Eine Fotoausstellung von Keystone-SDA und des Vereins netzwerk-verdingt in Zusammenarbeit mit dem Küefer-Martis-Huus

Verding- und Heimkinder in der Schweiz
In der Schweiz wurden bis weit ins 20. Jahrhundert hinein Hunderttausende Kinder und Jugendliche in Heimen fremdplatziert oder in landwirtschaftlichen und gewerblichen Betrieben verdingt. Es waren mehrheitlich Kinder aus ärmlichen Verhältnissen, darunter besonders uneheliche und verwaiste. Hauptgrund für die Fremdplatzierung war die wirtschaftliche Not. Sozialsysteme, wie wir sie heute kennen, gab es kaum. Für bedürftige Menschen kamen hauptsächlich die Gemeinden auf. Die Fremdplatzierung sollte sowohl Familien als auch Gemeinwesen entlasten. In ihrem neuen Umfeld erlebten die Verding- und Heimkinder oftmals psychische und physische Gewalt. Viele der ehemaligen Verding- und Heimkinder haben aus dieser Zeit schwere Beeinträchtigungen davongetragen. Die Willkür und der Missbrauch, welche ihre Kinder- und Jugendjahre prägten, verfolgt sie teilweise bis heute. Die genaue Anzahl der heute noch lebenden Heim- und Verdingkinder ist nicht bekannt. Die Meisten sind mit ihrer Geschichte nie an die Öffentlichkeit gelangt.

Porträts von Verdingkindern
Durch seine Arbeit für Keystone-SDA ist der Fotograf Peter Klaunzer mit ehemaligen Verding- und Heimkindern in Berührung gekommen. Bewegt durch ihre Geschichte, hat er in zwei Jahren mehr als zwei Dutzend von ihnen porträtiert. In seinen Bildern nähert er sich den bewegenden Schicksalen behutsam an und ermöglicht einen Einblick in die heutigen Lebensumstände der betroffenen Personen. Ein Ziel der Ausstellung ist es, den Verding- und Heimkindern ein Gesicht zu geben und damit ein dunkles Kapitel Schweizer Geschichte vor dem Vergessen zu bewahren.
Die 20 Porträts sind in einem separaten Reader mit den persönlichen Biografien der Porträtierten versehen. Darin finden sich wichtige Eckdaten aus dem Leben der Personen mit prägenden persönlichen Momenten. Die Texte sind in Interviews mit den Betroffenen durch Walter Zwahlen, Präsident des Vereins netzwerk-verdingt, entstanden.
Die Ausstellung ist ein wichtiger Schritt zu Rehabilitation der Verdingkinder. Die Porträts sind auch deshalb bedeutsam, weil möglicherweise viele der Porträtierten in wenigen Jahren nicht mehr leben werden. Die Fotoausstellung ist gleichzeitig eine Hommage an die hunderttausende Betroffene, welche unerkannt und ungewürdigt blieben.
In den Bildern treten uns die Protagonisten direkt gegenüber. Sie müssen sich nicht mehr rechtfertigen. Die Porträts zeigen ungeschminkt auch die Spuren, welche das Leben in ihren Gesichtern hinterlassen hat. Das Verschweigen der Vergangenheit hat ein Ende. Die Jahrzehnte des Wegschauens sind Geschichte, nun gilt es, genau hinzusehen.

Peter Klaunzer
Der 1967 geborene und in Ruggell aufgewachsene Peter Klaunzer machte eine Ausbildung zum Programmierer bei IBM in Zürich (1986–1988) sowie eine Ausbildung zum Wirtschaftsinformatiker (1994/95). Von 2000 bis 2004 war er als freier Pressefotograf für die Tageszeitung «Liechtensteiner Vaterland» tätig. 2004/05 absolvierte er den Lehrgang für Pressefotografie am MAZ in Luzern. Seit 2006 ist er Agentur-Fotograf bei Keystone.
Mit seinen Fotografien hat er mehrere Preise und Auszeichnungen gewonnen. Besondere Aufmerksamkeit hat Peter Klaunzer mit seiner Fotoserie zu Alain Berset erregt. Ein Jahr lang begleitete er den Bundespräsidenten während seines Präsidialjahrs 2018 auf seinen Reisen, auf Sitzungen, Veranstaltungen und Galadinners. Die entstandenen Bilder vermitteln einen Einblick in den Alltag der hohen Politik. Eine Ausstellung und ein im Stämpfli Verlag erschienenes Buch sind in enger Zusammenarbeit entstanden.

Verein netzwerk-verdingt
Der Verein wurde im Jahr 2008 von ehemaligen Verdingkindern gegründet worden. Er dient als Plattform für Betroffene, engagiert sich für die Erinnerung, Erforschung und Aufarbeitung der unrühmlichen Geschichte der zwangsweisen Fremdplatzierung von Verding-, Heim, und Pflegekindern. Sein Schaufenster ist die Homepage www.netzwerk-verdingt.ch. Der Verein setzt sich in der Öffentlichkeit für die Anliegen der Betroffenen und vielfältig für die Menschenrechte ein. Heim- und Verdingkinder sind ein unseliges, europäisches Erbe. 2016 entstanden deshalb 25 Portraits ehemaliger Verding- und Heimkinder von Peter Klaunzer.

Keystone-SDA
Die Nachrichtenagentur Keystone-SDA, hervorgegangen aus dem Zusammenschluss der Bildagentur KEYSTONE und der Schweizerischen Depeschenagentur SDA, betreut einen bedeutenden Teil des visuellen Gedächtnisses der Schweiz. Die Nachrichtenagentur dokumentiert aus journalistischer Sicht die Schweizer Aktualität und verfolgt dabei einen nachhaltigen Blick auf bedeutende soziale, politische und kulturelle Themen unseres Alltags. Peter Klaunzer fotografiert seit zwölf Jahren für die Agentur.

 

Links

Film von arttv.ch über die Ausstellung
Verein netzwerk-verdingt
Ausstellung im Küfer-Martis-Huus (bis 5.7.2020)

 


Credits
Titelbild: kultur online
Weitere Bilder: Küefer-Martis-Huus (Facebook)

Beschreibung: Küefer-Martis-Huus (Website)

Beitrag erstellt von
Laura Hilti, Kunstverein Schichtwechsel