NULL POLITIK?

Kunst ist ein Mechanismus, der durch die Macht des Intellekts und der Intuition in Kombination mit dem Verlangen nach Dissens angebtrieben wird. Ergebnis solchen künstlerischen Handelns muss nicht zwangsläufig merkwürdige und schwer verständliche Kunst sein, es können ebenso Werkzeuge sein, die aktiv in die Welt eingreifen.

Unter diesen Vorzeichen scheint es ausreichend, ein Objekt herzustellen und es unter die Leute zu bringen, um Veränderungen zu bewirken, auch politische Veränderungen. Das Kunstobjekt selbst, egal, was es ausserdem noch sein mag, soll ohne menschliche Vermittlung, ohne Überzeugungskraft, ohne Meinungsaustausch und konfliktfrei, also im Grunde genommen ohne Politik die ihm aufgetragene soziale und politische Aufgabe erfüllen.

PRAKTIKER DER OHNMACHT

Die jüngsten Entwicklungen im Bereich der Kulturfinanzierung […] sind ebenfalls als die Aufhebung künstlerischer Immunität zu deuten. […] Für die Kunst bedeutet das die zukünftige Dominanz des kommerziellen Sektors und erwartbare Tendenzen hin zu politikfreier Kunst und ineffektiver, «samtener» Kritik. Die Mehrheit der KünstlerInnen wird dadurch, dass man sie vom Profit des Kunstmarktes fernzuhalten versucht, zu finanziellen DissidentInnen. Einfacher ausgedrückt: Die meisten KünstlerInnen gehören einem künstlerischen Proletariat an. Viele von ihnen verdienen kaum genug, um zu überleben.

Trotz ihres unglaublichen Potenzials, Realitäten zu kreieren und zu formen oder Politik zu betreiben, begnügt sich die Kunst mit der Präsentation von Ideen, die ohnehin niemand umzusetzen gedenkt. Wie man man aus diesem «Teufelskreis der kreativen Ohnmacht» ausbrechen? Wie kann Kunst helfen, die Realität performativ zu gestalten?

So schafft es die eingeschränkte Vorstellungskraft von KünstlerInnen und KuratorInnen heute nicht, die Schwelle hin zu echten Taten zu überschreiten. Die paradoxe Reaktion auf diese Lage sind «leere» wirkungslose Werke und Ausstellungen. Alles, was der Kunst heute noch bleibt, ist inszeniertes Spektakel, in dem soziale und politische Probleme verhandelt werden – ohne jeglichen Einfluss auf die Realität, die AkteurInnen im Kunstbereich oder andere KünstlerInnen und KuratorInnen zu haben.

EINSÄTZE DER KURATOR/INNEN, EINSÄTZE DER KÜNSTLERINNEN

Die Institutionen halten an bürokratischen Prozeduren und Produktionsregeln fest anstatt an Ideen. Es geht nicht um Demokratie, die mit den Regeln der Kunst erreicht werden kann. Manche KünstlerInnen bieten brutale, schockierende oder sogar perverse Abkürzungen – diese sind dann meist nicht vereinbar mit den Zielen der Institution und deren Vorgehen, sämtliche mögliche Gefahren zu beseitigen.

Der Einsatz der KünstlerInnen ist nicht mit dem Einsatz der KuratorInnen vergleichbar. KuratorInnen sind zu reisenden AusstellungsproduzentInnen geworden, die die sanfte Sprache vorgetäuschten sozialen Engagements sprechen. Für die KuratorInnen steht der nächste Auftrag auf dem Spiel, kein radikales gesellschaftliches oder politisches Ziel. Kunst wird durch ein Sieb finanzieller Interessen, institutioneller Ängste und beruhigend formulierter Ziele gepresst und verliert ihre ureigene Kraft.

KuratorInnen sprechen normalerweise nicht mit KünstlerInnen und sind erst recht nicht zu Diskussionen mit ihnen bereit. Diskussionen bedeutet Auseinandersetzung und führt möglicherweise zu Streit oder sogar zu einer Trennung. Das können sich KuratorInnen aber nicht leisten, und demzufolge können sie sich auch nicht auf eine tatsächliche Diskussion einlassen.

Das Fehlen einer Diskussion zwischen KünstlerInnen und KuratorInnen wird oft damit gerechtfertigt, «den KünstlerInnen absolute Freiheit zu gewähren» – ganz so, als ob eine Diskussion Freiheiten einschränken würde.

INDIVIDUELLE POLITIK DES ÜBERLEBENS

Wenn die Kunst entpolitisiert wird, bedeutet das, dass sie nicht die Interessen von Menschen vertritt, sondern die individuellen Karrieren der KünstlerInnen antreibt. Kunst zu politisieren bedeutet, gemeinsam mit anderen die Einsätze festzulegen und diese für eine Öffentlichkeit deutlich zu repräsentieren.

Unser wichtigster Einsatz, etwas, um das wir heute spielen wollen, ist eine Kunst, die verändert; Kunst, die nicht leer, sondern kritisch ist, die keine Pseudo-Kritik produziert, sondern tatsächlich transformiert und gestaltet.

GESPRÄCHE MIT PRAKTISCH HANDELNDEN

Kunstproduktion, Politik und politische Philosophie sind durch künstlerische Vorstellungskraft miteinander in einen Knoten aus Vorstellungskraft und aktivem Handeln verbunden. Das Ziel aber ist pragmatisch: die Schaffung sozialer und politischer Fakten; Verantwortung für Entscheidungen und öffentlich geäusserte Meinungen übernehmen und tragen; reale Taten in einer realen Welt und ein endgültiger Abschied von er Illusion künstlerischer Immunität.

Das Modell kuratorischer Arbeit, das ich angenommen habe, basiert nicht darauf, Kunstobjekte zu verwalten, sie aus dem Gesamtwerk von KünstlerInnen zu fischen, sie zu transportieren, zu versichern und an die Wand zu hängen. Es basiert auf Moderation und auf Verhandlung zwischen konträren politischen Standpunkten in Form von künstlerischem Handeln. Das Einzige, was diese Arbeitsweise tatsächlich zunichte machen kann, ist Angst, die lähmende Furcht vor realen Folgen und davor, für diese Folgen Verantwortung zu tragen. Angst macht es unmöglich, sich ein pragmatisches Handlungsschema überhaupt vorzustellen. Auch ich fürchte mich, aber ich versuche, die Angst zu vergessen.

 

Auszug aus: Artur Zmijewski, Vorwort zu «Forget Fear», 7. Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst, 2012.