Rudolf Batliner studierte Pädagogik- und Psychologie in Wien. Danach war er Erzieher in einem Internat, Entwicklungshelfer in Costa Rica, Berater für Berufsbildung in Entwicklungsländern, pädagogischer Mitarbeiter im Schulamt in Vaduz, Geschäftsführer des Liechtensteinischen Entwicklungsdiensts LED und schliesslich wissenschaftlicher Mitarbeiter und Studienkoordinator am Zentrum für Internationale Zusammenarbeit NADEL der ETH Zürich. Seine Schwerpunkte liegen in den Bereichen Bildung, Berufsbildung, Projektmanagement und Organisationsentwicklung. Über ehrenamtliche Tätigkeiten und als Berater ist er nach wie vor in der Entwicklungspolitik aktiv. Ausserdem engagiert er sich für die Stiftungen «Liechtenstein Languages» und «Football is more». Rudolf Batliner stammt aus Eschen in Liechtenstein und lebt heute wieder dort. Er ist verheiratet, hat zwei Söhne und widmet seine Zeit gerne Kulturellem, Ball- und Schneesport, Gemüse im Hochbeet und Kochen.

Wo und wie sind Sie aufgewachsen?

Aufgewachsen bin ich in Eschen, in einer Familie mit neun Kindern, am Kohlplatz, wo es jede Menge Kinder im gleichen Alter gab. Als Zweitjüngster war ich ein behütetes und wohl auch etwas verwöhntes Kind. Ich kann mich nicht erinnern, dass mir jemals etwas gefehlt hätte. Mit wenig Anstrengung hatte ich in der Volksschule gute Noten und kam mit vergleichsweise wenigen Tatzen über die Runden. Ich muss also ziemlich «brav» gewesen sein. Ohne klare Vorstellung davon, was mich erwartete, ging ich mit einem Schulfreund ins Internat in der Mehrerau, wo ich acht Jahre später maturierte – klassisch humanistisch mit Latein und Griechisch. Im Nachhinein wundere ich mich, wie selbstverständlich ich die eher kargen und streng geregelten Verhältnisse hinnahm: Schule, lange Studienzeiten und viel Fussball füllten die Zeit. Obwohl die Mehrerau eine katholische Klosterschule ist und wir neben amerikanischen Spirituals mit Gitarren und Schlagzeug in der Kirche auch gregorianische Choräle sangen, gab es keine Denkverbote. Erst Jahre später – als Erzieher in einem noblen Jesuiteninternat bei Wien – wurde mir bewusst, wie innerlich frei wir innerhalb dieses strengen Rahmens waren.

1961 als Erstklässler mit Schiefertafel

Gab es bestimmte Ereignisse oder Stationen, die für Ihren Werdegang prägend waren?

Von klein auf erlebte ich bei uns am Kohlplatz eine Neugier auf die weite Welt. Im Atlas gab es unendlich viel zu entdecken. Amerika, wohin beide Geschwister meines Vaters ausgewandert waren, wurde zum ersten Sehnsuchtsland. Als meine älteste Schwester als Entwicklungshelferin in Algerien und später in Tansania arbeitete, erweiterte sich meine Weltsicht bedeutend. Die Entscheidung, nach Costa Rica zu gehen, wo meine Frau Brigitte und ich fast vier Jahre blieben, war ein Glückfall. Wie die Namen schon erahnen lassen, arbeiteten wir beide in ungewöhnlichen Institutionen, Brigitte als Apothekerin im «Spital ohne Wände» und ich als wissenschaftlicher Mitarbeiter im «Lehrer zu Hause». Meine Hauptaufgabe bestand darin, die Praxis des Fernunterrichts der costarikanischen Lehrerinnen und Lehrer mit einer pädagogischen Theorie zu untermauern. Zu jener Zeit wurden zudem mehrere kleine, lokale Kulturradios, die von den Leuten in den Dörfern selbst betrieben wurde, gebaut. Da gab es natürlich einen grossen Ausbildungsbedarf – vor allem für die Programmgestaltung und Produktion. Mit spannender Arbeit in einem fremden Land unter einfachen Verhältnissen als Paar zu leben, verstärkte das Fundament für alles, was danach kam. Die Jahre in Costa Rica haben uns beide geprägt. Brigitte hätte wohl weder das NADEL noch ihren Master of Public Health gemacht, und ich hätte mir meine internationale Beratungstätigkeit kaum zugetraut.

1985 Abschied von Costa Rica mit Sohn Curime, Frau Brigitte (links) und chilenischen Freunden (rechts)

Gab es bestimmte Personen, die für Ihren Werdegang prägend waren?

Meine Wertschätzung für das dialogisches Prinzip des jüdischen Philosophen Martin Buber begleitet mich durchs Leben. In Kürze ausgedrückt bin ICH, wer ich bin, in der personalen Begegnung mit einem DU (Dialog) und in der Auseinandersetzung mit dem ES, also Dingen, Konzepten, Vorstellungen (Monolog). Mich selbst einbringen und dabei den Anderen bzw. das Andere in den Mittelpunkt stellen, hat sich als fruchtbar erwiesen.

Während des Studiums interessierte mich das Nebenfach Psychologie mehr als die Erziehungswissenschaft. Bei Grössen wie Hans Asperger, Viktor Frankl und Erwin Ringel im Hörsaal zu sitzen war ein Privileg. Noch prägender waren aber die Bücher von Carl Rogers. Sein klienten-zentrierter Ansatz zur Psychotherapie, kombiniert mit Frankls Suche nach dem Sinn, faszinierte mich. Empathie und aufmerksames Zuhören sind zentral für Berater und Pädagogen. Menschen suchen Sinn in ihrem Tun und in dem, was ihnen geschieht. Ihnen zuzutrauen, dass sie die Lösungen ihrer Probleme in sich tragen, gibt ihnen Zuversicht – individuell und als Gruppe – und macht sie handlungsfähig.

In Costa Rica traf ich mit Pater Franz Tattenbach SJ auf einen Mann, der passend dazu darauf bestand, den Fernunterricht für Erwachsene von den Lernenden, ihren Fragen und ihrer Denkweise ausgehend zu gestalten. So kann Unterricht trotz offiziellem Lehrplan den Wissensdurst der Lernenden befriedigen, ihre Neugier wecken und ihrem Leben zusätzlich Sinn geben. Auf diese Erfahrung konnte ich in meinem späteren Berufsleben als Berater für Berufsbildung, in der Ausbildung von Berufsschullehrpersonen, aber auch als pädagogischer Mitarbeiter in Liechtenstein zurückgreifen.

Mit John Collum fand ich in Nepal einen kongenialen Partner und Freund, der mich für das Unterrichten und die Lehrerausbildung begeisterte. Jahrelang bildeten wir Lehrerausbildner aus in Nepal, Vietnam und Sri Lanka und entwickelten mit der Zeit eine Lerner-zentrierte Pädagogik, die sich auch in andere Länder übertragen liess.

Mit John Collum in Sri Lanka

Hat Sie Ihr Umfeld in Ihrem Werdegang unterstützt?

Ich kann erfreulicherweise festhalten, dass mich zumindest niemand in meinem Werdegang ernsthaft behindert hat. Im Gegenteil, ich fand immer Wohlwollen und Verständnis. Papa und Mama hatten erstaunliches Vertrauen in mich und liessen mich gewähren, obwohl ich zum Beispiel zweimal die Studienrichtung wechselte. Und als erwachsener, verheirateter Mann kann ich mit Brigitte auf eine Partnerin zählen, die meine Wechselabsichten jeweils kritisch hinterfragte, jedoch diese immer mittrug, obwohl die damit verbundenen Ortswechsel für sie und die Kinder immer grössere Umstellungen erforderten.

 

Welchen Tätigkeiten gehen Sie derzeit nach?

Ich bin seit zwei Jahren in Pension und habe das Glück, noch gefragt zu sein. Ich suche nicht aktiv Aufträge, damit mir nicht langweilig wird. Wenn aber eine Anfrage kommt, die mich anspricht, springt mein Motor sofort an. Allerdings wird der Akku früher leer. Und dann ist noch das ehrenamtliche Engagement. Seit vielen Jahren bin ich Mitglied und im Vorstand des Vereins Tellerrand, der ältesten entwicklungspolitischen NGO Liechtensteins. Ausserdem bin ich seit über einem Jahrzehnt Vorstandsmitglied von Liechtenstein Languages. Die Faszination für diese aktive Art des Fremdsprachenlernens ist mit mir seit meinem ersten Engagement im Schulamt vor über 30 Jahren geblieben. Zusätzlich zur Unterstützung des Sprachunterrichts an den Schulen Liechtensteins hat in den letzten Jahren der Spracherwerb für Migrierende an Bedeutung gewonnen. Ohne Sprachkenntnisse führt Migration leicht in eine Armutsfalle. Zehntausende haben mit LieLa Deutsch, Englisch oder eine andere Sprache gelernt. LieLa macht sehr interaktive, spielerische Lernmaterialien und bildet Kursleiter und Trainer aus. Die Stiftung Football is more nutzt Fussball als Chance auf Bildung, Inklusion und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben für sozial, körperlich oder geistig benachteiligte Menschen. Ich leiste meinen Beitrag als sogenannter Special Advisor.

Denken Sie, dass Sie selbst darauf einen Einfluss haben, ob Ihre Tätigkeiten erfüllend sind?

Ich will etwas gestalten, verändern, verbessern können. Dazu benötige ich Freiräume und Gestaltungsmöglichkeiten. Wie weiter oben beschrieben, wechselte ich relativ häufig die Stelle. Mehrmals war der Grund, dass ich das Gefühl hatte, in Routine zu verfallen oder Zwängen ausgesetzt zu werden, die ich nicht beeinflussen kann. Das waren auch die Gründe, weshalb ich während vieler Jahre auf zwei Beinen stand: freiberuflicher Berater für Berufsbildung und eine fixe Teilzeitanstellung als pädagogischer Mitarbeiter im Schulamt oder als Geschäftsführer des LED. Das war zwar zuweilen eine doppelte Belastung, aber die dadurch gewonnene Autonomie war den Aufwand wert.

 

Was oder wer inspiriert Sie im Alltag?

Ich bin keiner, der von sich aus Visionen oder grosse Pläne entwickelt und dann alles gibt, um sie umzusetzen. Ich bin eher ein Optimierer. Meine Stärke liegt darin, in dem Vorhandenen und den davon betroffenen Menschen, Chancen und Potentiale zu sehen und weiterzuentwickeln. Dass ich manchmal die Risiken unterschätze, steht auf der Rückseite des Blatts. Ich bin nicht ausgesprochen zielgerichtet und gehe wenn nötig auch Umwege mit, verliere aber – selbst wenn es unübersichtlich wird – selten aus den Augen, worum es im konkreten Fall eigentlich geht. Übrigens, wie ein Kollege einmal treffend feststellte, erhöhen Umwege die Ortskenntnisse.

Was oder wer gibt Ihnen im Alltag Kraft und Energie?

Eine ziemlich stabile energetische Grundversorgung bieten mir mein Zuhause und meine grosse Familie. Zusätzliche Energie geben mir die konkreten Aufgaben und die Menschen, mit denen ich sie in Angriff nehme. Arbeit kann mich begeistern und oft gelingt es mir, Leute für ihre Arbeit zu begeistern. Zum Beispiel weiss ich, dass ich in Kursen und Workshops als Vorleistung meine Energie einspeisen muss, damit die Teilnehmenden ihre Energien mobilisieren und sich eine kraftvolle Arbeitsatmosphäre aufbaut.

 

Es gibt «magische Momente», in denen alles zu passen scheint. Momente, die erfüllen, inspirieren und Kraft geben. Momente, die bestätigen, dass sich der Einsatz lohnt und dass das, was man macht, sinnhaft und wertvoll ist. Haben Sie solche Momente in Bezug auf Ihre eigenen Tätigkeiten schon erlebt?

Die Magie der ersten Stunden mit einem neugeborenen Kind kennen viele Väter. Daher wähle ich drei andere Momente.

Erkämpfter Erfolg: Um nach einer schwachen Herbstsaison nicht abzusteigen, mussten wir im Frühjahr unbedingt punkten. Das erste Fussballspiel fand unter schwierigen Bedingungen statt: tiefer Boden, Kälte, Regen, Wind und auch noch Hagel. Wir kämpften wie besessen. Ich spielte sehr gut und machte dazu noch ein Tor. Beim Schlusspfiff zum 2:1 sprang ich jubelnd in die Höhe und fiel mit Krämpfen in beiden Beinen um. Ein Schwall von Befriedigung durchflutete mich, obwohl ich in einer nasskalten Pfütze lag und nicht mehr allein aufstehen konnte. Dieses Gefühl, es gut gemacht und es gemeinsam geschafft zu haben, hielt tagelang an. Übrigens: Wir stiegen nicht ab.

Im Fluss: Es war das vierte oder fünfte dreiwöchige Training für Lehrerbildner mit meinem bereits erwähnten Partner John Collum, dieses Mal in Nepal. Wir sprudelten vor Ideen und stachelten uns gegenseitig an, Neues auszuprobieren. Die Teilnehmenden machten voll Begeisterung mit. Wie üblich stellte sich am Beginn der dritten Woche bei mir eine gewisse Müdigkeit ein, die unerklärlicherweise von einem Moment auf den anderen wie weggeblasen war. Danach waren Lehren und Lernen wie ein Dahingleiten in einem ruhigen Fluss, leicht, fröhlich und voll von gegenseitigem Vertrauen und allseitiger Wertschätzung.

Unerwartete Anerkennung: In sieben Jahren reiste ich sieben Mal nach Bhutan, wo ich den Aufbau einer Fachschule für Land-, Vieh- und Fortwirtschaft begleitete. Lehrpläne mussten entwickelt, Lehrkräfte ausgebildet und alle organisatorischen Dinge, die den Schulalltag ausmachen, bestimmt werden. Obwohl ich mich damals als unerfahrener und manchmal fürchterlich überforderter Novize fühlte, erwartete man von mir als Experten Klarheit, wohin die Reise geht und wie man ohne Umwege hinkommt. Am Ende des sechsten Besuchs fragte mich der Landwirtschaftsminister, wie ich nach all den Jahren die Situation einschätze. Ich legte ihm dar, womit ich zufrieden sei und dass ich nur noch einmal zu kommen brauche, um mit der Schulleitung ein Qualitätssicherungssystem zu entwickeln. Er blickte mich längere Zeit an und sagte schliesslich: Dr. Batliner, as long as you come, quality is assured. Dieses Lob aus heiterem Himmel von einem von ganz oben, den ich sehr schätzte, tat unheimlich wohl. Es war wie eine Befreiung.

1991 Buthan – erstes Eintauchen in eine fremde, faszinierende Lebenswelt

Tun Sie aktiv etwas dafür, damit sich solche magischen Momente einstellen können?

Nein. Das Leben ist spannend genug. Ich jage solchen Glückmomenten nicht nach. Sie stellen sich ein – oder eben nicht. Glücklich macht mich etwas anderes. Rund um den Erdball habe ich eng mit jungen Leuten zusammengearbeitet oder sie ausgebildet. Wenn ich sehe, was manche von ihnen heute machen und welche Positionen sie innehaben, freue ich mich, dass ich ein paar Sandkörnchen zu ihrer Entwicklung beitragen durfte.

1999 Ausbildung von Lehrerbildnern aus Nepal und Sri Lanka. Alle abgebildeten Personen sind heute in Führungspositionen.

Gibt es Momente, in denen Sie an dem, was Sie machen, zweifeln?

Ich kann mir ein Leben ohne Selbstzweifel gar nicht vorstellen. Ich muss mich doch von Zeit zu Zeit von aussen betrachten. Dieser zweifelnde Blick auf das eigene Tun hilft mir zu lernen. Die Frage ist immer eine doppelte: Mache ich das Richtige richtig? Der erste Teil ist fundamentaler als der zweite, denn er betrifft den Sinn meiner Tätigkeit. Die Entwicklungszusammenarbeit wird immer wieder in Frage gestellt und so muss ich mich persönlich diesen Fragen stellen. Mache ich es richtig, schliesst auch die Frage nach Fehlern ein, die unabsichtlich passieren. Diese gehen mir länger nach als die richtigen Entscheidungen, besonders wenn sie negative Auswirkungen auf andere haben und nicht mehr rückgängig gemacht werden können.

Als Berater für Berufsbildung habe ich immer Aufträge gesucht, die mir erlaubten, Projekte über längere Zeit hinweg zu begleiten. Ich wollte miterleben, wie brauchbar und angepasst meine Beiträge waren, und allenfalls steuernd eingreifen können. Dabei erlebte ich immer wieder Überraschungen: Scheinbar sichere Dinge kamen nicht heraus wie gedacht, und Dinge, die man nur mit Bauchweh empfahl, funktionierten bestens. So ist das Leben, ein ständiges Lernen von Erfolg und Misserfolg.

 

Können Sie schwierigen Momenten rückblickend etwas Positives abgewinnen?

Zweimal habe ich eine angestrebte Stelle trotz guter oder bester Qualifikation nicht erhalten. Ich war enttäuscht und verärgert. Im Nachhinein bin ich dankbar dafür, weil interessantere Aufgaben auf mich warteten, die obendrein noch besser zu mir passten.

 

Gibt es etwas, was Sie rückblickend anders machen würden?

Nein. Das bedeutet aber nicht, dass ich alles richtig oder bestmöglich gemacht habe. Oder vielleicht doch etwas: Es wäre schön, wenn ich zwei, drei Sprachen mehr könnte.

Möchten Sie mit Ihren Tätigkeiten etwas zur Gesellschaft beitragen?

Ein Leben, das nur um mich selbst und meine kleine Kernfamilie kreist, wäre für mich zu eng. «Entwicklung» ist offenbar mein Lebensthema – international in der Entwicklungszusammenarbeit und hier in Europa im Bildungs- und Sozialbereich. Ich masse mir an, dass ich die Welt gross verändern kann. Aber ich will mithelfen, dass sie für möglichst viele Menschen eine bessere, eine lebenswertere Welt wird.

 

Ist Ihnen die Anerkennung von anderen Personen bzw. von der Öffentlichkeit wichtig?

O ja, Anerkennung ist wichtig – und zwar beides: Anerkennung bekommen und geben. Schliesslich sind wir soziale Wesen. Ich suche aber nicht in erster Linie die Anerkennung für mich als Person, sondern für das, was ich mache und wofür ich stehe. Zum Beispiel war es mir wichtig als Geschäftsführer des LED, die Entwicklungszusammenarbeit und den LED in der Öffentlichkeit positiv zu positionieren. Nebenbei fielen auch Sonnenstrahlen auf uns, die dort arbeiteten. Oder mir war wichtig, am NADEL den Studierenden einen anregenden Unterricht zu bieten. Wenn es gelang, kam das entsprechende Feedback automatisch. Als freiberuflicher Berater musste ich gute Arbeit leisten und mich selbst gut «verkaufen», sonst gab es keine Aufträge. Langfristig müssen Sein und Schein zusammenpassen.

 

Wie gut können Sie von dem, was Sie beruflich tun, leben?

Wir können von dem, was wir tun, gut leben. Wäre aber das Einkommen das bestimmende Kriterium gewesen, wäre meine Berufskarriere anders verlaufen.

 

Gibt es etwas, womit Sie sich in Zukunft gerne (verstärkt) beschäftigen würden?

Vorausschicken möchte ich, dass im letzten Lebensdrittel Gegenwart und Zukunft näher rücken. Meine Zeit kann jederzeit mit einem Schlag zu Ende sein. Mich beschäftigt die Frage, in welcher Welt die heutigen Kinder leben werden, wenn sie 66 sein werden. Ich denke ebenso an die Kinder im heute reichen Europa wie an die in Slums im Globalen Süden. Wie kriegen wir es hin, dass Fortschritt nicht ausschliesslich als mehr definiert wird, sondern auch als ressourcen-schonender, sozialer, besser, schlauer. Ein brauchbarer Referenzrahmen für die künftige Entwicklung der Welt wären die Nachhaltigen Entwicklungsziele der UNO. Ihre Umsetzung ist eine Frage des politischen Willens und damit letztlich der Macht. Ich wünsche mir, dass junge Frauen und Männer sich in die Politik wagen, um den alten, weissen Männern die Macht aus der Hand zu nehmen. Sie fahren mit ihrem eindimensionalen, in dümmlicher Weise einzig auf Profit ausgerichteten Denken unsere Welt an die Wand.

 

Wofür sind Sie im Leben besonders dankbar?

Mein Leben hat es bisher gut mit mir gemeint. Ich hatte nie einen Lebensplan, ja nicht einmal eine vage Vorstellung. Es hat sich entfaltet. Meine Eltern, die grosse Familie, das Internat und die Schulen haben ein tragfähiges Fundament ergeben. Mit Brigitte fand ich eine Lebenspartnerin, die mich fordert und trägt. Meine Söhne gehen ihre Wege und bleiben trotz geografischer Entfernung nahe. Und beruflich haben sich die Puzzleteile zu einem Bild gefügt haben. Wer schon darf in so vielen Ländern und Kulturen mit gescheiten, gut ausgebildeten und engagierten Menschen intensiv zusammenarbeiten? Ich kann mit Fug und Recht sagen, dass ich bisher auf der Sonnenseite des Lebens gestanden bin. Das gilt auch für die Krankheiten, die mich in den letzten Jahren überrascht haben. Sie haben mich noch dankbarer für das Glück gemacht, in diesem Land zu dieser Zeit geboren zu sein.

Interview
Laura Hilti, August 2020


Illustrationen

Stefani Andersen


Links

NADEL – Center for Development and Cooperation 
Tellerrand – Verein für solidarisches Handeln
Liechtenstein Languages
Football is more


Credits

Portrait: Brigitte Batliner
Alle anderen Fotos: Rudolf Batliner

Dieses Interview ist Teil des Projekts «Magic Moments» des Kunstvereins Schichtwechsel, in dessen Rahmen Menschen zu ihrem Werdegang, ihren Tätigkeiten sowie magischen und schwierigen Momenten befragt werden.

Kuratiert von Stefani Andersen und Laura Hilti, Kunstverein Schichtwechsel.

Gefördert durch die Kulturstiftung Liechtenstein und die Stiftung Fürstl. Kommerzienrat Guido Feger.

 

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