Unbekannte, die in Schränken hocken, skurrile Erfinder und verzweifelt Meditierende – alles Protagonisten der Werke Kabakovs, einem der bedeutendsten zeitgenössischen Künstler, der mit desillusioniertem Blick auf das 20. Jahrhundert schaut, die Vision eines humaneren Lebens aber trotzdem nicht verliert.

Der russische Installationskünstler im Filmporträt von Kerstin Stutterheim und Niels Bolbrinker:

SF, Sternstunde Kunst, 12.2.2012

 

Wenn man aber aufmerksam ist, dann kann man bemerken, dass die meisten Menschen fliegen.

Das Leben in der Sowjetunion war sehr stabil. […] Diese Form des unbeweglichen Sumpfes, diesen statischen Zustand wollte ich beschreiben. Diesen unbeweglichen Kosmos des grauen Lebens und der traurigen niedergeschlagenen Alltäglichkeit. Es ging nicht um die hohe Kunst. Ich wollte den Zustand der Zerstörung und des schwermütigen Daseins ausdrücken. Aber auch ein Gefühl der Sehnsucht, das uns umgab.

Im Westen gibt es keine Erfahrung mit dem Leben in Gemeinschaftswohnungen. Das sind Wohnungen, in denen fünfzehn oder zwanzig Familien zusammenleben mussten und alles gemeinsam nutzten – die Küche, die Toilette. Das war ein ernstes Problem. Es gab riesige Auseinandersetzungen in den Gemeinschaftswohnungen, denn es gab viele Dinge, die niemandem gehörten oder die verlorengegangen waren, weil jemand etwas Fremdes genommen hat, vielleicht fremde Schuhe angezogen hatte. Die Frage des Eigentums war sehr ernst. […] Die Gemeinschaft war die Grundlage des sowjetischen Lebens.

[Die Sowjetunion] war eine sehr brutale Gesellschaft. Man musste vollkommen mit dem gesellschaftlichen Umfeld übereinstimmen. Egal ob es sich um eine offizielle, inoffizielle oder freunschaftliche Situation handelte. Wir mussten immer eine Rolle spielen. Das Leben stellte also wie in einem Theaterstück bestimmte Spielregeln auf, die wir schon von unserer Kinderheit an gelernt hatten und das ganze Leben lang befolgten. Verschiedene Rollen für den Verlauf des ganzen Lebens. Und jeder wusste, welche Rolle er an welcher Stelle zu spielen hatte. Du bewertest dich also nicht so, wie du wirklich bist, sondern so, wie dich die anderen beurteilen. Du nimmst unwillkürlich zwei Standpunkte ein: der Schauspieler, der spielt und handelt, aber auch der Regisseur, der Kontrolleur und der Zensor, der die passenden Gesten, die richtigen Wörter, Mimik und Benehmen auswählt, die charakteristisch für die Umgebung sind, in der man überleben muss.

Alle Utopien – von Platon, Moros oder Campanella – das waren philosophische Utopien auf dem Papier. Wie ein Konzept. Aber nie wurde versucht, es im Leben umzusetzen. In kleinen Gruppen oder Gesellschaften schon, aber ein ganzes Land, die ganze Menschheit nach einem utopischen Projekt aufzubauen, das gab es erst in unserer Zeit. Das Erschaffen eines kommunistischen Landes, einer kommunistischen Utopie, die den Aufbau eines idealen Staates, eines Paradieses vorausgesetzt hätte. Solange es dein persönliches Projekt ist und einen anderen nicht stört, wie wenn man Briefmarken sammelt oder Kunstwerke schafft, ist es eine harmlose Utopie, irgendwie moralisch. Aber wenn es eine staatliche politische Utopie ist, wenn es darauf abzielt, das Leben eines ganzen Landes zu verändern oder die anderen zu zwingen, nach diesen Massstäben zu leben, dann ist es ein furchtbares Denken, eine furchtbare Utopie und natürlich ein Verbrechen.

Deshalb ist die Utopie als Vorstellung, als Projekt nur in der künstlerischen Umsetzung gut. In Form eines Modells, in Form von Bildern oder Personagen und eigenen Konzeptionen. Alles hat dann den Charakter eines unschuldigen Herumfantasierens. […] Auf jeden Fall ist es unschuldig und vielleicht sogar interessant für die anderen. Denn wir sind ja alle Träumer und Fantasten. Wenn wir zu realistisch sind, dann gibt es keine Anregung für das Leben. Aber es soll alles im Rahmen einer künstlerischen Idee bleiben und nicht das Programm für das Leben der anderen Menschen sein.

 

 

Ilya Kabakov was born in Dnepropetrovsk, Soviet Union, in 1933. He studied at the VA Surikov Art Academy in Moscow, and began his career as a children’s book illustrator during the 1950’s. He was part of a group of Conceptual artists in Moscow who worked outside the official Soviet art system. In 1985 he received his first solo show exhibition at Dina Vierny Gallery, Paris, and he moved to the West two years later taking up a six months residency at Kunstverein Graz, Austria. In 1988 Kabakov began working with his future wife Emilia (they were to be married in 1992). From this point onwards, all their work was collaborative, in different proportions according to the specific project involved. Today Kabakov is recognized as the most important Russian artist to have emerged in the late 20th century. His installations speak as much about conditions in post-Stalinist Russia as they do about the human condition universally.

 

Links: Ilya und Emilia Kabakov Galerie ARNT Berlin

Quelle Text, Zitate, Film und Bilder: SF Sternstunde Kunst

Quelle Biographie: Website Ilya und Emilia Kabakov