Hannes Ludescher wurde in Feldkirch geboren, wo er auch zur Schule ging. Mit seiner Familie wohnte er in Altenstadt. Er studierte an der Akademie der Bildenden Künste in Wien und beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit handlichen Steinen. Als massstabgetreue Vergrösserung durch eine filigrane Haselkonstruktion und eine bemalte Papierhaut verlässt der leichte «Stein» den Boden und erobert den Luftraum. Durch seinen Beruf kann er auch seine Hobbys ausleben: Wandern den Küsten entlang, Steine und Erden sammeln, zusammen mit Freunden (Werner Hasler, Markus Brandtner, Ulrich Kathan) Geige spielen zur «selbstgestrickten» Musik, auch zu seinen Videoprojektionen. Seit 1977 ist er mit Monika, die durch ihr Studium der Ur-und Frühgeschichte wichtige Impulsgeberin war, verheiratet. Sie haben drei erwachsene Kinder, alle gestalterisch tätig, und zwei Enkelkinder. Hannes Ludescher wohnt in Suldis in Vorarlberg und ist 74 Jahre alt.

Wo und wie sind Sie aufgewachsen? 

Als zweiter Bub des Postbeamten und Naturliebhabers Josef und Hilda, meiner anregenden Mutter, haben wir in meinen Kinderjahren als Untermieter in einer kleinen Landwirtschaft gewohnt. Das Leben und Sterben der Tiere gehörte zu den prägendsten Erlebnissen, ebenso die für alle nachkriegsbedingte Kargheit und vom Krieg traumatisierte Lehrer. Die zwei jüngeren Geschwister bekamen mit dem Umzug in ein neues Haus einen ganz anderen «Stempel».

 

Könnten Sie Ihren Werdegang schildern?

Hauptschule (Sekundarschule) und Lehrerbildungsanstalt in Feldkirch, 1968 bis 1976 Studium der Malerei und Bildhauerei an der Akademie der Bildenden Künste in Wien. Kurzfristige Lehrtätigkeit an meiner ehemaligen Schule. Eigentlich begann mein Werdegang einige Zeit nach der Akademie. Im Zimmer von Monika, meiner späteren Frau, lagen Steingeräte aus Ägypten und an der Wand hingen warmfarbene Aquarelle mit Motiven aus der Wüste. Diese zwei Themen brachten mich wieder «auf den Boden» und halfen, mich von akademischen Tabus zu lösen und etwas Eigenes zu entwickeln. Viele mediterrane Aquarelle trugen die ersten Jahre zum Lebensunterhalt bei, später dann die «Steine». Zusammen mit meiner Frau arbeitete ich bei archäologischen Grabungen im Irak und Iran mit. Mit der Familie unternahmen wir zahlreiche Malreisen in verschiedene spanische Regionen, nach Kreta, den Peloponnes, Sardinien und Sizilien.

Peloponnes, 1981
«Brandung», 1981
«Kreta», Aquarell, 1984

Gab es bestimmte Ereignisse oder Stationen, die für Ihren Werdegang prägend waren?

Bei Reisen in jungen Jahren zusammen mit meinem älteren Bruder, per Autostop oder im 2CV mit Schlafsack, kam ich nach Holland, in die skandinavischen Länder, nach Spanien und Frankreich. In den vielen Gemäldegalerien, die wir besuchten, wuchs der naive Wunsch, es diesen Malern gleich zu tun. Auch hatte ich das Glück, die nahe fürstliche Gemäldesammlung in Vaduz zu erleben. Und Mitte der Sechzigerjahre gab es in Götzis eine kleine Galerie, wo ich Zeichnungen von Klimt und Schiele sah, allein und ganz nah…

Prägend war auch der Bau eines neuen Hauses: Nachdem wir zehn Jahre in einem alten Bauernhaus – substandard – gewohnt hatten, haben wir vor über dreissig Jahren in Suldis ein einfaches, von Baumschlager/Eberle geplantes Holzhaus mit Werkstatt in grossen Teilen selbst gebaut. Die filigrane Holzkonstruktion auf Säulen gab den entscheidenden Impuls zur Bauweise meiner «Steine».

1989, als wir in das neue Haus einzogen, sah ich im Sommer in Paris buntbemalte Särge von Kwane Kwei aus Ghana: eine weitere Anregung bei der Entstehung der «Steine». Und Anfang November in Spanien erfuhren wir vom Fall der Mauer: Das war für mich eine grosse Entspannung nach vielen Jahren der Polarisierung, die in Wien unweit des Eisernen Vorhangs immer präsent war. Ein neuer Anfang tat sich auf…

 

Gab es bestimmte Personen, die für Ihren Werdegang prägend waren?

Neben den wohlwollenden Zeichenlehrern hat mich ein damals noch junger Kaplan bestärkt und mit Aufträgen bedacht. Er nahm mich auch mit zu Martin Häusle in dessen Glashaus am Blasenberg. Dieser war durch seine Landschaften und Glasfenster DER Künstler! Allerdings wurden unter dem Kaplan, dem damaligen Zeitgeist folgend, die Malereien und Figuren des 19. Jahrhunderts aus der Pfarrkirche entsorgt, und damit auch ein wesentlicher Erlebnisraum meiner Kinderjahre zerstört.

Sehr viel später waren es dann die filigranen Architekturen von Buckminster Fuller und Frei Otto sowie die Mobiles von Alexander Calder.

«Stein»-Konstruktion (Hasel, Bambus, Papier)

Hat Sie Ihr Umfeld in Ihrem Werdegang unterstützt? 

Mein Vater kam aus einer musikalischen Familie und war in seiner Jugend ein guter Zeichner gewesen. Die gestalterischen Wünsche meiner Mutter konnte ich meistens erfüllen, mein Bruder als angehender Grafiker brachte später die ersten Ausstellungskataloge aus Wien, die Tante aus München, vom Firmpaten bekam ich eine italienische Kunstzeitschrift im Abo… Und das Zeichnen brachte mir in den Schulen die Anerkennung, die mir bei den «wichtigen» Fächern versagt blieb.

 

Welchen Tätigkeiten gehen Sie derzeit nach?

Wie seit vielen Jahren suche ich das Individuelle eines Steines, so gut es mit meinen technischen Voraussetzungen möglich ist, zu erfassen und zu transformieren; eigentlich jeden Tag und Abend. Und wenn es heuer möglich sein sollte, will auch das Meer wieder gemalt werden.

Sardinien, 2016
Kunstraum Engländerbau, 2020

Erfüllt Sie das, was Sie derzeit machen?

Ja, das erfüllt mich ganz, weil es mich unentwegt fordert, und das trotz des Wissens, dass ein einfacher Stein viel komplexer ist, als ich ihn jemals wiedergeben kann. An ihm kann ich versuchen, Malerei in die dritte Dimension zu bringen, und er bekommt die Leichtigkeit, die er sich immer gewünscht hat ;-).

Kunstraum Engländerbau, 2020

Denken Sie, dass Sie einen Einfluss darauf haben, ob Ihre Tätigkeiten erfüllend sind?

Das denke ich schon, vor allem, weil meine Arbeit nur auf eigenen Entscheidungen beruht und ich die Spannungen aushalten möchte, die dadurch entstehen. Ich versuche, die «Sprache» des Steines in jene des organischen Materials (Hasel/Bambus/Papier) zu übersetzen. Und wenn das einigermassen gelingt, empfinde ich es als Bestätigung für die Richtigkeit, sich diesen Aufwand «anzutun».

 

Was oder wer inspiriert Sie im Alltag?

Es ist vielleicht das Staunen über die unglaubliche Schönheit und Vielfalt der Natur, und wie faszinierend organische und anorganische Körper gebaut sind, sozusagen Skulptur und Malerei miteinander verbinden. Es sind aber auch die besonderen Wesenheiten des Steines, die uns seit Beginn der Menschheit begleiten: Er kann bis heute sowohl Waffe als auch Werkzeug sein, und er hat eine vom Menschen so verschiedene Entstehungsgeschichte. Die Sterne sind ihm nicht fremd…

vorarlberg museum, 2017

Was oder wer gibt Ihnen im Alltag Kraft und Energie?

Eigentlich ist es der Dialog mit dem Stein und das Erkennen seiner Einmaligkeit. Und immer noch das Zusammensein mit meiner Frau. Ziemlich biedermeierlich ;-).

 

Es gibt «magische Momente», in denen alles zu passen scheint. Momente, die erfüllen, inspirieren und Kraft geben. Momente, die bestätigen, dass sich der Einsatz lohnt und dass das, was man macht, sinnhaft und wertvoll ist. Haben Sie solche Momente in Bezug auf Ihre eigenen Tätigkeiten schon erlebt?

Einen magischen Moment erlebte ich, als sich vor drei Jahren meine vielen «Steine» schwerelos im 24m hohen Atrium des vorarlberg museums in Bregenz sanft bewegten und drehten, als wären sie schon immer da gewesen. Und das wiederum erinnerte mich an die Faszination auf dem Heuboden meiner Kindheit, als ich dem Staub, im Sonnenstrahl tanzend, zuschaute.

vorarlberg museum, 2017

Tun Sie aktiv etwas dafür, damit sich solche magischen Momente einstellen können?

Einfach weitermachen, in der Hoffnung auf einen neuen Sternen-Steine-Himmel. Im Engländerbau war ein solcher…

Kunstraum Engländerbau, 2020

Gibt es Momente, in denen Sie an dem, was Sie machen, zweifeln?

Am ehesten entstanden diese Zweifel nach verlorenen Wettbewerben oder erfolglosen Ansuchen um Stipendien. Das fühlte sich an wie in der Schule, wenn ich ein Thema verfehlt hatte. Der Blick auf die eigene Arbeit und der «Glaube» an sie halfen mir, diese Misserfolge zu verdauen.

 

Können Sie schwierigen Momenten rückblickend etwas Positives abgewinnen?

Wenn ich in schwierigen Momenten nachsinne, woher die Blockaden kommen könnten, kann das zu ganz persönlichen Erinnerungen führen, die ich vorher vielleicht gar nicht kennen wollte oder vergessen hatte.

 

Gibt es etwas, was Sie rückblickend anders machen würden?

Im Grossen und Ganzen eigentlich nicht.

 

Möchten Sie mit Ihren Tätigkeiten etwas zur Gesellschaft beitragen?

In meinen ersten Studienjahren, Ende der Sechzigerjahre, hatten gesellschaftliche Fragen eine grosse Wichtigkeit im Akademiealltag, und alle Autoritäten wurden in Frage gestellt (und bald durch neue ersetzt). Die Kunst hatte sich dabei aus dem Staub gemacht…

Ich glaube an die Kunst als zutiefst menschlicher Ausdruck, der nichts ausschliesst und nie endgültig ist. So möchte ich meine Arbeit verstehen: Um zu schweben, darf man den Kontakt zum Boden nicht verlieren. Vielleicht kann sich das mit der Zeit als kleines, konstruktives Element in der bzw. für die Gesellschaft herausstellen.

Architekturbüro Baumschlager Eberle, Lustenau, 2020

Ist Ihnen die Anerkennung von anderen Personen bzw. von der Öffentlichkeit wichtig?

Es war immer die persönliche Reaktion, die für die Entwicklung der Arbeit wichtig war, und nicht die der «Öffentlichkeit». Wenn Kindern meine Arbeit gefällt, freut mich das besonders: Der neunjährige Nachbarbub schrieb ins Gästebuch vom Kunstraum Engländerbau «Die Bilder sind schön, die Steine sind besser.»…

vorarlberg museum, 2017

Wie gut können Sie von dem, was Sie beruflich tun, leben?

Mit der Entscheidung, nur diesen Beruf auszuüben – ich hatte ja schon meine Lehrerfahrung hinter mir – (Monika: «Tu dich nicht verzetteln!»), nahmen wir in Kauf, die meisten Jahre unter der offiziellen Armutsgrenze zu leben. Trotzdem ist es irgendwie immer gut gegangen. Wir sind jedes Jahr mit den Kindern im alten VW-Bus zum Malen nach Griechenland und Spanien gefahren… Mit der jetzigen kleinen Rente/Pension ist das Leben schon entspannter, aber nicht wesentlich anders.

Gesammelte Erden – Spanien querfeldein

Gibt es etwas, das Sie derzeit besonders beschäftigt?

Mit den Jahren sind eine Menge an unterschiedlichen Papierobjekten entstanden. Und diese Vielfalt möchte ich weiter vergrössern.

Werkstatt, 2017

Gibt es etwas, womit Sie sich in Zukunft gerne (verstärkt) beschäftigen würden?

Grosse, ungenutzte Lufträume mit den Steinmobiles zu bespielen, wäre schön.

 

Wofür sind Sie im Leben besonders dankbar?

Eigentlich für alles, wie es geworden ist.

Interview
Laura Hilti, Januar 2021


Links

www.hannesludescher.at


Credits

Porträtfoto: Birgit Riedmann 
Kunstraum Engländerbau Nr. 2: Tobias Ludescher
Kunstraum Engländerbau Nr. 3: Barbara Bühler
Architekturbüro Baumschlager Eberle: studioWälder
Werkstatt: Petra Rainer

Alle anderen Fotos: Hannes Ludescher

Dieses Interview ist Teil des Projekts «Magic Moments» des Kunstvereins Schichtwechsel, in dessen Rahmen Menschen zu ihrem Werdegang, ihren Tätigkeiten sowie magischen und schwierigen Momenten befragt werden.

Das Projekt wird gefördert durch die Kulturstiftung Liechtenstein und die Stiftung Fürstl. Kommerzienrat Guido Feger.

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