Simon Kindle studierte in Luzern, Zürich und Berlin. Neben wertvollen Abstechern in die Szenografie und in den Master «Raumstrategien» an der Hochschule Weissensee galt sein Hauptinteresse der bildenden Kunst. 2012 schloss er das Studium «Fine Arts» mit dem Master of Arts ab. Über die letzten Jahre flankierten zudem Aufträge an unterschiedlichen Bildungsinstitutionen seine künstlerische Tätigkeit. Momentan arbeitet er in Rotterdam: Einerseits im Gastatelier von Het Wilde Weten, einem ehemaligen Kloster im Norden der Stadt, und andererseits in der Foundation B.a.d., einem Atelierkomplex im Süden, in welchem er mit seiner Partnerin Amayi Wittmer und ihren zwei Kindern wohnt. Aktuell und auch über die letzten Jahre sind orts- bzw. situationsspezifische Arbeiten entstanden, die sich medial stark unterscheiden. Simon Kindle treibt Projekte gerne im Dialog vorwärts und arbeitet entsprechend immer wieder mit Personen aus unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern und mit unterschiedlichen Geschichten. Er ist in Balzers, Liechtenstein, aufgewachsen und lebt heute mit seiner Familie und mehreren Tieren in Luzern bzw. momentan in Rotterdam. Um den Kopf freizubekommen und für seine Fitness macht er Taekwondo. Simon Kindle ist 37 Jahre alt.

Wo und wie sind Sie aufgewachsen?

Ich habe eine prägende, abenteuerreiche Kindheit in Balzers verbracht. Ein bisschen weitergewachsen bin ich in einem Austauschjahr in den USA und bald darauf in Zug, wo ich das Lehrerseminar besucht habe. Der körperliche Wachstum war allerdings bei 168 cm relativ rasch vorbei :).

 

Könnten Sie Ihren Werdegang schildern?

Ich nehme an, dass diese Frage auf meinen Werdegang als Gestalter zielt. Ich bin glücklicherweise in einer Umgebung aufgewachsen, in der ständig gestaltet wurde. Auf Papier, mit Stift und Pinsel, aber auch für grosse Themenparties bei Geburtstagen, für Pfadfinderanlässe, Theaterprojekte, geheime Baumhüttengangs und so weiter. Ich wurde ermutigt, mit anzupacken und Initiative zu ergreifen. Mit diesem Vertrauen in das Potential von Gestaltungsanlässen bin ich im Lehrerseminar auf weitere wichtige Personen gestossen, die mich auf die Möglichkeiten einer Kunstausbildung aufmerksam gemacht und mich gefördert haben. Nach der ersten Ausbildung habe ich mich ich zielstrebig für den Vorkurs und später für eine Kunstausbildung beworben. In dieser spannungsgeladenen, abenteuerlichen Zeit, nicht ohne Selbstzweifel, habe ich alles aufgesogen was mir angeboten wurde! Ich wollte wissen, diskutieren, verhandeln und vor allem umsetzen! Bereits früh im Bachelorstudium habe ich für mich erkannt, dass ich mich medial nicht eingrenzen, sondern als Künstler auf Situationen und Gegebenheiten reagieren will und immer wieder neue künstlerische Strategien entwickeln möchte. Natürlich gab und gibt es Techniken und Materialien, die mich im Besonderen interessieren und auch das szenische Arbeiten fasziniert mich. Deshalb habe ich mich nach dem Bachelorstudium als Gaststudent an der Zürcher Hochschule der Künste ZhdK beworben und ein Jahr vorwiegend im Theaterkontext gearbeitet. Obwohl ich mich im Anschluss gegen einen Master im Bühnenbild und für einen Kunstmaster entschieden habe, war dies eine sehr prägende Station. In installativen, z. T. auch partizipativen Arbeiten greife ich auf wichtige Erfahrungen in der Auseinandersetzung mit Raum, Zeit und insbesondere mit dem Publikum zurück. Während des Masterstudiums habe ich ein Semester an der Kunsthochschule Berlin Weissensee studiert und zwar im interdisziplinär und sehr international besetzten Masterstudiengang Raumstrategien. Hier wurden viele meiner Interessen vereint und mir wurde klar, dass mich weniger die Ausbildungsstätte, als vielmehr das aktive Teilhaben an einem Diskurs interessiert. Bereits während des Abschlussjahres und die Zeit danach habe ich für die interdisziplinären Angebote der Hochschule Luzern – Design & Kunst  gearbeitet. Etwas verkürzt formuliert: Ich habe seit 2005 immer wieder verschiedene Lehrtätigkeiten ausgeübt. Die letzten Jahre war mein Atelier in Luzern. Dank des Werkjahres der Kulturstiftung Liechtenstein konnte ich mich aus dem gewohnten Umfeld herauskatapultieren und erlebe trotz der Pandemie, die viele Lebensbereiche mitbestimmt, eine ungemein lehrreiche und inspirierende Zeit in Rotterdam.

Weg ins Gastatelier von Het Wilde Weten in Rotterdam

Gab es bestimmte Ereignisse oder Stationen, die für Ihren Werdegang prägend waren?

Einige dieser Stationen habe ich bereits beschrieben. Dazu gehören Ausbildungsstätten und Auslandaufenthalte. Natürlich zählen auch Ausstellungen dazu, die mich in meiner Entwicklung geprägt haben, wie beispielsweise The Secret Hotel von Janet Cardiff & George Bures Miller im Kunsthaus Bregenz. In meiner Zeit in Berlin habe ich die Stücke von René Pollesch aufgesogen… Wenn man über die Frage allerdings in einem grösseren Zusammenhang nachdenkt, dann gib es natürlich kein Ereignis oder keine Station, die mich nicht geprägt haben.

 

Gab es bestimmte Personen, die für Ihren Werdegang prägend waren?

Auch hier habe ich bereits angetönt, dass diesbezüglich meiner Familie eine wichtige Rolle zukommt. Mit meinem Primarlehrer Norman Walch habe ich die erste Vernissage besucht. In der Studienzeit waren das wichtige Dozierende wie beispielsweise Fritz Balthaus oder Armin Chodzinski. Meine beiden Kinder und meine Partnerin sowie ihre Familie sind heute zusätzliche wichtige Stützen und prägen meinen Werdegang natürlich massgeblich.

 

Hat Sie Ihr Umfeld in Ihrem Werdegang unterstützt?

Ich hatte das Glück, dass ich von meinem Umfeld stets unterstützt wurde. Ich werde immer wieder aufgefordert, meine Entscheide zu begründen bzw. dafür zu argumentieren, allerdings aus einer wertschätzenden, wohlwollenden Haltung.

Familie am Meer in den Niederlanden

Welchen Tätigkeiten gehen Sie derzeit nach?

Ich organisiere zusammen mit meiner Partnerin Amayi Wittmer das Leben in Rotterdam für unsere Familie, zwei Pferde und mich. Im Atelier arbeite ich an verschiedenen Strängen: Eine ortsspezifische Intervention an einer kopflosen Jesusstatue gleich um die Ecke, an einer Installation für das Küefer-Martis-Huus, an einem Projekt im Bereich klassischer Stucktechnik, an einer szenischen Gesprächssituation und schliesslich etwas weniger gerne an rein organisatorischem, an leidigen Pendenzen, wie das Bezahlen offener Rechnungen etc. Ich streife allerdings zwischendurch mit dem Fahrrad auch durch die Gegend und entdecke neue Teile der Stadt.

Jesus ohne Kopf

Erfüllt Sie das, was Sie derzeit machen?

Ja, auf jeden Fall. Ich habe meine Familie bei mir, lebe in einem inspirierenden Umfeld, lerne ständig neue Menschen voller Tatendrang kennen und übe schliesslich den besten Beruf aus, den ich mir denken kann.

 

Denken Sie, dass Sie selbst darauf einen Einfluss haben, ob Ihre Tätigkeiten erfüllend sind?

Ich gehe davon aus, dass es vor allem an mir selbst liegt, ob ich etwas als erfüllend wahrnehme oder nicht. Konkrete Strategien um darauf Einfluss zu nehmen habe ich diesbezüglich (leider noch) nicht. Mein allgemeiner Gemütszustand hat sicherlich einen wichtigen Einfluss. Ich beobachte allerdings auch, dass mir beispielsweise Tätigkeiten, die mir grundsätzlich Freude bereiten, in gewissen Situationen Stress bedeuten. Insbesondere wenn sie unter hohem Zeitdruck, oder mit hohen Erwartungshaltungen verbunden sind. In diesen Situationen ist es wohl sinnvoll, sich auf die Sache, auf das eigentliche Projekt / den Gestaltungsanlass zu besinnen und die äusseren Umstände beiseite zu schieben.

 

Was oder wer inspiriert Sie im Alltag?

Das kann alles oder nichts sein. Im Moment finde ich es inspirierend, die Verkehrsführung in Rotterdam zu beobachten… oder es sind ungewohnte Grössenverhältnisse, auf die ich beim Joggen durch eine Hafenanlage treffe. Es kann mich aber auch eine bestimmte Situation, wie beispielsweise der kopflose Jesus, inspirieren oder eine Oberfläche bzw. Materialität. Es kann aber auch das wilde Spiel meiner älteren oder das hochkonzentrierte Zerschneiden sämtlicher Papiervorräte meiner jüngeren Tochter sein.

Innenhof der Foundation B.a.d.

Was oder wer gibt Ihnen im Alltag Kraft und Energie?

Meine Familie, meine Freunde, meine Arbeit, inspirierende Orte, frische Luft…

 

Es gibt «magische Momente», in denen alles zu passen scheint. Momente, die erfüllen, inspirieren und Kraft geben. Momente, die bestätigen, dass sich der Einsatz lohnt und dass das, was man macht, sinnhaft und wertvoll ist. Haben Sie solche Momente in Bezug auf Ihre eigenen Tätigkeiten schon erlebt?

Es gibt glückliche Momente, in welchen ich für meine Arbeit beispielsweise in Form einer Ausstellung oder eines Stipendiums Anerkennung erfahre. Dann fühle ich mich in meinem Tun bestätigt und ich laufe Gefahr, dass es mir ergeht wie dem Schauspieler Riggan Thomson in BIRDMAN OR (THE UNEXPECTED VIRTUE OF IGNORANCE) dem seine Exfrau vorwirft: «You confuse love for admiration.»

Als Künstler bin ich auf Aufmerksamkeit angewiesen und ich empfinde diese Situation manchmal als bedrückendes Abhängigkeitsverhältnis. Die oben beschriebenen Situationen sind nur kurzlebig und ich würde sie nicht als «magisch» bezeichnen. Die wirklich magischen Momente im Zusammenhang mit meiner Arbeit, erfahre ich im Arbeitsprozess, wenn sich ein Gedankenstrang plötzlich entknotet, oder mitten in der Nacht, wenn ich plötzlich aufwache und eine Vorstellung mich fesselt…  eine adrenalingetränkte Mischung aus purem Optimismus und Verwegenheit.

 

Tun Sie aktiv etwas dafür, damit sich solche magischen Momente einstellen können?

Ich versuche, mir Räume zu schaffen, die eine hohe Konzentration begünstigen. Allerdings ist das alles andere als ein Rezept. Magische Momente, wie oben beschrieben, habe ich bislang völlig plötzlich und unerwartet erlebt.

Kaffeetrinken als Gastkünstler während einer Pandemie

Gibt es Momente, in denen Sie an dem, was Sie machen, zweifeln?

Der Zweifel ist ein ständiger Begleiter. Ich versuche, einen guten Umgang mit ihm zu pflegen, kritisch aber nicht wankelmütig zu sein. Je nach psychischer Verfassung gelingt mir das besser oder schlechter.

 

Können Sie schwierigen Momenten rückblickend etwas Positives abgewinnen?

Sicher. Ich gehe davon aus, dass man aus jeder Krise wichtige Erfahrungen mitnimmt. In Bezug auf meine künstlerische Praxis gibt es beispielsweise Momente, in welchen ich Kritik weder verorten noch annehmen kann. Es sind aber gerade diese Momente, die mich erschüttern, welche ich rückblickend als sehr wertvoll einschätze und die mich weiterbringen.

 

Gibt es etwas, was Sie rückblickend anders machen würden?

«Alle Menschen sind klug – die einen vorher, die anderen nachher.» (Voltaire)

Ringen um ein gemeinsames Künstlerbild mit Vincent Hoffmann; Fight Night; Performance / Installation 2020 (Musik: Reto Karli; Video: Loris Ciresa)

Möchten Sie mit Ihren Tätigkeiten etwas zur Gesellschaft beitragen?

Ich möchte mit meinen Projekten scheinbar Selbstverständliches hinterfragen und zum Denken anregen. Demensprechend strebe ich auch eine gesellschaftliche Relevanz an.

 

Wie gut können Sie von dem, was Sie beruflich tun, leben?

Momentan befinde ich mich im Werkjahr der Kulturstiftung Liechtenstein – in einer äusserst privilegierten Lage also, einem glücklichen Ausnahmezustand. In den letzten Jahren waren es vor allem die zahlreichen Lehraufträge, die mein finanzielles Einkommen sicherten. Hier war ich allerdings ebenfalls in einer sehr glücklichen Situation, dass ich von verschiedenen Institutionen Vermittlungsaufträge erhalten habe, die mich fordern und weiterbringen. Natürlich sind alle Lebensbereiche eng miteinander verknüpft und ich muss zielgerichteter und abgeklärter arbeiten als beispielsweise in meiner Studienzeit.

 

Gibt es etwas, womit Sie sich in Zukunft gerne (verstärkt) beschäftigen würden?

Ganz allgemein: In die Tiefe gehen.

 

Wofür sind Sie im Leben besonders dankbar?

Für meine liebe Familie, starke Freund*innen und den Schein von unbegrenzten Möglichkeiten.

Interview
Laura Hilti, Dezember 2020


Links

www.simonkindle.li
www.hetwildeweten.nl 
www.foundationbad.nl

 

Credits
Alle Fotos: Simon Kindle

Dieses Interview ist Teil des Projekts «Magic Moments» des Kunstvereins Schichtwechsel, in dessen Rahmen Menschen zu ihrem Werdegang, ihren Tätigkeiten sowie magischen und schwierigen Momenten befragt werden.

Das Projekt wird gefördert durch die Kulturstiftung Liechtenstein und die Stiftung Fürstl. Kommerzienrat Guido Feger.

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