Mathias Ospelt studierte Germanistik und Anglistik in Fribourg und Berlin. In den frühen 1990er Jahren erfolgten erste öffentliche Lesungen und ab 1994 kabarettistische Tätigkeit mit «Das LiGa». Mit «Das LiGa» erhielt er im Lauf der Jahre den Rheinbergerpreis, den IBK-Förderpreis und den Prix Kujulie. Vom Land Liechtenstein erhielt er ausserdem ein Stipendium in Form eines Werkjahrs, das er im schottischen Glasgow verbrachte. Heute ist Mathias Ospelt Autor und Veranstalter und ist seit 23 Jahren selbstständig als «Schreiberei Ospelt» tätig. Neben 18 Kabarettprogrammen, vier Theaterstücken, drei Festspielen und sechs Musical-Libretti hat er in vergangenen 26 Jahren u. a. auch sechs Bücher herausgebracht. Er war Mitglied des Liechtensteiner Gabaretts «Das LiGa/OOS» und ist u. a. auch Mitgründer und Stiftungsrat des Vaduzer Kleintheaters «Schlösslekeller», Mitorganisator der «Liechtensteiner Literaturtage» und Präsident des P.E.N.-Clubs Liechtenstein. Zu seinen nebenberuflichen Interessen gehören Musik- und Radiohören, Joggen, die Betreuung eines Weinbergs, das Sammeln von Tintin-Übersetzungen sowie der schottische Fussballclub Partick Thistle. Wann immer möglich reist er nach Schottland, da ihn viel mit diesem Land verbindet. Mathias Ospelt lebt und arbeitet in Vaduz und dem schottischen Ayr. Er ist seit 1995 verheiratet und ist 57 Jahre alt.

Wo und wie sind Sie aufgewachsen?

Ich bin bis in die frühen 1970er Jahre im Vaduzer Villenviertel (Villa Rheinblick) in einer Grossfamilie (mit Grosseltern und Onkel) und mit sehr inspirierenden Nachbarskindern und ihren der kindlichen Kreativität gegenüber sehr aufgeschlossenen Eltern aufgewachsen, danach zügelten mein Vater, mein Bruder Ingo und ich in ein neues Haus im Vaduzer Oberdorf.

Waldhotel-Schwimmbad, Vaduz, 1950er Jahre. Aufgewachsen im Vaduzer Villenviertel war das Waldhotel-Areal bzw. der ganze Wald ringsum ein wichtiger Bezugspunkt in meiner Kindheit. Das Waldhotel-Schwimmbad hat zudem eine ganz spezielle Bedeutung für mich, da ich im Winter 67 an der tiefsten Stelle des zugefrorenen Bads im Eis einbrach und ich unter normalen Umständen ertrunken wäre. Dieses Bild diente auch als Cover-Vorlage für mein 1998 erschienenes Buch «Wege. Gänge.» (van Eck, Triesen).

Könnten Sie Ihren Werdegang schildern?

Ich habe schon sehr früh angefangen, für die Schublade zu schreiben. Erste Veröffentlichung von Gedichten im Juni 1978 in der leider nur sehr kurzlebigen Liechtensteiner Jugendzeitschrift «Punkt». Die Reaktionen waren gemischt. Danach gab es nur Veröffentlichungen auf externen Antrieb: Ein Lehrer, der einen meiner Aufsätze in den Landeszeitungen unterbrachte, ein Onkel, der ein Büchlein mit meinen Gedichten und Ingos Illustrationen herausbrachte etc. Ab 1990 nahm ich die Verbreitung meiner Texte (Publikationen, Lesungen) selbst in die Hand. Wegbereitend für alles, was dann folgte, war v. a. der «Frohsinn» in Gamprin. Aus einer ersten öffentlichen Lesung ergaben sich «Das LiGa» (Kabarett), Anfragen für Lesungen, Mundartlesungen (v. a. im Ausland), Songtexte für einheimische Bands sowie volkskundliche und satirische Publikationen.

Während meines Werkjahres 1994/95 arbeitete ich an einem durch den schottischen Dramatiker John McGrath inspirierten historischen Theaterprojekt über Liechtenstein. Zurück aus Glasgow fragte ich bei der damaligen Kulturministerin Dr. Andrea Wille an, ob vom Land aus Interesse bestünde, das Projekt auf die Bühne zu bringen. Dies geschah zwar nicht, aber ich erhielt den Auftrag, für das Jubiläum «300 Jahre Unterland» ein Festspiel zu schreiben («Der Ritter vom Eschnerberg»). Daraus ergaben sich zwar keine Anfragen hiesiger Theaterinstitutionen, dafür meldete sich aber die Schweiz, wo ich mehrere Musicals (Sargans, Buchs) sowie ein Festspiel (Werdenberg) schreiben durfte. Und für Liechtenstein durfte ich je eine Revue für die «EXPO 2000» (Hannover) und die «EXPO 2002» (Biel) sowie für das Jubiläum «200 Jahre Souveränität» (2006) ein weiteres Festspiel («Cirque Souverain») verfassen.

Es ist sicherlich so, dass ich um die Jahrtausendwende grosses Glück hatte, zur richtigen Zeit der Einzige gewesen zu sein. Ich muss meine «staatstragende» Arbeit aber ganz ordentlich ausgeführt haben, sonst hätten sich keine Folgeaufträge ergeben. Letztlich bin ich aber auch stolz darauf, dass ich mir meinen Werdegang selbst geebnet habe: Durch Eigeninitiative und durch Qualität. Auf allen Ebenen ausgezeichnete Mitwirkende haben mich dabei beflügelt.

Studentenkabarett «CUT CONNECTION», Universität Fribourg, 1990. Zum Jubiläum «100 Jahre Universität Fribourg» führten wir im Mai 1990 an der Miséricorde unter dem Titel «Himmel, Arsch und Hirn» ein historisches Szenett auf, welches die Vereinigung «Comunione e Liberazione» ohne Erfolg verbieten lassen wollte. Der geplante Auftritt in Liechtenstein wurde aber kurzfristig abgesagt. Aus Liechtenstein war neben mir auch Joachim Batliner an der Produktion beteiligt. Von links nach rechts: Mathias Ospelt, Toni Burgener, Angelika Salvisberg, Andrea Knechtle, Gerda Wurzenberger.

Gab es bestimmte Ereignisse oder Stationen, die für Ihren Werdegang prägend waren?

So ganz genau kann man das für sich selbst nicht behaupten, da man ja auch zu Ausblendungen neigt. Ich sehe es jedenfalls so:

Phase 1: Kreative Freiheit in den Kindheitsjahren.

Phase 2: Private Freiheiten in den Jugendjahren, dann abrupter Wechsel mit kreativem Schaffen von Freiräumen während einer dreijährigen Internatszeit in der Innerschweiz.

Phase 3: Die verschiedenen Aufenthaltsorte während des Studiums (Fribourg, Berlin, Irland, Glasgow).

Phase 4: Das bewusste Ändern meines Schreibstils im Sommer 1989.

Phase 5: Der «Frohsinn» in Gamprin in den frühen 1990er Jahren und die damit verbundenen ersten öffentlichen Auftritte in Liechtenstein (Lesung, Die Herren, Das LiGa) und in Fribourg (Lesung, Studentenkabarett).

Phase 6: Ab 1994 die Zusammenarbeit mit meinem Bruder Ingo sowie Marco Schädler als Kabarett-Trio Das LiGa.

Phase 7: Ab 2013 das von mir mitgegründete Kleintheater Schlösslekeller.

Frühe Förderung im Vaduzer Villenviertel, ca. 1968. Von links nach rechts: Ingo Ospelt, Christof Becker (verdeckt), Mathias Ospelt, Stefan Becker, Markus Becker.

Gab es bestimmte Personen, die für Ihren Werdegang prägend waren?

In der Kindheit waren dies sicherlich das nähere familiäre Umfeld (sehr liberal, humorvoll, kulturell interessiert), die Nachbarn (Kreativität, Motivation), in der Jugend einzelne Lehrer (Literatur, Theater), ab 1981 ein neuer Freundeskreis (Spontaneität, Sprach- und Wortwitz), ab 1988 meine spätere Frau May (Fokussierung, Motivation, neue kulturelle Zugänge), ab 1994 meine Kabarett-Mitstreiter Ingo und Marco (Schauspiel, Musik, Horizonterweiterung) und ab 2013 das Schlösslekeller-Team.

Aber auch Leute wie Robert Allgäuer (Kulturbeirat), Manfred Schlapp (PEN) und Peter Sprenger.

«Ivan goes Landtag»: Das LiGa, Frohsinn Gamprin, 1996. Die zweite LiGa-Produktion. Von links nach rechts: Mathias Ospelt, Marco Schädler, Ingo Ospelt.

Hat Sie Ihr Umfeld in Ihrem Werdegang unterstützt?

Das ist gar nicht so einfach zu beantworten. Vor allem für die frühen Jahre. Innerhalb der eigenen Familie wurde ja nicht so ein «Geschiss» gemacht um die kindliche Fantasie und Kreativität, sondern diese natürlichen Eigenschaften wurden einfach als Realität akzeptiert. Die Familie mütterlicherseits war schliesslich vollgepackt mit künstlerisch tätigen Personen und kreativen Selbstdarstellern. Da gab es durchaus Lob und Anerkennung, aber nicht für jeden «Furz». Mein Bruder und ich waren jedenfalls von Natur aus ausreichend mit Fantasie und Kreativität gesegnet und konnten uns auch selbst motivieren.

Bei meinen ersten literarischen Gehversuchen gab es aus dem engeren Umfeld die nötige positive Unterstützung, die mich veranlasste, «dran» zu bleiben. Und später fand ich in meiner Frau eine Partnerin, die mich ehrlich lobte und unterstützte, wenn sie etwas gut fand, aber auch offen sagte, wenn ihr etwas missfiel. Das hat mir immer wieder sehr geholfen.

«Die Herren», Frohsinn Gamprin, 1991. Die «Herren»-Lesungen, an denen wir uns vor allem die Berichterstattung in den Landesmedien vornehmen, haben inzwischen Kult-Charakter. 1991 erstmals im «Frohsinn» in Gamprin aufgeführt, finden sie seit 2003 im Schlösslekeller statt. Von links nach rechts: Mathias Ospelt, Stefan Becker, Jürgen Schremser.
«s Benkli voräm Huus», Frohsinn, Gamprin, 1994. Das Plakat wurde von der Künstlerin Regina Marxer gestaltet, die in der Folge zehn von zwölf Plakaten (1994-1999) und Werbekarten (2000-2006) für Das LiGa schuf. Im Zentrum des «Benkli»-Plakats steht eine Fotografie, die vier Generationen des Ospelt-Stammes «s Reallehrers» zeigt. Von links nach rechts: Hermann Ospelt (Buchhalter), Fidel Ospelt (Reallehrer), Hermann Ospelt (Geometer), Hilmar Ospelt (Vater von Ingo und Mathias).

Welchen Tätigkeiten gehen Sie derzeit nach?

Ich arbeite seit bald vier Jahren zu 50% an einem Genealogie-Projekt der Gemeinde Vaduz (Familienchronik) und führe nebenher meine «Schreiberei Ospelt». Nachdem ich mich 2019 mit drei Grossprojekten (Übersetzung «Am Ottokar sis Zäptr», Musical «Orient Express» und Kabarett «Heimatabend 2.0») ziemlich verausgabt hatte, stehen abgesehen von den coronabedingt auf den Juni 2021 verschobenen Literaturtagen aktuell keine grösseren Projekte an. Allerdings schreibe ich an einem Kurzkrimi, den ich am 21. Mai 2021 im Literaturhaus vorstellen werde.

«Am Ottokar sis Zäptr». Auslöser für diese 2019 erschienene Übersetzung in die verschiedenen Liechtensteiner Dorfdialekte war meine eigene Sammlung an Tintin-Übersetzungen, die inzwischen auf 60 Exemplare angewachsen ist. Von A wie Arpitan über E wie Esperanto, H wie Hebräisch, Q wie Québecois bis S wie Scottish Gälisch und T wie Thai.

Erfüllt Sie das, was Sie derzeit machen?

Nein. Ich bin im Moment nicht zufrieden. Nach einer Zeit grosser künstlerischer Erfülltheit habe ich im Frühjahr in einer coronabedingten Phase der Zurückgezogenheit an persönlicher Erfülltheit schnuppern können, da ich endlich wieder einmal Zeit für mich hatte. Leider ging dieses sehr positive Gefühl in der Phase nach den Sommerferien, als der «Alltag» wieder einkehrte, wieder verloren. Alltag bedeutet für mich ja letztlich ein ständiges Verzetteln, da ich leider Gottes mehrere Hüte aufhabe. Und ich bin kein sonderlich gut organisierter Mensch. Momentan würde es mir jedenfalls vollauf genügen, meine 50% Büroarbeit zu machen und nebenher ganz private Projekte zu verfolgen, die kein Ablaufdatum und keine «Dreinschwätzer» haben. Das hat im Frühjahr prima geklappt und in diesen Betriebsmodus möchte ich wieder zurück.

Was das künstlerische Schaffen ganz konkret betrifft, so befinde ich mich zur Zeit in einer Zwischenphase. Ich sehe meine aktive Bühnentätigkeit fürs Erste als abgeschlossen und ich möchte mich wieder verstärkt der über die Jahre sehr vernachlässigten literarischen Arbeit widmen. Ich denke, dass mich dies sehr erfüllen würde, würde ich dazu kommen! :-).

Denken Sie, dass Sie selbst darauf einen Einfluss haben, ob Ihre Tätigkeiten erfüllend sind?

Ich bin der Überzeugung, dass ich allein für das Erfüllende zuständig bin. Auf alle Fälle ist die Befriedigung über das Erreichte am grössten, wenn es von mir selbst geschaffen wurde.

Das Entscheidende ist wohl, die Tätigkeit, die Erfüllung bringen soll, allein von einer verinnerlichten Vorgehensweise abhängig zu machen, die einem selbst als erfolgsversprechend vorschwebt und nicht von anderen Aspekten (z. B. Finanzen) und Personen. Natürlich braucht ein Projekt in der Regel finanzielle Unterstützung und natürlich ist es wichtig, im Prozessverlauf konstruktive Kritik, Anregungen und auch technische Hilfe entgegenzunehmen, Geld und der Einfluss anderer Personen sollten aber das, was man im Kern wollte, nicht überlagern.

Kleintheater Schlösslekeller, Vaduz. Dieses Bild zeigt den leergeräumten, alten Schlösslekeller (2003-2016), kurz bevor wir im Herbst 2016 an die Schwefelstrasse 14 zogen.

Was oder wer inspiriert Sie im Alltag?

Meine Frau, das Leben an sich und wann immer möglich das Beobachten der Natur. Letzteres war besonders zur Lockdown-Zeit ein Segen.

 

Was oder wer gibt Ihnen im Alltag Kraft und Energie?

Meine Frau, das bisschen Sport, das ich betreibe, der Austausch mit politisch und kulturell Gleichgesinnten und ich mir selbst. Wenn ich mir selbst keine Kraft und Energie zuführen kann, wer soll es dann tun?

Thistle forever! Ich bin seit 1993 treuer Fan von Partick Thistle und einer meiner Besuche war auch schon eine Erwähnung im offiziellen Matchprogramm wert! Thistle ist neben Celtic und Rangers der dritte Stadtclub Glasgows. Das letzte Mal, das Thistle etwas «gerissen» hat, war 1971, als Celtic im League Cup Final 4-1 geschlagen wurde. «Erfüllende Momente» sind bei diesem Club rar. Daher werden selbst knappe Niederlagen enthusiastisch gefeiert. Als Liechtensteiner ist mir dies nicht völlig fremd.

Es gibt «magische Momente», in denen alles zu passen scheint. Momente, die erfüllen, inspirieren und Kraft geben. Momente, die bestätigen, dass sich der Einsatz lohnt und dass das, was man macht, sinnhaft und wertvoll ist. Haben Sie solche Momente in Bezug auf Ihre eigenen Tätigkeiten schon erlebt?

Es gab ja bei der Art von Arbeit, die ich machte, nur ganz wenige Momente, die nur für mich alleine waren. Meist schrieb ich Texte, an deren Umsetzung mehrere Personen beteiligt waren und wir alle teilten uns dann den Erfolg, wenn er sich einstellte. Das war und ist auch rückblickend nach wie vor sehr schön. Aber den «magischen Moment» für sich alleine zu haben, ist ganz etwas anderes. Und dies braucht es hin und wieder halt auch. Kollektives Glück ist gut und kreiert viele schöne Momente des Gemeinschaftsgefühls. Aber letztlich bin ich auch Mensch. Individuum. Mathias. Und der muss sich die magischen Momente manchmal für sich alleine suchen.

Drei Beispiele:

Zu einem der in meinen Augen «magischsten Gemeinschaftsmomente» kam es anlässlich unseres allererster LiGa-Auftritts im fabriggli in Buchs. Das war im Oktober 1999. Sechs Jahre vorher hatten Ingo, Marco und ich das Liechtensteiner Gabarett Das LiGa gegründet und am 7. April 1994 mit unserem allerersten Programm im «Frohsinn» in Gamprin Premiere gefeiert. Zu Beginn war es überhaupt nicht unser Ziel gewesen, uns längerfristig – am Ende waren es 25 Jahre! – als Kabarettisten zu betätigen oder eine überregionale Kabarett-Karriere anzustreben. Im Gegenteil: Eigentlich wollten wir mit unserem «kabarettistischen Heimatabend» den ersten Teil einer geplanten Theater-Trilogie vorstellen. Und eigentlich wollten wir uns auch nicht allzu stark in die Landespolitik einmischen. Lustig sollte es sein, was wir machten. Literarisch. Musikalisch. Etwas politisch, natürlich. Gesellschaftskritisch. Niveauvoll unterhaltend. Und vor allem auch ein bisschen was dabei verdienen. Als wir dann merkten, dass wir mit unserem Programm einem grossen Bedürfnis nachkamen, blieben wir dran. Und wurden auch politischer. 1999 versuchten wir uns zum ersten Mal im benachbarten Ausland. In der Schweiz. Wir traten in Zürich auf, in Winterthur, in Fribourg, in Schafhausen, in Oberägeri und zum Abschluss unserer «Schweizer Tournee» in Buchs. Die Kritiken vor Buchs waren allesamt wohlwollend, aber nicht überschwänglich, kurzum: In der Schweiz hatte niemand auf uns gewartet. Das «Liechtenstein» in unserem Namen wirkte oftmals zu unserem Nachteil, indem die Kritiker von vornherein annahmen, dass es sie von vornherein nicht interessieren würde, was östlich der Ostschweiz passiert. In Buchs war dies anders. Das fabriggli war im Hui ausverkauft. Und es schien tatsächlich so, dass die Buchserinnen und Buchser nur darauf gewartet hatten, dass endlich einmal jemand das «Ländle» so präsentieren würde, wie sie es schon länger sahen: zum Totlachen! In meinen Augen war der Buchser Auftritt im Oktober 99 der beste LiGa-Auftritt, den wir jemals hatten. Ein unglaublich aufmerksames Publikum, das jeden Scherz und jede Anspielung zwischen den Zeilen mitbekam, das lachte und mitging, ohne Angst zu haben, der Sitznachbar könne einem am nächsten Tag einen Strick daraus drehen, ein Publikum, das sich mit uns an unseren Spässen erfreute, ein Publikum, das sich freute, dass wir an diesem Abend im fabriggli waren und wir selbst, wir waren in Höchstform. Natürlich gab es später noch viele schöne Aufführungen mit tollen Publikum – einheimischem wie für uns fremdem –, aber Buchs war eine ganz eigene Geschichte. Vielleicht hätten wir da anknüpfen müssen. Aber im Jahr darauf spielten wir erstmals im leerstehenden Schlössle. Und damit begann eine andere Geschichte…

Ein anderer «magischer Moment», einer, den ich nur mit mir teilte, war die Generalprobe zum «Ritter vom Eschnerberg» im August 1999. Zu sehen, wie die Bilder, die während des Schreibens dieses Festspiels in meinem Kopf entstanden waren, vom Regisseur Niko Büchel, der diesen Bildern des damaligen «Nobodys» Ospelt vertraut und sie gemeinsam mit der Technik und den Darstellern kongenial umgesetzt hatte, trieben mir Tränen der Freude in die Augen. Es war ein wichtiger und ausgesprochen schöner Moment in meiner Künstlerlaufbahn, da ich am eigenen Körper erfuhr, dass meine künstlerische Arbeit sinnvoll ist und weit über das hinaus geht, was einst für die Schublade und später im «Frohsinn» vor einer Handvoll Leute begann.

«Der Ritter vom Eschnerberg». Das Festspiel zum Jubiläum «300 Jahre Unterland» wurde im August 1999 auf dem historischen Schwurplatz in Bendern aufgeführt. Text. Mathias Ospelt. Regie: Nikolaus Büchel. Musik: Marco Schädler. Darsteller: u. a. Ingo Ospelt und Fritz Hammel.

Ein weiterer erwähnenswerter «magischer Moment» war für mich die Teilnahme am Great Scottish Run in Glasgow im vergangenen Jahr. Vor rund 30 Jahren wurde mir von einem Arzt prognostiziert, dass mir in mind. 10 Jahren der Fuss versteift werden müsse. Ich bin daher nie mehr Joggen gegangen, obwohl ich das Laufen sehr liebte. Vor drei Jahren dachte ich: Was soll’s? Und ich zog die Laufschuhe wieder an. Und siehe: Der Fuss hielt. Bis heute! Letztes Jahr habe ich mich mit 55 Jahren zum ersten Mal an einen Stadtlauf gewagt und diesen ganz passabel beendet. Der Zieleinlauf war dabei eine grosse Genugtuung und ein grossartiges Erlebnis!

Bei solchen Momenten brauche ich im Anschluss keine Party, um den Moment abzufeiern. Da genügt mir das  lange anhaltende, warme Gefühl unter der Haut.

Tun Sie aktiv etwas dafür, damit sich solche magischen Momente einstellen können?

Entscheidend ist für mich die gesunde Selbsteinschätzung. Ich setze mir ein realistisches Ziel und arbeite dann daran, dieses Ziel optimal zu erreichen. Ich möchte mich bei meiner Arbeit nicht auf Glück und Wunder verlassen, sondern auf mein Können und gegebenenfalls ausgezeichnete Mitwirkende. Dann wird der Erfolg sehr beglückend.

Pecha Kucha: Kulturforum 2014, Engländerbau Vaduz, 2014. An dieser Veranstaltung durfte ich Das LiGa vorstellen.

Gibt es Momente, in denen Sie an dem, was Sie machen, zweifeln?

Aktuell verzweifle ich weniger an dem, was ich tue, sondern vor allem am allgemeinen Weltgeschehen bzw. an der Verdummung und Verrohung der Menschheit. Erkennen zu müssen, dass ich als Kunstschaffender kaum mehr Möglichkeiten habe, verrohte Menschen zu erreichen, weil sie gar nicht erreicht werden wollen, macht mich buchstäblich sprachlos. Wie damit umgehen? Rückzug, in mich gehen und dabei Dinge tun, die mir Spass machen und dabei Energie tanken. Z. B. indem ich einen Kurzkrimi schreibe oder meine Tintin-Sammlung vergrössere.

 

Können Sie schwierigen Momenten rückblickend etwas Positives abgewinnen?

Ja. Das muss ich. Sonst ist das Leben nicht so gut auszuhalten.

 

Gibt es etwas, was Sie rückblickend anders machen würden?

Schwierig zu beantworten, da ich der Meinung bin, dass rückblickend fast das Meiste irgendwie Sinn ergab. Auch das, was rückblickend als negativ betrachtet wird. In den 1980er Jahren z. B. gab es in meinem Leben ziemlich viel unkreativen Leerlauf, der mich an vielen Entscheidungen und Initiativen hinderte. Im Nachhinein habe ich diese Phase aber vielleicht gebraucht, da ich ab den 1990er Jahren ein enormes Pensum recht leichtfüssig und erfolgreich anging.

40 Jahre PEN Club Liechtenstein. An dieser Jubiläumsfeier in der Stein Egerta im Sommer 2018 kam es u. a. erstmals zum «Elefanten-Treffen» der vier deutschsprachigen PEN Zentren. Vlnr: Mathias Ospelt (Präsident PEN Club Liechtenstein), Daniel Rothenbühler (Präsident Deutschschweizer PEN Zentrum), Antje Landshoff Ellermann (ehemalige Präsidentin PEN Club Liechtenstein), Carlos Collado Seidel (Generalsekretär PEN Zentrum Deutschland), Helmuth A. Niederle (Präsident PEN Club Österreich) und Daniel Batliner (Generalsekretär PEN Club Liechtenstein)

Möchten Sie mit Ihren Tätigkeiten etwas zur Gesellschaft beitragen?

Beitragen ist sicherlich das bessere Wort als verändern. Als ich ab den frühen 1990er Jahren anfing, mich öffentlich zu präsentieren, war mir die Gesellschaft ehrlich gesagt doch eher egal. Damals ging es vor allem um mich. Ich hatte Texte, von denen ich meinte, dass sie es wert waren, vorgestellt zu werden, und das wollte ich ausprobieren. Mit der äusserst positiven Zustimmung durch das Publikum merkte ich aber, dass es hier nicht nur um mich ging, sondern dass ich mit meinen Texten bei vielen Leuten einen Nerv traf. Und auf dem aufzubauen, machte Spass.

Ich denke, es ist uns mit dem Kabarett gelungen, gerade in schwierigen Jahren wie in der Zeit rund um die Verfassungsabstimmung 2003, viele Gleichgesinnte positiv abzuholen. Wir konnten vielen Frustrierten und Enttäuschten ein Gefühl geben, dass sie nicht alleine waren und dass man über den ganzen Mist, der damals der Bevölkerung zugemutet wurde, auch lachen konnte. Das war gut. Und auch wichtig.

Ebenso inspirierten wir später etliche Talente dazu, sich ebenfalls auf eine Bühne zu wagen und Dinge auszuprobieren. Wir wollten ja immer auch Chancen bieten und wir sahen uns diesbezüglich als Ermöglicher. Durch den Schlösslekeller wurde dieses Bestreben institutionalisiert. Ich glaube nicht, dass es arrogant oder eingebildet ist, wenn ich sage, dass sich die Liechtensteiner Kulturlandkarte – zumindest was die Kleinkunst betrifft – heutzutage nicht so vielfältig zeigen würde, hätte es uns nicht gegeben.

«Als Vaduz noch seinen Hafen hatte. Geschichten» (Eggingen, 2004). Dieser Erzählband war mein erstes «richtiges» Buch. Es gilt inzwischen als vergriffen. Die darin enthaltenen Erzählungen wurden neben neueren Texten in «Wege. Gänge.» in überarbeiteten Versionen neu herausgebracht.

Ist Ihnen die Anerkennung von anderen Personen bzw. von der Öffentlichkeit wichtig?

Ich traue den Kunstschaffenden nicht, die behaupten, ihnen wäre die Reaktion geschweige denn die Anerkennung des Publikums egal. Diese Anerkennung treibt uns ursprünglich an und lässt uns überhaupt das Verborgene aus der Schublade holen. Viele vergessen diesen ersten Impuls häufig, wenn sie sich einmal im Erfolg wähnen. Die Frage ist einfach, wie sehr der Wunsch nach Anerkennung das kreative Arbeiten bestimmt. Mache ich etwas, um damit Anerkennung zu bekommen oder mache ich es, weil ich es für mich machen möchte und die Anerkennung ist der Lohn.

Wie gut können Sie von dem, was Sie beruflich tun, leben?

Es ist zweifelsfrei so, dass ich allein von meiner literarischen Arbeit nicht leben könnte. Liechtensteiner Kulturschaffende, die von ihrer künstlerischen Arbeit leben wollen, müssen ins Ausland gehen oder sich ein überregionales Renommee erarbeiten. Das war schon vor mehr als hundert Jahren so. Liechtenstein ist als Einzugsgebiet einfach zu klein, um als Kunstschaffender ein geregeltes Einkommen und dadurch Erwerbssicherheit zu haben. Aus diesem Grund sind die meisten Kulturschaffenden, die nicht von zuhause aus finanziell abgesichert sind, gezwungen, einem regelmässigen Broterwerb nachzugehen. Und dieser Broterwerb kann die künstlerische Arbeit durchaus beeinträchtigen.

In nächster Zukunft werde ich meine Bühnenpräsenz auf Lesungen beschränken. An dieser Lesung aus dem Jahr 2007 stellte ich im Schlösslekeller Auszüge aus den Gästebüchern der alten Schlosswirtschaft vor, die von meinen Urahnen Johann und Katharina Nigg-Walser geführt wurde.

Gibt es etwas, das Sie derzeit besonders beschäftigt?

Wie oben bereits erwähnt: Der Egoismus und damit verbunden die Verrohung der Menschheit. Oft frage ich mich, wie man diese wohlstandsverrohten Menschen über Kunst und Kultur überhaupt noch erreichen kann.

Interessant finde ich aber auch das, was mich seit einer Weile nicht mehr beschäftigt. Ich habe mir über die vergangenen 30 Jahre ein kleines Archiv an Zeitungsberichten und Äusserungen zu Politik und Fürstenhaus aufgebaut. Seit ca. zwei Jahren archiviere ich diesbezüglich nichts mehr. Es interessiert mich schlicht nicht mehr, was Politik und Fürstenhaus zu irgendeinem Thema zu sagen haben. Entweder ist es zu belanglos oder zu einseitig auf die Wirtschaft ausgerichtet oder es ist ein ewiges Wiederholen von Dingen, die bereits vor 30 Jahren (und damals auch noch besser) gesagt worden waren.

 

Gibt es etwas, womit Sie sich in Zukunft gerne (verstärkt) beschäftigen würden?

Mit meinem Garten, mit meiner Vergangenheit (Biographie der Kindheit, der Jugend) und mit meinem seit vielen vielen Jahren angedachten Krimi-Projekt. Bald bin ich soweit!

 

Wofür sind Sie im Leben besonders dankbar?

Rückblickend ist es so, dass ich mir die schönsten Momente, die grössten persönlichen Erfolge selbst erschaffen habe. Ich habe stets versucht, dies nicht von anderen abhängig zu machen. Dennoch gab es stets Menschen – allen voran meine Frau May -, die mich auf dem Weg zu diesen Glücksmomenten unterstützten und mich beflügelten. Durch finanzielle, materielle oder ideelle Hilfe und Unterstützung oder einfach dadurch, dass sie Dinge geschehen liessen, sich nicht einmischten, mich/uns machen liessen. Diesen Leuten bin ich sehr dankbar.

Interview
Laura Hilti, November 2020


Illustrationen

Stefani Andersen


Links

Kleintheater Schlösslekeller
Liechtensteiner Literaturtage
PEN-Club Liechtenstein
Football Club Patrick Thistle

 

Credits
Waldhotel: H. Grau/Guidici Zürich
Studentenkabarett «CUT CONNECTION»: Fritz Vogel
«Ivan goes Landtag», Lesung Gästebücher der Schlosswirtschaft: Uve Harder
«Der Ritter vom Eschnerberg»: Eddy und Birgit Risch
«s Benkli voräm Huus»: Regina Marxer (Gestaltung)
PEN Club Liechtenstein: Henning von Vogelsang

Alle anderen Fotos: Mathias Ospelt

Dieses Interview ist Teil des Projekts «Magic Moments» des Kunstvereins Schichtwechsel, in dessen Rahmen Menschen zu ihrem Werdegang, ihren Tätigkeiten sowie magischen und schwierigen Momenten befragt werden.

Das Projekt wird gefördert durch die Kulturstiftung Liechtenstein und die Stiftung Fürstl. Kommerzienrat Guido Feger.

 

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