerem Magen fuhren wir wieder über den Luzisteig nach Hause, es war stockdunkel ohne Licht. Bei jedem Klassentreffen ist das ein Thema zwischen Fred, Roland und mir – das Ereignis hat uns zusammengeschweisst. Die erste Rolltreppe im Land gabs dann beim Kaufin in Schaan. Die nächste, und ich glaube derzeit die einzige, im Coop in Vaduz.

 

Tun Sie aktiv etwas dafür, damit sich solche magischen Momente einstellen können?

Eigentlich nicht, ich bin meist von den Tagesgeschäften getrieben.

Gibt es Momente, in denen Sie an dem, was Sie machen, zweifeln?

Die gibt es immer wieder. Vor allem, wenn ich Umweltprobleme oder Leute sehe, die nicht auf der Sonnenseite stehen, weiss ich, wie sinnlos unser Streben nach Macht, Perfektionismus und all den materiellen Werten ist. Ich sehe, wie gross mein Fussabdruck ist. Vor drei bis vier Jahren sind wir in die Ferien gefahren. Ich hörte im Radio, dass Mitte Juli die Ressourcen der Welt für jenes Jahr bereits aufgebraucht waren. Wir leben auf Pump, heute sind die Ressourcen schon drei bis vier Wochen vor den Sommerferien aufgebraucht.

 

Können Sie schwierigen Momenten rückblickend etwas Positives abgewinnen?

Ja. Ich weiss das nächste Mal, auch das geht vorbei. Wenn man etwas schon einmal erlebt hat, reagiert man immer wieder gleich. Der Körper und Geist entwickeln ein Abwehrverhalten bei ähnlichen Problemen, negativ oder positiv. Man kann zwar Verhaltensmuster langfristig ändern, aber man fällt auch oft wieder in die alten Muster zurück.

 

Gibt es etwas, was Sie rückblickend anders machen würden?

Kleine Sachen. Ich kann sie sowieso nicht ändern. Das ist einfach Teil des Lebens. Ich hatte keine Schicksalsschläge, sonst würde ich bestimmt anders empfinden.

Möchten Sie mit Ihren Tätigkeiten etwas zur Gesellschaft beitragen?

Ja, ich sehe mich als Glied in einer Kette und möchte etwas beitragen. Am liebsten wäre mir, wir würden uns alle auf Augenhöhe begegnen, zum Beispiel meine Mitarbeiter und ich. Das ist praktisch nicht möglich, da meine Gene, mein Charakter und die durch meine Position angeeignete Eigenschaften eher die eines Jägers und nicht eines Sammlers sind. Es ist schwierig, nicht manchmal einfach doch sehr bestimmend aufzutreten. Ich gebe mir Mühe, aber die alten Verhaltensweisen schlagen immer wieder durch.

 

Ist Ihnen die Anerkennung von anderen Personen bzw. von der Öffentlichkeit wichtig?

Eigentlich nicht, ich denke darüber nie nach. Ich hatte im ganzen Leben nie Vorbilder, denen ich nacheiferte. Ich hatte auch nie das Gefühl, zurückgestellt worden zu sein oder etwas verpasst zu haben. Deshalb entstand auch kein übermässiger Geltungsdrang.

 

Wie gut können Sie von dem, was Sie beruflich tun, leben?

Sehr gut, ich bin zufrieden. Der Einfluss ist sicher da, ich kann spontan reagieren, kann auch mal grosszügig sein.

 

Gibt es etwas, das Sie derzeit besonders beschäftigt?

Die Umwelt, die ich meinen Töchtern übergebe. Sie ist durch meinen grossen Fussabdruck stark strapaziert und hat sich verändert. Ich habe die Welt gebraucht, aber bezahlen werden zuerst jene, welche praktisch mit der Natur gelebt haben und unter unserer Ausbeutung schon gelitten haben.

 

Gibt es etwas, womit Sie sich in Zukunft gerne (verstärkt) beschäftigen würden?

Wie wir es schaffen, eine Umkehr zu erreichen. Wie wir nicht nur Technikgläubigkeit, Digitalisierung und Perfektionismus in den Vordergrund stellen.

Weniger ist mehr. Ballast abwerfen, um leichter durch das Leben zu gehen.

Mehr Handwerk und Befriedigung der Menschen durch das Arbeiten mit den Händen. Wir sind zu kopflastig.

Wofür sind Sie im Leben besonders dankbar?

Ich bin 61 Jahre alt und habe nie Hunger oder Krieg erlebt. Ich hatte mehr Bildungsmöglichkeiten, als mir lieb waren. Bis jetzt habe ich keine Schicksalsschläge erlebt.

Mit allen Zwängen, die es in einer zivilisierten Gesellschaft gibt, bin ich dankbar für «unsere Freiheit».

Ich bin dankbar dafür, dass ich vor 60 Jahren geboren wurde in einer reellen Zeit, wo noch alles greifbar und real war, es gab keine Digitalisierung etc. Ich wäre gern nochmals 16 Jahre alt, aber nicht im Jetzt.

Ich bin halt ein Dinosaurier.

Im Moment hoffe ich für die Welt, dass Trump weg ist. Es sieht besser aus als auch schon.

Interview
Laura Hilti, Dezember 2020

Illustrationen
Stefani Andersen


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Schreinerei Frommelt AG

Publikation «Über Religion und Politik wird nicht geredet – hier wird gearbeitet.» Ein Projekt des Kunstvereins Schichtwechsel in Kooperation mit der Schreinerei Frommelt und dem Verein für Menschenrechte. Mit Fotos von Roland Korner, Bildern von Nina Georgiev und Texten von Toni Büchel.

Ueber-Religion-und-Politik_Cover

Credits
Portraitfoto: Nicolaj Georgiev
Foto Jugend: Bernhard Frommelt
Fotos Schreinerei: Roland Korner

Dieses Interview ist Teil des Projekts «Magic Moments» des Kunstvereins Schichtwechsel, in dessen Rahmen Menschen zu ihrem Werdegang, ihren Tätigkeiten sowie magischen und schwierigen Momenten befragt werden.

Das Projekt wird gefördert durch die Kulturstiftung Liechtenstein und die Stiftung Fürstl. Kommerzienrat Guido Feger.

 

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