«Nonconform» heißt das Architekturbüro, das Roland Gruber gemeinsam mit anderen gegründet hat und betreibt. Im Zentrum seines Interesses steht die Wiederbelebung von verwaisten und verödenden Stadt- und Ortskernen.

Das Zentrum der obersteirischen Stadt Trofaiach war 2015 dabei, abzusterben. Bis die «Kümmerer» von nonconform kamen. Gemeinsam mit den Gemeindeverantwortlichen wurden Konzepte für die Zukunft entwickelt. Man studierte die Stadt Waidhofen an der Ybbs, die es geschafft hatte, den Leerstand von Geschäften von 35 Prozent auf null zu reduzieren.

Damit die Ideen keine Wunschträume blieben, ernannte man einen lokalen „Zentrumskümmerer“. Mittlerweile konnte der Leerstand auf die Hälfte reduziert werden und auch das Gasthaus öffnete wieder seine Pforten.

Im Gespräch mit Renata Schmidtkunz spricht Roland Gruber, mittlerweile einer der führenden Experten für Entwicklungsstrategien im ländlichen Raum, wie er seine verblüffenden Strategien entwickelt und welche Rolle die Beteiligung der Bürger/innen dabei spielt:

«Wir bauen zu viele neue Handelsflächen – ausserhalb, auf der grünen Wiese, an Kreisverkehren – und das ist eines dieser Grundübel, warum auch unsere Ortskerne wirklich kämpfen. […] Es gibt aber auch Orte, wo das erkannt wurde und wo mit klugen Mitteln ein Umdenken stattgefunden hat und wo die handelnden Personen […] auch bewusst diesen umgekehrten Weg gegangen sind. Also draussen wird nichts mehr oder wenig gewidmet, es wird geschaut, dass man die Leerstände wieder aktiviert, dass man vielleicht neue Nutzungen reinbringt, dass man mit ungewöhnlichen Strategien Neues ausprobiert. […] Wenn einmal eine Handelsfläche draussen vor den Toren einer Stadt oder eines Dorfes gebaut worden ist, die bekommt man so schnell nicht mehr wieder rein.»

«Ich war vorige Woche in Nordrhein-Westfalen, wo wir an der Gestaltung einer Stadtmitte gearbeitet haben […]. Wir experimentieren immer mit unterschiedlichen Methoden, wie man Bürgerinnen und Bürger in solche Zukunftsprozesse und Gestaltungsprozesse involvieren kann. Wir haben 15 Leute zufällig ausgewählt aus der Bevölkerungsschicht, von jung bis alt, männlich, weiblich. Die wurden eingesperrt eineinhalb Tage und mit denen haben wir dann eineinhalb Tage entwickelt. Es durfte sonst niemand dabei sein. Der Bürgermeister durfte nicht dabei sein, niemand. […] Und das war fantastisch: Auch Leute, die sozial nicht so integriert sind, sind ausgewählt worden und haben zugesagt. […] Am Ende haben nicht wir […] die Ergebnisse präsentiert, sondern diese 15 Personen.»

«Durch die Involvierung der Menschen tauche ich ein in das Lesen zwischen den Zeilen, also was wirklich gebraucht wird. Wir haben in Fließ versucht, auch die Architektinnen und Architekten in diesen Beteiligungsprozess zu involvieren. Die, die ausgewählt worden sind, beim Wettbewerb dabei zu sein, haben wir mit der Bevölkerung zusammengebracht bei einem grossen Kolloquium. […] Da wurden am Ende ganz viele Vorurteile abgebaut. Zwischen Planerschaft und Politik und Bevölkerung gibts unglaublich viele Vorurteile, die sehr schön abgebaut werden, wenn es zum Gespräch und zum Dialog kommt. Was dabei am Ende rauskommt, ist Gesprächskultur, und die Sachen, die dann entstehen, sind wesentlich massgeschneiderter und punktgenauer auf die Bedürfnisse ausgerichtet.»

«Ich plädiere wirklich dafür, Zeit zu nehmen für solche Entwicklungsprozesse und mutige Prozesse zu gestalten. Also nicht einschläfernde, langatmige, langweilige Prozesse, das interessiert niemanden. Ich krieg ja schon fast die Krise, wenn ich höre, dass an einem Ort ein Bürgerbeteiligungsprozess ausgeschrieben wird, eine Abendveranstaltung von eineinhalb Stunden. Dann kann ich genau sagen, dass da nichts rauskommen wird. Da kommen immer dieselben Leute, denn wer geht am Abend hin? Immer die, die gern reden und die sich gerne reden hören. Die, die nichts sagen, gehen nicht hin und die Stillen gehen schon gar nicht hin. Die fünf Quatscher, die sind dort, und die haben das Wort. So kann man nicht arbeiten.»

«Übersetzt ist das [die Methode ‹Dynamic Facilitation and the Wisdom Council›] der Bürgerrat […]. Das ist: eineinhalb Tage, Zufallsauswahl, 15 Leute, egal welches Thema. Es ist gelungen in Österreich, in Vorarlberg, dass diese Methode auch in die Verfassung kommt, also als partizipative Demokratie. Wenn in Vorarlberg zum Beispiel 1000 Menschen zu einem Thema eine Unterschriften-Liste machen und sagen, wir wollen, dass dieses Thema behandelt wird, dann zahlt das Bundesland Vorarlberg diesen Bürgerrat.»

«Vielleicht bin ich ein Beziehungsarbeiter. Etwas, was mich wirklich fasziniert, ist, Menschen zusammenzubringen, die nicht gewusst haben, dass sie zusammengehören. Ich hab auch privat einige Leute verkuppelt, da sind Ehen entstanden und Kinder. Ich hab immer gedacht, wer könnte zu wem passen, das war gar nicht so uninteressant. Und im Job ist es eigentlich genau das. Du hörst etwas und du siehst etwas und du hörst vom anderen etwas und denkst: Die muss man zusammenbringen. Und wenn ich diese Beziehung erzeuge, […] dann könnte etwas entstehen.»

«Gute Arbeit geht durch den Magen. […] Wenn man zu einer Veranstaltung eingeladen ist, zum Beispiel zu einem Bürgerabend, und Sie kommen am Abend hin, Sie haben den ganzen Tag gearbeitet, irgendwo, haben irgendwelche Probleme gelöst, sind eigentlich fertig, haben keine Lust, und sagen, ich engagiere mich aber für einen Ort, komme zu einer Bürgerversammlung und muss dort dann auch noch arbeiten. Und dann gibt es nichts zu Essen und nichts zu Trinken. […] Also Brötchen mit Mayonnaise gibts nie, sondern in der Regel isst man Suppe, also Suppe und ein Bier. Suppe ist eigentlich ein geniales Mittel, Suppe ist sehr einfach nebenbei zu konsumieren, also du kannst auch arbeiten und Suppe essen. Und die Suppe ist etwas Warmes, das geht durch den Magen. Und das kann man wirklich beobachten, nach ein paar Löffeln Suppe sinkt der Aggressionspegel einer grossen Gruppe um 50 Prozent. […] Man hört den anderen lockerer zu, man akzeptiert eine andere Meinung. […] Und dazu ein Bier. Ob da Alkohol drinnen ist oder nicht, ist eigentlich egal. Wichtig ist, dass man nicht immer nur mit Wasser anstösst. […] Mit Wasser und Käsestangen kannst du keinen Beteiligungserfolg erzeugen. Du brauchst was Gscheits zum Essen. […] Beziehungsarbeit und Beteiligungsarbeit ist Gesprächskultur und Gesprächskultur ist einfach zuhören lernen und die andere Meinung verstehen lernen.»

Anmerkung: Diese Interview-Transkription wurde zum Besseren Verständnis sprachlich leicht angepasst.

Text und Interview: Ö1 Im Gespräch

Bild: nonconform