«Ich für mein Teil kann ohne meine Kunst nicht leben. Aber ich habe diese Kunst nie höher gestellt als alles übrige. Ich bedarf ihrer vielmehr notwendig, weil sie sich von niemand absondert und mir erlaubt, so wie ich bin, auf der allen Menschen gemeinsamen Ebene zu leben. Die Kunst ist in meinen Augen kein einsiedlerisches Vergnügen. Sie ist ein Mittel, die grösstmögliche Zahl von Menschen anzurühren, indem sie ihnen ein beispielhaftes Bild der gemeinsamen Leiden und Freuden vorhält.»

«Darum betrachten die wahren Künstler nichts mit Verachtung; sie fühlen sich verpflichtet, zu verstehen, nicht zu richten. Und wenn sei in der Welt Stellung zu beziehen haben, so können sie sich nur für eine Gesellschaft entscheiden, in der nach Nietzsches grossem Wort nicht mehr der Richter herrschen wird, sondern der Schaffende, sei er nun Arbeiter oder Intellektueller.»

Rede anlässlich der Entgegennahme des Nobelpreises am 10. Dezember 1957 in Stockholm

 

«Seit ungefähr hundert Jahren leben wir in einer Gesellschaft, die nicht einmal die Gesellschaft des Geldes genannt werden kann (Geld oder Gold können sinnliche Leidenschaften wecken), sondern als Gesellschaft der abstrakten Symbole des Geldes bezeichnet werden muss. Die Gesellschaft der Händler kann als Gesellschaft definiert werden, in der die Dinge von den Zeichen verdrängt werden.»

«Es ist darum nicht verwunderlich, dass diese Gesellschaft eine Moral starrer Grundsätze zu ihrer Religion gewählt hat und dass sie die Worte Freiheit und Gleichheit ebensogut über ihren Gefängnissen wie über ihren Finanztempeln anbringt. […] Wie ist es da verwunderlich, wenn diese Gesellschaft von der Kunst verlangt hat, sie solle nicht ein Werkzeug der Befreiung sein, sondern eine Übung ohne grosse Bedeutung, eine einfache Zerstreuung?»

«Die Kunstfabrikanten (ich habe das Wort Künstler noch nicht gebraucht) des bürgerlichen Europa vor und nach 1900 haben sich auf diese Weise mit der Verwantwortungslosigkeit abgefunden, weil die Verantwortung einen kraftraubenden Bruch mit ihrer Gesellschaft erfordert hätte. […] Aus jener Zeit stammt die Theorie des l’art pour l’art, die nichts anderes bedeutet als die Forderung nach dieser Verantwortungslosigkeit. Das l’art pour l’art, der Zeitvertreib des einsamen Künstlers, ist eben gerade die künstliche Kunst einer abstrakten Attrappengesellschaft. Seine logische Weiterentwicklung ist die Salonkunst und die rein formale Kunst, die sich von Prezisosität und Abstraktion nährt und schliesslich jede Wirklichkeit zerstört. So bezaubern ein paar Werke ein paar Menschen, während viele grobschlächtige Machwerke viele andere Menschen verderben. Schliesslich siedelt sich Kunst ausserhalb der Gesellschaft an und schneidet sich von ihren lebendigen Wurzeln ab.»

«Allmählich steht selbst der sehr gefeierte Künstler allein, oder sein Volk kennt ihn nur durch Presse und Rundfunk, die ein bequemes, vereinfachtes Bild von ihm vermitteln. Je mehr Kunst sich nämlich spezialisiert, desto nötiger wird es, sie volkstümlich zu machen. So haben Millionen Menschen das Gefühl, diesen oder jenen grossen Künstler unserer Zeit zu kennen, weil sei in der Zeitung gelesen haben, dass er Kanarienvögel züchtet oder immer nur für sechs Monate heiratet. Die grösste Berühmtheit besteht heute darin, Bewunderung oder Abscheu zu erregen, ohne gelesen worden zu sein.»

«Der zeitgenössische Künstler lehnt so lange alles ab, ja sogar die Traditionen seiner Kunst, bis er wähnt, seine eigene Regel schaffen zu können, und sich schliesslich für Gott hält. Gleichzeitig glaubt er auch seine Wirklichkeit selber schaffen zu können. Und doch wird er fern von seiner Gesellschaft nur formale oder abstrakte Werke hervorbringen, die als Experimente ansprechen, der Fruchtbarkeit der wahren Kunst jedoch entbehren, besteht doch die Berufung der wahren Kunst darin, Sammelpunkt zu sein.»

«Um jedoch von und zu allen zu sprechen, muss man von dem sprechen, was alle kennen, und von der Wirklichkeit, die uns gemeinsam ist. Meer, Regen, Bedürfnis, Verlangen, Kampf gegen en Tod, das sind die Dinge, die uns alle verbinden. Wir gleichen uns in dem, was wir zusammen sehen, in dem, was wir zusammen leiden. Die Träume ändern sich mit den Menschen, aber die Wirklichkeit der Welt ist unsere gemeinsame Heimat.»

Der Künstler und seine Zeit, Am 14. Dezember 1957 in der Aula der Universität Uppsala gehaltener Vortrag

 

«So kam es wohl, dass ich die unbequeme Laufbahn einschlug, die die meine ist, und voll Unschuld das hohe Seil betrat, auf dem ich mühsam vorwärtsschreite, ungewiss, ob ich das Ziel erreichen werde. Mit anderen Worten: ich wurde Künstler, wenn es denn wahr ist, dass es keine Kunst gibt ohne ein Ablehnen und Bejahen.»

«Der Verdienst für diese glückhafte Gefeitheit kommt nicht mir zu. Ich verdanke sie in erster Linie meinen Angehörigen, denen es sozusagen an alem mangelte und die sozusagen nichts mit missgünstigen Augen betrachteten. Durch ihr blosses Schweigen, ihre Zurückhaltung, ihren natürlichen, schlichten Stolz haben die Meinen, die nicht einmal lesen konnten, mir damals die vornehmsten, heute noch in mir nachwirkenden Lehren erteilt.»

«Vor Zeiten lebte ich einmal eine Woche lang im Überfluss aller Güter dieser Welt: wir schliefen im Freien an einem Strand, wir ernährten uns von Früchten und verbrachten den halben Tag in menschenleeren Wasser. Damals erkannte ich eine Wahrheit, die mich seither immer bewogen hat, die Zeichen des Wohlstands oder der Wohlbestalltheit mit Ironie, Ungeduld und zuweilen mit Grimm zu vermerken. Obwohl ich jetzt ein materiell sorgenfreies Leben führe, also zu den Privilegierten gehöre, verstehe ich es nicht, zu besitzen. Von dem, was ich habe – und was mir immer ohne mein Zutun zufällt –, vermag ich nichts zu behalten. Weniger aus Verschwendungssucht, will mir scheinen, als aus einer besonderen Art von Sparsamkeit: ich geize mit jener Freiheit, die verloren geht, sobald der Überfluss an Gütern beginnt. Der grösste Luxus hat in meinen Augen nie aufgehört, eins zu sein mit einer gewissen Blösse.»

Licht und Schatten (für Jean Grenier), Vorwort

 

Albert Camus, Kleine Prosa, Rowohlt, Reinbek bei Hamburg, 1961

 

Albert_Camus

Albert Camus (geb. 1913 in Mondovi, Französisch-Nordafrika, heute Dréan, Algerien, gestorben 1960 nahe Villeblevin, Frankreich) war ein französischer Schriftsteller und Philosoph. 1957 erhielt er für sein publizistisches Gesamtwerk den Nobelpreis für Literatur. Camus gilt als einer der bekanntesten und bedeutendsten französischen Autoren des 20. Jahrhunderts.

 

Quelle Portraitbild: institut-francais.at

Quelle Biografie: Wikipedia

 

Links: Albert Camus‘ speech at the Nobel Banquet at the City Hall in Stockholm, December 10, 1957 (EN)

Audioaufnahme Rede (FR)