Doris Büchel stammt aus Buchs SG und lebt heute in Liechtenstein. Im Herzen schon immer eine kreative Unternehmerin, machte sie sich nach ihrem KV-Abschluss selbständig mit einem Group-Fitness-Center – dem ersten der Region. Nach fünfzehn erfolgreichen Jahren verkaufte sie dieses und wechselte in den Journalismus. Nach den ersten wichtigen Lehrjahren bei der Lokalzeitung machte sie sich erneut selbständig als freie Schreiberin. Fünf Jahre lang genoss sie das Privileg, sich in den verschiedensten Textformen auszuprobieren und spannende Projekte zu realisieren – dazu zählt auch die Herausgabe der Edition Onepage. Heute fokussiert sie sich auf das Schreiben von Biografien, Lebenserinnerungen und Briefen. Doris Büchel ist 49 Jahre alt.

Wo und wie sind Sie aufgewachsen?

Ich bin mit Vater, Mutter, fünf älteren Geschwistern und Schäferhund «Caro» in einem Einfamilienhaus in Buchs aufgewachsen und immer in der Region geblieben. Meine Mutter war Hausfrau, mein Vater war Lehrer und schlug dann eine politische Laufbahn ein. Ich durfte Klavierstunden nehmen und Reitstunden, mich im Fussball, Handball und Judo ausprobieren und jeden Samstag in die Pfadi gehen. Geblieben bin ich beim Jazztanz. Tanzen war meine Leidenschaft. Ich war ein glückliches Kind.

Könnten Sie Ihren Werdegang schildern?

Ich beendete meine Karrieren als Tänzerin und Hut-Macherin, bevor ich sie begonnen hatte. Statt der Kunstgewerbeschule absolvierte ich die KV-Lehre in einer Buchdruckerei und fühlte mich nach Sprachaufenthalten in Frankreich und Italien bereit für die Welt. Inspiriert durch Jane Fonda, eröffnete ich 22-jährig das erste Group-Fitness-Center der Region. In der Folge genoss ich fünfzehn abenteuerliche und intensive Jahre als selbständige Unternehmerin, Personal Trainer und Instruktorin, parallel dazu arbeitete ich Teilzeit im Personalwesen. 2008 verkaufte ich das Studio und wechselte in den Journalismus. Nach einer Grundausbildung in Zürich fand ich meine erste Anstellung als Redakteurin bei der Lokalzeitung Werdenberger & Obertoggenburger, wo ich vieles lernen und bald eine wöchentliche Kolumne schreiben durfte. Seit 2014 bin ich freischaffende Schreiberin, seit 2016 auch Herausgeberin der Edition Onepage. Seit 2019 biete ich als Leseleiterin Shared Reading Sessions an. Ich frage mich, was man sonst noch über mich wissen wollen könnte?

1992 eröffnete ich mein eigenes Aerobic-Studio in Buchs.

Gab es bestimmte Ereignisse oder Stationen, die für Ihren Werdegang prägend waren?

Dem damaligen Zeitgeist entsprechend prägten mich die unterschiedlichen gesellschaftlichen Wertvorstellungen der 70er-Jahre. Ich lernte damals, dass es einen Unterschied zwischen «gut» und «schlecht» gibt, wobei deren Definition nicht immer mit meinem inneren Gefühl übereinstimmte. Es war eine Zeit, als die schulterlangen Haare meines Bruders und die Secondhand-Klamotten meiner Schwester noch für Aufregung sorgten daheim. Ich war ein kleines Mädchen und fragte mich: Was ist da los? Es sind doch nur Haare. Die Liebe zu den Bergen, dem Schnee und überhaupt der Natur stammt von meinen Eltern, mit denen wir viel wanderten, insbesondere von meiner Mutter. Sie ist in Zürs am Arlberg aufgewachsen und die Zeit, die wir in dieser wunderbaren Gegend verbracht haben, hat mich sicherlich geprägt. Auch meine Lehre bei der damaligen Buchdruckerei Buchs hat mich geprägt, zu einer Zeit, als noch im Haus gesetzt und gedruckt wurde. Und natürlich Jane Fonda.

In Zürs, anno dazumal
«Musik machen» mit meinem Bruder und seinen Freunden

Hat Sie Ihr Umfeld in Ihrem Werdegang unterstützt?

Ich war immer schon eine Macherin, mit einem inneren Feuer gesegnet. Nicht immer war mein Umfeld von Anfang an so begeistert von meinen Plänen wie ich. Es galt also zuweilen auch Widerstände zu überwinden. Trotzdem erfuhr ich stets Unterstützung von meinem Familien- und Freundeskreis, sobald ich meine Ideen tatsächlich in die Tat umsetzte. Als ich mich entschied, mich auf das Schreiben zu konzentrieren, hat mich mein Mann Marco sehr unterstützt in meinem Tun, indem er sich mit meinen Vorhaben auseinandergesetzt und mir ehrliches Feedback gegeben hat. Das tut er übrigens heute noch.

 

Welchen Tätigkeiten gehen Sie derzeit nach?

Ich schreibe mein zweites Buch für den Wörterseh-Verlag. Und ich unterstütze eine Kundin dabei, ihre Lebenserinnerungen aufzuschreiben. Das kleine, feine Büchlein das daraus entstehen wird, wird sie sich und ihren Nachkommen zu ihrem 70. Geburtstag schenken. Ausserdem sind die Ausgaben #24 und #25 meines Magazins Onepage in Arbeit. Ich biete regelmässig Shared Reading Sessions an, und ich bin in den Startlöchern mit meinem neusten Schreibprojekt «Dein Brief». Dabei helfe ich Menschen, ihre Gedanken in Worte zu fassen und auf Papier zu bringen. Vielleicht wollen sie jemandem ihre Liebe bekunden? Vergeben? Um Vergebung bitten? Oder Abschied nehmen? Ich denke dabei an Patientinnen und Patienten, die ihren Partnern, Kindern, Eltern oder Freunden ein persönliches Schriftstück hinterlassen wollen.

Ich sammle kleine Reise-Schreibmaschinen und schreibe fast täglich damit.

Erfüllt Sie das, was Sie derzeit machen?

Ich lebe meine Kreativität aus, geniesse Freiheiten, setze Ideen um, lerne, treffe die unterschiedlichsten Menschen, erschaffe Schönes und bereite im besten Fall Freude damit. Ich muss mich aber auch überwinden, Entscheidungen treffen, dranbleiben, Unsicherheiten aushalten. Ich stosse an manche Grenze. Das alles macht meinen Alltag – nicht immer, aber immer wieder – intensiv und bunt, weil er zwar häufig still, dafür aber mit Emotionen verbunden ist. Deshalb: Ja, mich erfüllt, was ich mache.

Edition Onepage – eine Liebeserklärung an die Sprache, Grafikdesign, Druck und Papier

Denken Sie, dass Sie selbst darauf einen Einfluss haben, ob Ihre Tätigkeiten erfüllend sind?

Lange dachte ich, dass ich mich durchs Leben treibe lasse wie ein Floss auf einem Fluss. Bis ich realisierte, dass ich längst das Paddel in der Hand habe und stets selber entschieden habe, wohin ich steuere. Ich musste vierzig Jahre alt werden, um zu realisieren, dass alles, was ich bisher gemacht habe, aufeinander aufbaut und einen Sinn ergibt. Meine Strategie war unbewusst: Ich folgte meiner Intuition und hörte auf mein Herz. Ich bewies aber auch Mut, packte an, arbeite fokussiert, halte durch und wähle nicht immer den einfachsten Weg. Insofern: Ja, ich denke schon, dass ich selbst einen gewissen Einfluss darauf hatte und habe.

Was oder wer inspiriert Sie im Alltag?

Ich liebe es zu lernen und bilde mich sehr gerne weiter. Ich lerne in Workshops und Kursen, aber auch aus Begegnungen, Büchern, Gesprächen, der Natur, der Stille, dem Zweifeln. In Bezug auf die Inspiration ist das Leben ein Honigtopf, und ich liebe es, mit Haut und Haar darin einzutauchen. Auch deshalb liebe ich mein Magazin «Edition Onepage» – der Austausch mit den Autor*innen, Gestalter*innen, Typograf*innen und Drucker*innen ist für mich eine grosse Quelle der Inspiration. Ich habe auch das Glück einen Partner an meiner Seite zu haben, der mich immer wieder inspiriert, indem er ebenfalls auf sein Herz und Bauchgefühl hört und danach handelt. Er zeigt mir immer wieder auf, wie wertvoll es ist, sich selbst und seine Bedürfnisse ernst zu nehmen und die Prioritäten entsprechend zu setzen. Auch meine Freundinnen sind starke, kreative und leidenschaftliche Frauen, die mit beiden Füssen im Leben stehen. Der regelmässige Austausch mit ihnen sorgt immer wieder für inspirierende Momente. Generell bewundere ich Menschen, die Dinge besser können als ich. Sie zeigen mir auf, dass ich mich auf einem sinnvollen Weg befinde und spornen mich an.

Im Atelier von Dafi Kühne, Grafikdesigner und Letterpress Printer

Was oder wer gibt Ihnen im Alltag Kraft und Energie?

Ich starte den Tag gerne mit einem kleinen Ritual. Ich schaue mir jeden Morgen beim Kaffee trinken meine liebsten Blogs an und lese ein, zwei Gedichte. Dieser kleine Trick reicht häufig, um meine Fantasie anzukurbeln und auch jene Facetten in mir zu nähren, die hier in meiner nächsten Umgebung zuweilen kurz kommen. Ich gönne mir aber auch bewusst kreative Dates mit mir. Egal wie hektisch sich mein Alltag gestaltet, zwischendurch muss ein ausgiebiger Besuch im Brockenhaus, einer Buchhandlung, im Museum – im Getümmel einer Stadt einfach sein. Dabei geht es mir nicht darum, Dinge zu besitzen. Es geht mir darum, mich mit Schönem zu umgeben. So tanke ich auf. Es ist meine Seelennahrung. Kraft gibt mir auch die Bewegung und die Natur. Nirgends kann ich mich besser erden und abschalten als beim Wandern, Laufen, Schwimmen, Yoga, Gewichte stemmen, Skitourengehen. Sport begleitet mich schon mein Leben lang. Und ich kann nur jedem und jeder empfehlen, regelmässige Bewegung in den Alltag einzubauen.

Meine Favoriten:
_www.swiss-miss.com
_www.brainpickings.org
_www.austinkleon.com
_www.brinkerhoffpoetry.org
_www.patentochsner.ch (Logbuch)
_www.h-o-r-n-g-r-y.tumblr.com

Es gibt Momente, in denen alles zu passen scheint. Momente, die einen erfüllen, inspirieren und die einem Kraft und Zuversicht gehen. Momente, die einen darin bestätigen, dass sich der Einsatz lohnt und dass das, was man macht, sinnhaft und wertvoll ist. Haben Sie solche «magischen Momente» in Bezug auf Ihre eigenen Tätigkeiten schon erlebt?

Ich habe lange über diese Frage nachgedacht, denn ich möchte auf keinen Fall irgendwelchen Klischees verfallen. Umso schöner ist es, dass ich von Herzen sagen kann: Ja, es gibt sie, diese magischen Momente! Es sind Streiflichter, kurze Augenblicke tiefer, innerer Zufriedenheit. Wenn sie sich zeigen, muss man sie erkennen, annehmen und aufsaugen, denn sie sind flüchtig und zeigen sich gerne dann, wenn es ihnen passt und nicht dann, wenn wir sie erwarten.

Ich war vor dem Lockdown im Literaturhaus Liechtenstein an der Lesung von Ilma Rakusa. Ich hatte kurz zuvor eine Onepage-Ausgabe mit ihr und Dafi Kühne, einem bemerkenswerten Grafikdesigner und Letterpress Printer, realisiert – unsere wunderbare Ausgabe schmückt derzeit eine Wand im Literaturhaus. Nach der Lesung stand Frau Rakusa spontan auf, ging durch den Raum, stellte sich vor unser Plakat hin, bedankte sich für die schöne Arbeit und las uns allen zum Schluss ihrer Lesung das «Gedicht gegen die Angst» ab Plakat vor. Ich hatte Hühnerhaut.

In fast jeder Shared Reading Session erlebe ich einen magischen Moment, nämlich dann, wenn die Literatur es schafft, dass sich Menschen einander öffnen, die sich bisher nicht kannten. Und oft passiert es, wenn ich an der Druckmaschine stehe und das erste Exemplar einer neuen Onepage Ausgabe in den Händen halten darf.

Wenn wir einen magischen Moment erkennen, sollten wir innehalten, die Augen schliessen und ihn inhalieren, wenn auch nur für ein, zwei bewusste Atemzüge.

Onepage Ausgabe No. 19 mit dem «Gedicht gegen die Angst» von Ilma Rakusa

Tun Sie aktiv etwas dafür, damit sich solche «magischen» Momente einstellen können?

Ich habe gelernt, wie wichtig die Stille für mich ist. Ich muss immer wieder innerlich zur Ruhe kommen, Alleinsein, mich in Achtsamkeit üben, loslassen. Solange ich durchs Leben hetze und glaube, tausend Dinge gleichzeitig tun zu müssen, verpasse ich die magischen Momente. Das jedenfalls ist meine Erfahrung.

 

Gibt es Momente, in denen Sie an dem, was Sie machen, zweifeln?

Absolut. Wenn ich Angst vor meiner eigenen Courage bekomme. Wenn ich einen Text loslassen, respektive abgeben muss. Es ist vielleicht, wie wenn dein Kind zum ersten Mal auswärts schläft. Du freust dich, aber du vermisst es auch, sobald es zur Tür raus ist. Ausserdem: Im stillen Kämmerlein Wort an Wort zu reihen ist ein anderes Paar Schuhe, als die Arbeit im aussen zu präsentieren. Es sind herausfordernde (und spannende) innere Prozesse, die da teilweise ablaufen.

 

Können Sie schwierigen Momenten rückblickend etwas Positives abgewinnen?

Einerseits zeigt mir das Zweifeln, wie viel mir mein Schaffen bedeutet. Andererseits spornt es mich an, mich weiter zu verbessern und dazuzulernen.

 

Gibt es etwas, was Sie rückblickend anders machen würden?

Eine grosse Frage. Natürlich habe ich mich auch schon gefragt, was aus mir geworden wäre, hätte ich mein ganzes Herzblut in eine akademische Karriere investiert. Oder mich von Anfang an auf die Literatur oder das Design konzentriert. Mehr als die Vergangenheit beschäftigt mich aber die Tatsache, dass mir die Zukunft wohl nicht genügend Zeit offeriert, um alles lernen zu können, was mich auch noch interessiert. Ich möchte das Leben melken, aber die Zeit läuft und es gibt noch so vieles zu entdecken. Gleichzeitig liebe ich es, mich stundenlang, tagelang, wochenlang zurückzuziehen, in aller Stille an Worten zu feilen und dabei die Welt zu vergessen. Es ist kompliziert. Abgesehen davon, ist es gut, wie es ist.

 

Möchten Sie mit ihren Tätigkeiten etwas zur Gesellschaft beitragen?

Wollen wir das nicht alle? Ich denke, einen Beitrag für die Gesellschaft zu leisten ist in gewisser Weise unsere Verpflichtung. Es verleiht dem Leben, dem eigenen Tun und Sein, einen Sinn.

Onepage Ausgabe No. 18 mit der Erzählung «Nathigal» von Peter Stamm, der Gestaltung von Studio Lametta und dem Gedicht von Martina Caluori

Ist Ihnen die Anerkennung von anderen Personen bzw. von der Öffentlichkeit wichtig?

Ich habe mich nie an den Schreibtisch gesetzt und mir überlegt, wie ich Anerkennung von der Öffentlichkeit bekomme. Im Gegenteil. Das Öffentliche war für mich lange Zeit eine Art Handbremse. Ich habe es nie ganz geschafft, diese zu lösen, als ich noch für Zeitungen und Magazine schrieb. Jetzt ist es besser, seit ich mir mehr Zeit für meine Arbeiten nehmen kann. Aber ja, es bestärkt und freut mich, wenn ich Lob für mein Schaffen bekomme. Das schönste Lob ist, wenn ich höre, dass ich andere inspiriere oder berühre.

 

Wie gut können Sie von dem, was Sie beruflich tun, leben?

Die Art und Weise, wie ich heute arbeite, funktioniert nur, weil mein Mann und ich ein Team sind. Müsste ich von heute auf morgen unseren kompletten Lebensunterhalt alleine bestreiten, müsste ich mir eine Anstellung mit einem fixen Monatsgehalt suchen. Oder damit anfangen, für meine Arbeit den Preis zu verlangen, den sie wert ist. Oder doppelt so schnell schreiben. Dass ich mir für meine Texte die Zeit nehmen kann, die ich brauche, ist ein Privileg, das ich unglaublich schätze.

Shared Reading ist eine etwas andere Art gemeinsam zu lesen.

Gibt es etwas, womit Sie sich in Zukunft gerne (verstärkt) beschäftigen würden?

Im August beginnt mein Fernstudium im Prosaschreiben mit Schwerpunkt Autobiografisches Schreiben, mit dem ich mich hoffentlich die kommenden 24 Monate verstärkt beschäftigen werde. Und ich möchte endlich das Meditieren kontinuierlich in meinen Alltag einbauen. Ansonsten möchte in Zukunft genau das tun, was ich mir im Laufe der vergangenen Jahre aufgebaut habe. Und weiter daran wachsen.

 

Wofür sind Sie im Leben besonders dankbar?

Dass ich liebe und geliebt werde.

Interview
Laura Hilti, August 2020


Illustrationen

Stefani Andersen


Links

www.sleepless-sheep.com
www.onepage.li
www.shared-reading.ch


Credits

Portrait, Onepage, Atelier: Ingo Rasp
Zürs, Aerobic-Studio, Musik, Schreibmaschinen: privat
Shared Reading: shared-reading.de

Dieses Interview ist Teil des Projekts «Magic Moments» des Kunstvereins Schichtwechsel, in dessen Rahmen Menschen zu ihrem Werdegang, ihren Tätigkeiten sowie magischen und schwierigen Momenten befragt werden.

Kuratiert von Stefani Andersen und Laura Hilti, Kunstverein Schichtwechsel.

Gefördert durch die Kulturstiftung Liechtenstein und die Stiftung Fürstl. Kommerzienrat Guido Feger.

 

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