«[Komplizenschaft] ist ein Begriff, der im Strafrecht definiert ist, und zwar ganz klassischerweise […] durch einen Dreischritt: Das heisst, Komplizinnen und Komplizen fassen einen Entschluss zusammen, sie planen, wie sie diesen Entschluss in Tat umsetzen und der dritte Schritt ist, sie setzen ihn dann auch wirklich in die Tat um.»

«Das unterscheidet Komplizenschaft auch von anderen Formen der kollektiven Arbeit: dass Komplizen sich eigentlich eigene Strukturen schaffen für das, was sie tun. Und wenn man das in den Bereich der legalen Arbeit nimmt, kommt man schnell in den Bereich der Innovation. Da findet der Begriff besonders hohen Anklang, weil man eben für das, was man entwickelt, keine Strukturen hat. Man betritt ein Terrain, das unbekannt ist und muss eben auch die Form der Zusammenarbeit komplett neu entwickeln.»

«Wichtig ist, dass man die Leute auch einfach machen lässt […], weil gerade in kreativen Umfeldern man natürlich diese Anonymität in der Gruppe, dieses nicht gleich rausgehen und nicht immer sofort sagen, was man sich da gerade überlegt, ist elementar für kreative Prozesse. […] Und wenn das sofort verhindert wird indem der Chef kommt und fragt, was macht ihr denn da und erzählt mir mal alles, dann ist der Prozess eigentlich schon gestört.»

«Dieser Begriff der Gemeinschaft ist einer, der sehr problematisch ist, weil die Kollektivbildung, die wir heute betreiben, ist oft eine sehr temporäre. […] Man arbeitet in Projekten, wo es sehr schnell zu einem hohen Energielevel kommen muss mit Leidenschaft und vielen Ideen […] und dann ist das Projekt sofort zu Ende. Und manchmal sieht man die Leute gar nie wieder, mit denen man so intensiv zusammenarbeitet hat. Ich glaube, das ist so eine Art Sozialkompetenz, die wir uns auch aneignen müssen, damit umzugehen, dass wir uns eben verabschieden müssen und wieder dann in andere Konstellationen neu einsteigen. Das ist etwas, das hat mich immer irritiert, weil ich – glaube ich – auch dachte, dass sind Freundschaften. Und Freundschaft ist eben wirklich eine andere Kategorie.»

«Man muss im Prinzip verschiedene Kompetenzen zusammenbringen. Und das ist wichtig. Man muss sich – glaube ich – faszinierend finden, aber man muss sich nicht auf einer harmonischen ganzheitlichen Ebene mögen. Aber man muss sich faszinierend finden, um überhaupt gemeinsam so eine Leidenschaft zu entwickeln.»

«Innerhalb der Kunst ist der Begriff der Komplizenschaft wesentlich etablierter als zum Beispiel in der Wirtschaft oder Politik. Künstlerinnen oder Künstler sagen sehr schnell von sich selber, dass sie komplizitär arbeiten. Und ich finde das schon wichtig, sich die Kompetenzen in der Kunst anzukucken und sich auch  immer zu überlegen: Was können diese Kompetenzen in anderen gesellschaftlichen Bereichen eigentlich bewirken? Was kann die Kunst, ausser Kunst sein? Ich glaube, die Kunst kann sehr viel und eine grosse Kompetenz, die ich mir jetzt angekuckt hab, ist tatsächlich dieses schnelle, situativ bezogene miteinander Agieren.»

«Komplizenschaft ist immer temporär. Und was interessant ist, sie ist auch nicht wiederholbar. Das kann man im Strafrecht wunderbar ankucken. Es gibt glaube ich keinen Fall, in dem eine Bande eine Bank überfallen hat, im Gefängnis war und genau in gleicher Konstellation das nochmals gemacht hat. Die Konstellation verändert sich immer.»

«Man kann komplizitär veranlagt sein. Das ist im übrigen auch etwas, was kulturell sehr unterschiedlich ist. Es gibt Kulturen, in denen das als etwas Wertvolles angesehen wird, […] im Geheimen konspirativ zu agieren, informelle Kommunikation anzuwenden […], an der Oberfläche etwas anderes tun, als man es vielleicht meint. In anderen Kulturen ist das sehr viel weniger anerkannt.»

«Ich glaube, es ist ganz wichtig, den richtigen Augenblick zu finden und zu wissen, wann steht eigentlich so jemand vor mir, der als Komplize oder Komplizin für mich einen Wert haben könnte. Und es zeichnet oft auch einfach den Anfang von Beziehungen auf.»

«Der Witz an Komplizenschaft ist auch, dass das Ziel eigentlich erst sich ganz klar formiert, wenn die Gruppe sich formiert hat. Ich geh eigentlich nicht hin und sage, ich will jetzt das und das machen und dafür suche ich mir meine Komplizen. Das […] ist Teamwork. Eigentlich ist es so, ich treffe Leute, die ich faszinierend finde und merke, mit denen kann ich zusammenarbeiten und ich generiere mit diesen Menschen das Ziel. […] Und das ist auch das besondere daran. Das kann ich auch nicht alleine tun, da bin ich angewiesen auf Ideen und Vorstellungen, die von aussen kommen.»

«Dieses Merkmal [Komplizinnen und Komplizen erscheinen nicht als solche, sondern als Einzelgänger] zeigt nochmals auf, dass man Komplizenschaft oft auch nicht richtig bemerkt. Dass es ganz wichtig ist, sich diesen Raum der Anonymität oder der Grauzone zu bewahren, in der man halt Dinge ausprobieren kann.»

«Ich bin gar nicht gegen Transparenz. Ich weiss, dass das an vielen Stellen sehr wichtig ist […], aber in kreativen Prozessen kommt es einfach immer ganz am Ende. […] Es ist auch ein Risiko. Wer eine Komplizenschaft eingeht – sowohl im Verbrechertum als auch auf der kreativen Seite – nimmt ein Risiko auf sich. Man muss wahnsinniges Vertrauen haben zu den Leuten, mit denen man arbeitet und da ist es eben auch wichtig, dass man es aushält, eine ganze Zeit das mal unter sich auszumachen.»

«Auch in Momenten, in denen man meint, keinen grossen Spielraum zu haben in einer Organisation, es trotzdem zu Komplizenschaften kommt und Komplizenschaften auch umso wichtiger werden, weil sie eine Möglichkeit manchmal des Protestes oder Widerstandes sein können. Dass man auf jeden Fall auch in ganz extrem Situationen qua Komplizenschaft so etwas wie einen kleinen Freiraum erschaffen kann. Und deshalb ist Komplizenschaft oft auch gebunden an Emanzipation oder Selbstbestimmung.»

«Es gibt auch noch ein anderes Merkmal: Komplizinnen und Komplizen agieren gegen einen Feind, der von der Feindschaft nichts ahnt.»

 

Komplizenschaft: Von Gangstern lernen

SRF2 Reflexe, Montag, 17. März 2014, 10:03 Uhr

Die Philosophin Gesa Ziemer arbeitet seit Jahren an den Schnittstellen von Kunst, Kulturwissenschaft und Alltag. In ihrem neuen Buch macht sie sich für den Begriff der «Komplizenschaft» als zeitgenössische, produktive Art der Zusammenarbeit stark.

Der Züricher Postraub oder die Geschichte von «Bonnie und Clyde»: Klassische Fälle von Komplizenschaft. Der Begriff kommt eigentlich aus dem Strafrecht und der Tatbestand ist illegal. Doch es gibt auch legale, kreative Formen von Komplizenschaft. Gerade in den Künsten, der Performance oder der Improvisationsszene wird das Potential von komplizitärem Arbeiten schon lange erkannt und praktiziert.

In ihrem Buch «Komplizenschaft. Neue Perspektiven auf Kollektivität» beschreibt Gesa Ziemer, Professorin für Kulturtheorie an der HafenCity Universität in Hamburg, die innovative Kraft von Komplizenschaft.

Buchhinweis: Gesa Ziemer: «Komplizenschaft.» Transcript, 2014.

 

Quelle Texte: SRF2

Quelle Bild: Bonnie und Clyde, die wohl berühmteste Komplizenschaft. Keystone