«Untersucht man die gängigen Glücksratgeber der Gegenwart, die politischen Konzeptionen von Wohlstand oder die dominanten soziologischen Definitionen von Wohlergehen und Lebensqualität, so offenbaren sie in der Regel eine Ressourcenfixierung […]: Gesundheit, Geld, Gemeinschaft (beziehungsweise stabile soziale Beziehung), dazu häufig auch noch Bildung und Anerkennung, gelten als die wichtigsten Ressourcen für ein gutes Leben […] und mehr noch: Sie haben sich zum Inbegriff des guten Lebens verselbstständigt. Wie man reicher wird, wie man gesünder wird, wie man attraktiver wird, wie man mehr Freunde gewinnt, wie man sein soziales und kulturelles Kapital erweitert […].»

«Und die Ungleichheitsforschung hat eben hier ihren motivationalen Anker – in der Annahme, dass diejenigen Schichten mit einer besseren Ressourcenausstattung auch bessere Leben haben als die anderen. Ingesamt führt dies zu einer Kultur, in der das ultimative Ziel der Lebensführung darin besteht, seine Ressourcenlage zu optimieren: seine Berufsposition zu verbessern, sein Einkommen zu erhöhen, gesünder, attraktiver, fitter zu werden, seine Kenntnisse und Fähigkeiten zu erweitern, sein Beziehungsnetz auszubauen und zu stabilisieren, Anerkennung zu erwerben etc. Aber […] wann leben wir?»

«Meine These ist, dass es im Leben auf die Qualität der Weltbeziehung ankommt, das heisst auf die Art und Weise, in der wir als Subjekte Welt erfahren und in der wir zur Welt Stellung nehmen; auf die Qualität der Weltaneignung. […] Die zentrale Frage, was ein gutes von einem weniger guten Leben unterscheidet, lässt sich dann übersetzen in die Frage nach dem Unterschied zwischen gelingenden und misslingenden Weltbeziehungen. Wann gelingt es, wann misslingt es, wenn wir es nicht an Ressourcen und Optionen messen wollen?»

«Das Leben aber gelingt, […] nicht per se dann, wenn wir reich an Ressourcen und Optionen sind, sondern […] wenn wir es lieben. Wenn wir eine geradezu libidinöse Bindung an es haben. Es, das sind dabei die Menschen, die Räume, die Aufgaben, die Ideen, die Dinge und Werkzeuge, die uns begegnen und mit denen wir es zu tun haben.
Wenn wir sie lieben, entsteht so etwas wie ein vibrierender Draht zwischen uns und der Welt. […] Wer unglücklich und, im Extremfall, depressiv ist, dem erscheint die Welt kahl, leer, feindlich und farblos, und zugleich erfährt er das eigene Selbst als kalt, tot, starr und taub. Die Resonanzachsen zwischen Selbst und Welt bleiben stumm. Folgt darauf nicht im Umkehrschluss, dass das gelingende Leben durch offene, vibrierende, atmende Resonanzachsen gekennzeichnet ist, die die Welt tönend und farbig und das eigene Selbst bewegt, sensitiv, reich werden lassen?»

Auszüge aus dem Buch «Resonanz – Eine Soziologie der Weltbeziehung» von Harmut Rosa, S. 16–26

 


Credits
Text: Harmut Rosa (2019). Resonanz – Eine Soziologie der Weltbeziehung. suhrkamp.
Bild: Stephan Röhl, Kongress «Baustelle der Demokratie – Wo Einmischen heute gefragt ist» der Heinrich-Böll-Stiftung in Berlin

Links
Buch: Harmut Rosa (2019). Resonanz – Eine Soziologie der Weltbeziehung. suhrkamp.
Podcast: Interview mit Harmut Rosa im Hotel Matze: Wie führt man ein gelungenes Leben?

Beitrag erstellt von
Laura Hilti, Kunstverein Schichtwechsel